2024-04-25T10:27:22.981Z

Interview
Support aus der Hauptstadt: Union Berlin-Profi Michael Parensen (Mitte) unterstützte das Benefiz-Turnier im November 2016 in Bredenborn. Als Everser fühle er sich weiterhin mit der Heimat verbunden. Mit dabei sind die Firefighter Ludger Heine (l.) und Matthias Schmidt. Foto: Jonas Gröne
Support aus der Hauptstadt: Union Berlin-Profi Michael Parensen (Mitte) unterstützte das Benefiz-Turnier im November 2016 in Bredenborn. Als Everser fühle er sich weiterhin mit der Heimat verbunden. Mit dabei sind die Firefighter Ludger Heine (l.) und Matthias Schmidt. Foto: Jonas Gröne

"Bei uns werden Grätschen lauter bejubelt als anderswo Titel

Der aus Eversen stammende Michael Parensen ist Zweitliga-Rekordspieler bei Union Berlin. Der 30-jährige Profifußballer erklärt im Interview den Kultklub, der erstmals auf die Bundesliga zusteuert

Michael Parensen (30) hat beim VfL Eversen das Fußballspielen erlernt. Über die Jugendstationen TuS Bad Driburg und SC Paderborn wechselte er 2002 in die Jugend von Borussia Dortmund. Von der U16 bis U18 spielte der Everser 17-mal in der deutschen Nationalmannschaft. Seine ersten Seniorenjahre spielte er bei Borussia Dortmund II in der Regionalliga, ehe er 2007 zum 1. FC Köln ging, wo er auch in der zweiten Mannschaft spielte. Seit 2009 spielt der Linksverteidiger für Union Berlin und absolvierte 185 Zweitligaspiele für die „Köpenicker". Das sind die meisten in der Vereinsgeschichte. Zurzeit liegt Union nach der Niederlage im Spitzenspiel gegen Hannover 96 auf dem dritten Platz der 2. Liga und könnte erstmals in die Bundesliga aufsteigen. Das wäre auch für Parensen der größte Erfolg in seiner Karriere.

Herr Parensen, es gab dieses Union-Fanplakat, auf dem stand: „Scheiße, wir steigen auf

Michael Parensen: Das ist typisch Union! Diese Diskussion gibt es jedes Jahr. Die einen sagen: „Boah, jetzt müssen wir hoch!" Und die anderen: „Uns geht es so doch ganz gut." Das charakterisiert diesen Verein ganz gut.

Wenn es einer weiß, dann Sie als aktueller Zweitliga-Rekordspieler des Klubs: Warum wollen die Leute nicht aufsteigen?

Parensen: Sie sehen in dem kommerziellen Fußball einen Widerspruch. Sie wollen dieses Spiel, bei dem es nur darum geht, so viel Geld wie möglich zu machen, um sportlich erfolgreich zu sein, nicht mitspielen.

Denken Sie und Ihre Mitspieler genauso?

Parensen: Wir sind Sportler und wollen den maximalen Erfolg. Doch obwohl ich nachvollziehen kann, wie die Leute ticken, sage ich: Der Verein muss alles mitnehmen, was geht. Denn auf Dauer wird es nur funktionieren, wenn du dich gewissen Sachen öffnest – sonst wirst du abgehängt.

Als Aufstiegskandidaten waren allen voran die beiden Absteiger Hannover und Stuttgart gehandelt worden. Tabellenführer waren aber Sie!

Parensen: Viele Zweitligaspiele sind 50:50 und werden über Standards oder den Willen entschieden. Ich habe auch damit gerechnet, dass sich die Qualität der beiden über die Saison durchsetzt. Aber unsere Art Fußball zu spielen passt eben besser zur 2. Liga.

Das heißt?

Parensen: Wir setzen voll auf Gegenpressing, jagen 90 Minuten den Ball. In der 1. Liga würde es da für uns wahrscheinlich schwer werden. Man sieht es jetzt an Leipzig, die damit auch nicht mehr so gut zurechtkommen. Bundesliga-Spieler schaffen es, diese Situationen unter Druck zu lösen.

Was haben Stuttgart, Hannover und Braunschweig, was Union nicht hat?

Parensen: Zumindest die Erfahrung, schon mal aufgestiegen zu sein. Wir brauchen auch nicht darüber zu reden, dass Hannover und Stuttgart die nominell besten Kader der Liga haben. Das ist es dann aber auch.

Sie spielen in einem Team voller Nobodys. Widerspruch?

Parensen: Das kann man so sagen. Es sind viele Spieler, die jetzt gerade ihre beste Phase in ihrer Karriere haben .

Bei Union ist immer auch vom Kultklub die Rede. Warum?

Parensen: Der Umgang der Menschen mit dem Verein – und andersrum – ist speziell. Der Präsident ist von Grund auf Fan des Vereins, versucht den Klub zu sozialisieren. Er will den Leuten guten Fußball bieten – und dafür geben sie extrem viel zurück.

Zum Beispiel?

Parensen: Es gab in meiner ganzen Zeit hier, egal wie schlecht wir waren, wirklich nur ein 0:4 in Dresden, wo die Fans gepfiffen haben. Wenn die sehen, es wird alles gegeben, honorieren sie das auch. Dieses Verhältnis so beizubehalten und sportlich trotzdem erfolgreich zu sein wird in Zukunft die Kunst sein.

Klingt romantisch. Was verstehen Sie unter Fußballromantik?

Parensen: Einen Begriff, der verklärt. Ich sehe da ehrlich gesagt nur schwarz-weiße Fotos (lacht). Früher war alles besser – Ich bin da niemand für. Ich würde den Kern von Union auch eher als Fußball in Reinkultur sehen, wo es auch darum geht: Elf Freunde müsst ihr sein und auf dem Platz alles geben. Bei uns werden Grätschen lauter bejubelt als anderswo Titel.

Ist das Ihr Erfolgsgeheimnis?

Parensen: Wir haben einfach einen sehr guten Plan, in den jeder Spieler ganz einfach einspringen kann. Wir haben in der Rückrunde etwa nicht zweimal in Folge mit der gleichen Aufstellung gespielt. Und wir stellen mit Damir Kreilach und Steven Skrzybski die beiden laufstärksten Spieler der Liga. Dazu haben wir diese Gier in Verbindung mit der mannschaftlichen Geschlossenheit.

Sie haben mit dem Verein noch in der 3. Liga gespielt. Ist diese Saison anders?

Parensen: Mit Sicherheit. So eine erfolgreiche Zeit hatten wir noch nie. Die Leute reden über uns. In den vergangenen Jahren hatten wir immer auch Trainer, die viel Druck ausgeübt haben. Jetzt muss nicht mehr alles hundertprozentig funktionieren.

Und das ist ausgerechnet Jens Keller, der auf Schalke großen Druck gewohnt war, zu verdanken?

Parensen: Der Trainer ist eben ein typischer Ex-Spieler, weiß, wie die Leute ticken, und findet eine gute Mischung aus Härte, Disziplin und Lockerheit.

Gab es so etwas wie Union in der Bundesliga schon einmal?

Parensen: Als Verein gab es so was wie uns ganz bestimmt noch nicht. Union wäre eine Bereicherung für die Bundesliga. Ich glaube auch, viele Leute würden unseren Aufstieg gut finden.

Würde sich dadurch das Wesen des Vereins ändern?

Parensen: Es wäre zumindest eine Riesenherausforderung, es so weiterlaufen zu lassen. Du musst dich halt anpassen. Du musst halt Spieler bezahlen, die ein Vielfaches verdienen und Ablöse kosten. Und deswegen musst du mehr Geld einnehmen. Es wird interessant, wie der Verein diesen Spagat angehen würde.

Das Interview führte Tim Lüddecke vom RedaktionsNetzwerk Deutschland

Aufrufe: 04.4.2017, 16:36 Uhr
Tim LüddeckeAutor