2024-03-28T15:56:44.387Z

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"Ich war so traurig, ich bin nicht mal in die Diskothek": Dino Music. F: Roland Fengler
"Ich war so traurig, ich bin nicht mal in die Diskothek": Dino Music. F: Roland Fengler

Der Heißsporn mit den feinen Füßen

Alltag in der A-Klasse - Folge 28: Verantwortlich für die Tor-Vorlagen: Dino Music ist so etwas wie der Zvjezdan Misimovic der Johannis-Reserve

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Ein holpriger Sandplatz, in der Kabine eine Kiste Bier, das Trikot riecht nach Zigaretten — man erzählt viel über die A-Klasse. Aber auch, dass man dort den Fußball noch so erleben kann, wie er ursprünglich einmal war. Wir wollen herausfinden, wie es wirklich ist in den Niederungen des Amateurfußballs und begleiten eine Saison lang die A-Klasse 6 und treffen Spieler wie Dino Music — dem die meisten Torvor­lagen gelungen sind.

Er ist mehr so der Gattuso, sagt Dino Music über Dino Music. Dabei sieht der schmächtige 23-Jährige so gar nicht aus wie der bullige italieni­sche Weltmeister. Music spielt nicht einmal so hart, so kompromisslos, im Gegenteil, „bevor es knallt, zieh’ ich lieber zurück, ehe ich mir zwei, drei Schienbeine breche“, sagt er.

Dino Music kann Pässe spielen und Freistöße treten, dass einst sogar der TSV Katzwang aus der Bezirksliga an­rief und ihn verpflichtete. Music ist bald wieder zurückgekehrt zu Johan­nis 83, wo seine Kumpels aus Kinder­tagen spielen, wo das Flüchtlingskind aus Bosnien einst von seinem besten Freund mit zum Training genommen wurde und wo sie ihn seitdem so neh­men, wie er ist. In der Jugend haben sie ihn zwar einmal für ein halbes Jahr aus dem Verein geworfen, als er einen Konflikt mit vielen Ausdrücken und auch der ein oder anderen Faust zu lösen versuchte, aber der A-Jugend­trainer hat ihn dann wieder angerufen und begnadigt. Prompt wurden sie Meister, gewannen ein internationales Jugendturnier und Dino Music wurde Torschützenkönig. Was uns auch der Sache mit dem Gattuso näher bringt. „Na ja“, sagt Dino Music, „ich bin eben ein Heißsporn.“ Das ist auch der Grund, weshalb einer, der so veranlagt ist wie er, über­haupt in der A-Klasse spielt, wo man diejenigen, die schneller laufen, höher springen oder länger rennen können gern so lange tritt, bis sie liegen blei­ben.

Wobei: Heute muss ihn niemand treten, heute trägt Dino Music nur einen Trainingsanzug, während die Teamkameraden gerade Tabellenfüh­rer Glaishammer an die Wand spielen. Kein Wunder, sie haben mehrere Heiß­sporne bei Johannis, auf die Schnelle zählt Music vier, die aus disziplinari­schen Gründen aus der ersten in die zweite Mannschaft geschickt wurden, so wie er. Auch deshalb spielt die Re­serve seitdem um den Aufstieg mit, be­siegt Glaishammer mit 2:0. Eine Meisterschaft aus erzieherischen Maß­nahmen, wenn es denn klappt.

Auf der Stirn halten Nylonfäden Musics Haut heute zusammen, er kann nicht mitspielen. Am Wochen­ende ist er mal wieder angeeckt, dies­mal beim Türsteher der Diskothek. Eigentlich, sagen die Mitspieler, ist Dino schwer in Ordnung, er könnte nur seinen Ball öfter mal abspielen. Doch da spricht die Statistik für ihn: 21 Torvorlagen, so viel wie niemand sonst in dieser Liga. „Na ja“, sagt er, „vielleicht liegt das auch nur daran, dass kein anderer Verein seinen Vor­lagengeber aufschreibt.“ Dino Music ist, wenn er nicht gerade Heißsporn ist, ein sehr sympathischer Gattuso. Einer, dem das Schicksal übel mitge­spielt hat im noch kurzen Leben, so schlimm, dass man ihn am liebsten in den Arm nehmen möchte. Sein Vater fiel im Bosnienkrieg, als Dino keine sechs Monate alt war. Die Mutter schnappte in ihrer Not den Säugling und floh vor den Kriegswirren, vor Elend und Vertreibung, über Kroatien und Italien nach Deutschland. „Die Sprache musste ich mir selbst bei­bringen, wir konnten ja nur Bos­nisch“, erzählt er. Sie kämpfen sich durchs Leben, Dino macht einen Schulabschluss, eine Lehre zum An­lagentechniker. Doch sein Traum war eigentlich ein anderer.

Dino Music, der im Herzen Deutsch­land und Bosnien trägt, verehrte erst Jens Lehmann, wegen dem er sich mit elf Jahren ins Tor stellte, später Lands­mann Zvjezdan Misimovic, in der Abstiegssaison 2007/2008 Spielma­cher des 1. FCN. „Ich habe ihn einmal in der Stadt auf der Straße gesehen“, so Music. Doch der Heißsporn traute sich nicht, sein Idol anzusprechen.

Ist er nicht mehr ein Misimovic als ein Gattuso? „Kann sein“, sagt er, „der läuft ja auch eher wenig und spielt gute Pässe.“ So wie bei der Welt­meisterschaft, für die sich Bosnien-Herzegowina erstmals qualifizierte. Das Land seiner Eltern, das Dino Music noch immer einmal im Jahr be­sucht, wo das Grab seines Vaters ist. „Ich war so stolz auf diese Mann­schaft“, sagt er, jedes Spiel hat er ver­folgt, sich sein Nationaltrikot, das er manchmal auch im Training trägt, übergezogen. Dann das Aus in der Vor­runde. „Ich war so traurig, dass ich nicht einmal in die Disco wollte. Ich bin dann wirklich einfach zu Hause ge­blieben.“ Die Nationalmannschaft, ja, ein Le­ben als Profi war bald kein Thema mehr. Auch, ob der Trainer ihn nun in der ersten oder in der zweiten Mann­schaft einsetzt, ist Dino Music nicht mehr so wichtig. Er möchte nur Fuß­ball spielen. „Natürlich hast du besse­re Mitspieler in der Kreisliga, dafür sind die Gegner besser“, sagt er. „In der A-Klasse ist es einfacher, dafür hauen sie dich um, wenn du kicken kannst.“ Nein, die A-Klasse ist kein Pflaster für einen begabten Heiß­sporn.

Aufrufe: 013.5.2015, 14:02 Uhr
Christoph Benesch (NN)Autor