2024-03-28T15:56:44.387Z

Allgemeines
– Foto: Timo Babic

"Glaubte nicht an die Worte, die meinen Mund verließen"

Mein schönster Fußballmoment: Deniz Top, damaliger Trainer der SSVg Heiligenhaus, über ein Spiel gegen den SC Cronenberg aus dem Jahr 2016, als sein Team aus einem 1:4 ein 5:4 machte - und Christian Schuh alle fünf Tore erzielte.

In unserer Serie "Mein schönster Fußballmoment" kann Deniz Top als ehemaliger Trainer der SSVg Heiligenhaus mit einem Fußballspiel aufwarten, das wahrschenlich eine viertellige Zuschauerzahl gehabt hätte, wenn man hätte erahnen können, was da gegen den Cronenberger SC am 3. April 2016 passieren würde. Aber lest selbst, wie Deniz Top, der heute wieder Spieler der SSVg ist, das beschreibt.
"In der Winterpause der Saison 2015/16 wurde ich vom spielenden Cotrainer zum Cheftrainer als Nachfolger meines Mentors, des Ex-Profis Dietmar Grabotin bei der SSVg Heiligenhaus ernannt. Am 25. Spieltag, 3. April 2016, traten wir als Aufsteiger im Heimspiel gegen die zweitbeste Mannschaft - hinter den Sportfreunde Baumberg, welcher als Absteiger aus der Oberliga das Nonplusultra in dieser Landesliga-Saison war - den SC Cronenberg an.

Bereits ab der ersten Minute dominierte ausschließlich der SC Cronenberg das Spiel und Geschehen. Sie erspielten sich eine nach der anderen Gelegenheit, ohne das wir auch nur ansatzweise ins Spiel fanden, geschweige denn, uns Torchancen erspielten. Einseitiger verlief im Rückblick keine andere Halbzeit in dieser Saison. Gut und gerne hätte es zur Halbzeit anstelle von 0:2 auch 0:5 oder 0:6 stehen können.

Der Halbzeitpfiff war eine wirkliche Erlösung, jedoch stellte ich mir den ganzen Weg von der Trainerbank bis in die Kabine nun die Frage, welche Worte ich wohl an meine Spieler richten sollte, da ich bereits während der ersten Halbzeit taktisch umgestellt und auch einen Spielerwechsel vorgenommen hatte, was aber nicht die gewünschte Wirkungen erzielt hatte.

Doch plötzlich sprudelte es nur so aus mir heraus. Ich redete von 'Vergesst die 1. Halbzeit, die arbeiten wir am Dienstag beim Training auf. Da sind 200 bis 300 Zuschauer draußen, und wir gehen nun raus und machen das Spiel unseres Lebens. Die zweite Halbzeit dieses Spiels wird in die Geschichte unseres Vereins eingehen. Alle die hier sind werden noch in fünf oder zehn Jahren darüber reden'. Und plötzlich geschah etwas Unglaubliches. Meine Spieler, welche anfänglich mit gesenktem Haupt in der Kabine saßen, waren nun voller Tatendrang und gingen mit breiter Brust sowie einem Kampfschrei raus. Ich muss ehrlicherweise gestehen, dass ich selbst - in Anbetracht dieser unglaublichen Dominanz des Gegners - nicht unbedingt an die Worte glaubte, die meinen Mund verließen.

Die zweite Halbzeit begann, und bereits mit dem erneuten Anpfiff schien alles Gesagte und vorgenommene hinfällig, denn der SC Cronenberg erzielte in der 47. Minute sein drittes Tor. Ich erwartete nun ein Debakel. Jedoch hatte ich die Rechnung ohne meine Spieler gemacht, denn diese zerrissen sich nun, indem sie nicht nur jeden Zweikampf annahmen, sondern auch gefällig nach vorne spielten, so dass Christian Schuh (alias Chapi) - welcher für mich nach wie vor einer der besten Stürmer am Niederrhein ist - in der 55. Minute das 1:3 erzielte. Jedoch stellte der SC Cronenberg drei weitere Zeigerumdrehungen später den kurz währenden Zwei-Tore-Abstand auf drei Tore wieder her. Nun stellte ich mich endgültig auf eine herbe Niederlage ein. Doch meine Spieler belehrten mich an diesem Sonntag ein weiteres Mal eines Besseren, denn erneut Christian Schuh verkürzte nach einem tollen Angriff auf 2:4. Hierbei möchte ich nicht auslassen, dass der SC Cronenberg weiterhin tollen Fußball bot, jedoch beste Torchancen nicht verwertete, um das bestehende Ergebnis deutlich hochzuschrauben.

Ich hatte noch einen Spielerwechsel zur Verfügung. Mein Ansinnen war es, die Heiligenhauser Fußball-Legende Hidayet Aydogan (alias Hidi) nach mehrwöchiger Verletzungspause in der Offensive ins Spiel zu bringen. Dieser lehnte eine Einwechselung aber überraschend ab, begründete dies mit der Überlegenheit des Gegners und dem mittlerweile offenen Schlagabtausch und legte mir nahe, mich doch selbst in die Defensive einzuwechseln, so dass das Ergebnis doch in Grenzen gehalten werden sollte. Von dieser Ehrlichkeit überrascht, folgte ich der Empfehlung meines Führungsspielers.

Nun war unser Wechselkontingent aufgebraucht, doch die nächste Hiobsbotschaft ließ nicht lange auf sich warten. Bei einer unglaublichen Rettungstat zog sich mein späterer Kapitän Phillip Horn (alias „Mr. Zuverlässig“) eine Zerrung zu, so dass er für die Hälfte der Mannschaft unbemerkt nach der Ausführung eines gegnerischen Eckballs das Feld in der 68. Minute verließ. In den letzten 20 Minuten ging der offene Schlagabtausch hüben wie drüben weiter.

Wiedermal Christian Schuh egalisierte mit zwei weiteren wunderschönen Toren, die bis kurz vor Schluss bestehende Führung des Gegners. Und auch hier hatte der SC Cronenberg vor jeweils beiden Toren beste Möglichkeiten, den Sack zuzumachen. Jedoch schien es nun so, als ob der Fußballgott sich heute eher zu uns hingezogen fühlte.

Meine Spieler wollten nun alles nach vorne werfen, um überaus vermessen nun mehr als nur einen Punkt zu holen, wobei ich sie erst einmal drauf aufmerksam machen musste, dass wir seit 20 Minuten in Unterzahl spielten. An den ungläubigen Gesichtern konnte ich erkennen, dass das so einigen Spielern bis hierhin gar nicht bewusst war. Wir entschieden uns, den einen Punkt daheim zu behalten und verbarrikadierten uns in unserer Hälfte, doch auch hier hatte ich die Rechnung ohne Christian Schuh gemacht, denn nach einem missglückten Angriffsversuchs des Gegners wollten wir den Ball eigentlich nur aus unserer Hälfte klären, jedoch sprintete Christian Schuh diesem Ball hinter her und schoss den Ball aus sage und schreibe 60 Metern Distanz über den gegnerischen Torwart hinweg ins Tor. Sein fünfter Treffer und zugleich der 5:4-Enstand. Was folgte war eine unbeschreibliche und auch unübersichtliche Jubeltraube von Spielern und Zuschauern. Zudem wehte nun eine sechs Mal sechs Meter große SSVg-Heiligenhaus-Fahne, die ich zuvor noch nie gesehen hatte. Unser bereits damals 90-jähriger Betreuer Peter Müller, und zugleich mein erster Trainer vor 30 Jahren, hatte mit all seiner Voraussicht beim Stand von 4:4 die Fahne aus einem Schrank hervor geholt. Peter wir lieben dich!

Was mir an diesem Tag passierte war für mich das Unglaublichste, was ich je auf einem Sportplatz erlebt habe, und für diese Erinnerung bin ich jedem einzelnen Spieler des Teams aus der Saison 2015/16 von Herzen dankbar."
Aufrufe: 022.11.2020, 12:00 Uhr
Sascha KöppenAutor