2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview der Woche
Stationen des Pierre Merkel: Den Karriere-Höhepunkt erlebte er 2012 bei Eintracht Braunschweig (ob. li.), davor trug er 2010 Grün in Waldalgesheim (ob. re.), 2009 Blau bei der Eintracht (un. li.) und startete 1999 in Schwarz-Weiß bei der DJK Adler.
Stationen des Pierre Merkel: Den Karriere-Höhepunkt erlebte er 2012 bei Eintracht Braunschweig (ob. li.), davor trug er 2010 Grün in Waldalgesheim (ob. re.), 2009 Blau bei der Eintracht (un. li.) und startete 1999 in Schwarz-Weiß bei der DJK Adler. – Foto: dpa/Daudistel/Luge/Sturm

Das Paket passt

Pierre Merkel erklärt seinen Wechsel von Berlin nach Bingen +++ Ex-Profi vor neuem Lebensabschnitt

BINGEN. Pierre Merkel ist zurück in der Heimat. Der gebürtige Bad Kreuznacher hatte nach Stationen bei Alemannia Waldalgesheim, Eintracht Kreuznach und SC Idar-Oberstein 2011 den Schritt in den Profifußball zu Eintracht Braunschweig gewagt. Nach Zwischenstopps in ganz Deutschland kehrt der mittlerweile 30-Jährige nun in seine Heimatregion zurück (wir berichteten ausführlich), spricht über kuriose Umstände seiner Rückkehr und Erlebnisse von der großen Fußballbühne.

Herr Merkel, nach neun Jahren Profifußball wechseln Sie in die Oberliga. Wie kam der Kontakt zu Hassia Bingen zustande?
Der Kontakt zu meinem ehemaligen Mitspieler Thomas Eberhardt ist über die Jahre nie abgebrochen. Wir haben immer mal wieder telefoniert oder geschrieben. Als ich ihm dann zu seinem Trainer-Job bei der Hassia gratuliert habe, flachste er, dass er noch einen treffsicheren Stürmer brauche. Ich habe ihm dann – nicht ganz ernst gemeint – gesagt, dass ich mir das durchaus vorstellen könnte, wenn die Umstände für mich passen. Tage später rief mich Thomas an und erzählte mir, er hätte alle Rahmenbedingungen geregelt und ich könne morgen zum Unterschreiben kommen. Dann ging alles recht schnell.

Welche Umstände haben Sie letztlich überzeugt und was macht die Hassia so attraktiv?
Da ich im April 31 Jahre alt werde, muss ich so langsam an meine Zeit nach dem Profifußball denken. Ich habe nach der Schule eine Ausbildung zum Schreiner begonnen und will in diesem Beruf nun Fuß fassen. Durch die Vermittlung des Vereins habe ich eine Vollzeitstelle gefunden, die mir aber gleichzeitig auch Fußball auf gutem Niveau ermöglicht. Das Gesamtpaket bei der Hassia hat einfach gepasst.

Sie waren in der Hinrunde in der Regionalliga Nordost beim Berliner AK bester Torschütze und Leistungsträger. Ist der Schritt zur abstiegsbedrohten Hassia in die Oberliga kein Rückschritt?
Ganz und gar nicht. Ich sehe es eher als einen neuen Lebensabschnitt, der eben beruflich nicht nur noch aus Fußball besteht. Außerdem ist es ja nicht so, dass ich in die Niederungen des Amateurfußballs wechsle. Die Oberliga hat auch gute Qualität. Man muss sich jedes Tor hart erarbeiten.

Wie ist der Eindruck von Mannschaft und Verein?
Der Trainingsauftakt diese Woche ist leider ausgefallen, sodass ich die Mannschaft in ihrer Gänze erst noch kennenlernen muss. Einige Spieler kenne ich allerdings noch aus meiner Zeit in Waldalgesheim oder Bad Kreuznach. Das sind alles Jungs mit hoher Qualität. Auf dem Papier haben wir jedenfalls eine richtig gute Truppe, die zu Unrecht so weit unten in der Tabelle steht. Das wollen wir in der Rückrunde ändern, dafür bin ich hier.

Hatten Sie in der Profi-Zeit Kontakt zu früheren Wegbegleitern aus der Region und den Werdegang der Ex-Vereine verfolgt?
Dadurch, dass meine Freunde weiter hier gespielt haben, hat sich das von alleine ergeben. Wann immer ich Zeit hatte, bin ich für einige Tage zurück in meine Heimat Bad Kreuznach gefahren und habe mir die Spiele der Eintracht angeschaut. Die Region liegt mir sehr am Herzen. Deswegen bin ich froh, wieder dauerhaft hier zu sein.

Sie haben bei neun Profi-Klubs in ganz Deutschland gespielt – von Nordrhein-Westfalen bis Sachsen – mit unterschiedlichen Fankulturen und Vereinsstrukturen. Welche Rolle hat das Umfeld eines Vereins gespielt?
Besonders in der Regionalliga gibt es eine große Diskrepanz zwischen Traditionsvereinen mit Fanpotenzial und sogenannten „Dorfklubs“. Ich habe für beide Arten von Vereinen gespielt. Und es macht natürlich einen Unterschied, ob du vor 5000 oder vor 200 Leuten spielst. Besonders in sportlich schlechteren Zeiten, in denen die Moral bei dem ein oder anderen auch mal in den Keller geht, hilft dir eine treue Fanbase extrem weiter. Deswegen kann ich versichern, dass es nicht nur Gerede ist, wenn sich Spieler bei den Fans für den Support bedanken.

Das Highlight Ihrer Karriere war sicher der Aufstieg in die Bundesliga mit Eintracht Braunschweig 2013. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Das war wirklich ein absolut überragendes Jahr. Einen Bundesliga-Aufstieg machen nicht viele Spieler mit. Daher bin ich extrem dankbar, dass ich bei der Eintracht damals meine Chance bekommen habe. Ich kam als unbekannter Oberliga-Stürmer zu den Löwen und war zwei Jahre lang Bestandteil einer ganz tollen Mannschaft. Besonders bleiben mir meine beiden Tore in der Aufstiegssaison in Erinnerung, durch die auch ich einen kleinen Beitrag zu unserer fantastischen Spielzeit beisteuern konnte.

Auch bei anderen Stationen haben Sie viele Höhen und Tiefen miterlebt. Welches Erlebnis löst Jahre später noch Emotionen aus?
Meine Zeit bei Chemie Leipzig war sowohl eine meiner schönsten Stationen als auch die vielleicht bitterste Zeit. Wir haben die gesamte Saison gegen den Abstieg gespielt. Am vorletzten Spieltag waren wir bei Hertha BSC II zum Siegen verdammt. Das Spiel hätte nicht schlimmer laufen können, wir stiegen nach einer 0:5-Klatsche ab. Statt sauer zu sein, haben uns unsere zahlreich mitgereisten Fans nach dem Abpfiff getröstet und wieder aufgebaut. Ein paar Wochen später haben wir dann vor ausverkauftem Haus den Landespokal geholt und sind in den DFB-Pokal eingezogen. Der Verein und besonders seine Fans sind etwas ganz Besonderes und werden immer in meinem Herzen bleiben.

Nun ist die Hassia in einer ähnlichen tabellarischen Situation. Was erwarten Sie in den nächsten Wochen in Bingen?
Wir haben gleich zu Beginn der Rückrunde mit Gonsenheim, Schott Mainz und dem Kellerduell gegen Ludwigshafen drei ganz schwere und wichtige Spiele vor der Brust. Unser Ziel muss es sein, daraus mindestens fünf Punkte zu holen und so Druck auf unsere Konkurrenten auszuüben. Alles, was danach kommt, spielt in meinen Gedanken momentan eine untergeordnete Rolle. Über das Saisonende hinaus zu planen oder Ziele zu formulieren, macht in unserer Situation sowieso keinen Sinn. Ich kann es jedenfalls kaum erwarten, wieder auf dem Platz zu stehen und dem Verein bei der Mission Klassenerhalt zu helfen.

Aufrufe: 017.1.2020, 18:00 Uhr
Niklas AllmrodtAutor