Er ist mehr so der Gattuso, sagt Dino Music über Dino Music. Dabei sieht der schmächtige 23-Jährige so gar nicht aus wie der bullige italienische Weltmeister. Music spielt nicht einmal so hart, so kompromisslos, im Gegenteil, „bevor es knallt, zieh’ ich lieber zurück, ehe ich mir zwei, drei Schienbeine breche“, sagt er.
Dino Music kann Pässe spielen und Freistöße treten, dass einst sogar der TSV Katzwang aus der Bezirksliga anrief und ihn verpflichtete. Music ist bald wieder zurückgekehrt zu Johannis 83, wo seine Kumpels aus Kindertagen spielen, wo das Flüchtlingskind aus Bosnien einst von seinem besten Freund mit zum Training genommen wurde und wo sie ihn seitdem so nehmen, wie er ist. In der Jugend haben sie ihn zwar einmal für ein halbes Jahr aus dem Verein geworfen, als er einen Konflikt mit vielen Ausdrücken und auch der ein oder anderen Faust zu lösen versuchte, aber der A-Jugendtrainer hat ihn dann wieder angerufen und begnadigt. Prompt wurden sie Meister, gewannen ein internationales Jugendturnier und Dino Music wurde Torschützenkönig. Was uns auch der Sache mit dem Gattuso näher bringt. „Na ja“, sagt Dino Music, „ich bin eben ein Heißsporn.“ Das ist auch der Grund, weshalb einer, der so veranlagt ist wie er, überhaupt in der A-Klasse spielt, wo man diejenigen, die schneller laufen, höher springen oder länger rennen können gern so lange tritt, bis sie liegen bleiben.
Wobei: Heute muss ihn niemand treten, heute trägt Dino Music nur einen Trainingsanzug, während die Teamkameraden gerade Tabellenführer Glaishammer an die Wand spielen. Kein Wunder, sie haben mehrere Heißsporne bei Johannis, auf die Schnelle zählt Music vier, die aus disziplinarischen Gründen aus der ersten in die zweite Mannschaft geschickt wurden, so wie er. Auch deshalb spielt die Reserve seitdem um den Aufstieg mit, besiegt Glaishammer mit 2:0. Eine Meisterschaft aus erzieherischen Maßnahmen, wenn es denn klappt.
Auf der Stirn halten Nylonfäden Musics Haut heute zusammen, er kann nicht mitspielen. Am Wochenende ist er mal wieder angeeckt, diesmal beim Türsteher der Diskothek. Eigentlich, sagen die Mitspieler, ist Dino schwer in Ordnung, er könnte nur seinen Ball öfter mal abspielen. Doch da spricht die Statistik für ihn: 21 Torvorlagen, so viel wie niemand sonst in dieser Liga. „Na ja“, sagt er, „vielleicht liegt das auch nur daran, dass kein anderer Verein seinen Vorlagengeber aufschreibt.“ Dino Music ist, wenn er nicht gerade Heißsporn ist, ein sehr sympathischer Gattuso. Einer, dem das Schicksal übel mitgespielt hat im noch kurzen Leben, so schlimm, dass man ihn am liebsten in den Arm nehmen möchte. Sein Vater fiel im Bosnienkrieg, als Dino keine sechs Monate alt war. Die Mutter schnappte in ihrer Not den Säugling und floh vor den Kriegswirren, vor Elend und Vertreibung, über Kroatien und Italien nach Deutschland. „Die Sprache musste ich mir selbst beibringen, wir konnten ja nur Bosnisch“, erzählt er. Sie kämpfen sich durchs Leben, Dino macht einen Schulabschluss, eine Lehre zum Anlagentechniker. Doch sein Traum war eigentlich ein anderer.
Dino Music, der im Herzen Deutschland und Bosnien trägt, verehrte erst Jens Lehmann, wegen dem er sich mit elf Jahren ins Tor stellte, später Landsmann Zvjezdan Misimovic, in der Abstiegssaison 2007/2008 Spielmacher des 1. FCN. „Ich habe ihn einmal in der Stadt auf der Straße gesehen“, so Music. Doch der Heißsporn traute sich nicht, sein Idol anzusprechen.
Ist er nicht mehr ein Misimovic als ein Gattuso? „Kann sein“, sagt er, „der läuft ja auch eher wenig und spielt gute Pässe.“ So wie bei der Weltmeisterschaft, für die sich Bosnien-Herzegowina erstmals qualifizierte. Das Land seiner Eltern, das Dino Music noch immer einmal im Jahr besucht, wo das Grab seines Vaters ist. „Ich war so stolz auf diese Mannschaft“, sagt er, jedes Spiel hat er verfolgt, sich sein Nationaltrikot, das er manchmal auch im Training trägt, übergezogen. Dann das Aus in der Vorrunde. „Ich war so traurig, dass ich nicht einmal in die Disco wollte. Ich bin dann wirklich einfach zu Hause geblieben.“ Die Nationalmannschaft, ja, ein Leben als Profi war bald kein Thema mehr. Auch, ob der Trainer ihn nun in der ersten oder in der zweiten Mannschaft einsetzt, ist Dino Music nicht mehr so wichtig. Er möchte nur Fußball spielen. „Natürlich hast du bessere Mitspieler in der Kreisliga, dafür sind die Gegner besser“, sagt er. „In der A-Klasse ist es einfacher, dafür hauen sie dich um, wenn du kicken kannst.“ Nein, die A-Klasse ist kein Pflaster für einen begabten Heißsporn.