2024-04-16T09:15:35.043Z

Interview
Daumen nach oben: Stefan Kießling hat den Sprung aus Bamberg ins Fußballoberhaus geschafft.
Daumen nach oben: Stefan Kießling hat den Sprung aus Bamberg ins Fußballoberhaus geschafft. – Foto: Getty Images

Kießling: »Ich bin in meiner Karriere immer ein Arbeitstier gewesen«

Teil 1 des großen Exportschlager-Interviews aus Oberfranken mit dem ehemaligen Bundesligaprofi Stefan Kießling.

Stefan Kießling hat in seiner Karriere alles erlebt. Vor einem Spieltag in der Europa League nahm sich der gebürtige Lichtenfelser die Zeit für ein Interview. Im ersten Teil spricht der ehemalige Torjäger, der heute noch für Bayer 04 Leverkusen arbeitet, über seine fußballerischen Anfänge in Bamberg, die Zeit beim Club sowie seinen Wechsel nach Leverkusen. Ein Gespräch über Rekorde und Rückschläge.

FuPa: Herr Kießling, Ihre Karriere begann einst in Bamberg. Welchen Stellenwert hat der Verein für Sie?

Einen sehr großen. Mein Opa hatte den TSV Eintracht Bamberg, den es heute so nicht mehr gibt, damals mitgegründet. Mein Vater, mein Onkel sowie mein Opa und auch mein Cousin haben dort gespielt und so bin ich von klein auf in den Verein hineingewachsen.

Kommen Sie noch oft in die Heimat zurück, dorthin wo alles angefangen hat?

In der Regel zwei-, dreimal im Jahr. Meistens besuchen wir meine Familie vor Weihnachten, was im vergangenen Jahr durch Corona aber ausgefallen ist, und an Geburtstagen versuche ich mich in Bamberg blicken zu lassen.

Sie haben als Torwart angefangen. Wie kam der Umschwung, dass Sie letztendlich ganz vorne im Sturmzentrum gelandet sind?

Mein Vater war viele Jahre als Torwart bei Eintracht Bamberg aktiv. Er war mein Trainer in den ersten Jahren in der Jugend, weshalb er mich damals ins Tor gestellt hat. Wir waren in den jungen Jahren eine sehr gute Truppe, so dass nur wenige Bälle auf mein Tor kamen. Dann habe ich gesagt: Lasst mich mal raus, ich will auch Tore schießen. Das hat sehr gut gepasst und ich habe gemerkt, dass mir das Toreschießen einfach mehr liegt.

Kießling über seinen Wechsel nach Nürnberg: »Das war wie in der Lehre«

Von Bamberg sind Sie dann zum Club-Nachwuchs gewechselt. Ist für Sie mit dem Wechsel in die U19 ein Traum in Erfüllung gegangen?

Ich denke, wenn du es als Franke schaffst, beim 1. FC Nürnberg unterzukommen, ist das etwas Großartiges. Auch wenn ich mit dem Wechsel nach Nürnberg in meinen Augen das Ziel Profifußball noch nicht erreicht hatte. Ich hatte aber immer den Willen, es unbedingt schaffen zu wollen. Diesen Weg so einzuschlagen, hat sich im Nachhinein als gute Entscheidung erwiesen.

Mit den Profis sind Sie in Ihrer ersten Saison direkt in die 2. Liga abgestiegen, um im Folgejahr wieder aufzusteigen. So waren Ihre ersten Jahre wahrlich eine turbulente Zeit.

Definitiv, ja. Ich wurde damals ins kalte Wasser geworfen. Als A-Jugendspieler habe ich im Abstiegsjahr unter Klaus Augenthaler oft bei den Profis mittrainieren dürfen und auch mein Bundesligadebüt gegeben. Das war wie in der Lehre, dir wurde als Jugendlicher nichts geschenkt. Als Wolfgang Wolf als Trainer zum Club gestoßen ist, und wir ins Trainingslager gefahren sind, war es ein wahnsinniges Erlebnis für mich, als fester Teil der Mannschaft dabei sein zu dürfen.

Wolfgang Wolf führte den Club in der Saison 2003/04 zurück ins Fußballoberhaus. War er für Sie ein Mentor?

Ja, ich kann mich heute noch an eine spezielle Situation im Trainingslager erinnern. Wir hatten nach dem Aufwärmen einen Kreis gebildet, um uns zu dehnen. Wolfgang Wolf kam zu mir und hat mich gefragt, ob ich mich fit fühle. Dann sagte er mir auf dem Platz, dass wir uns nach dem Trainingslager zusammensetzen und er mir einen Profivertrag geben möchte. Das war ein unglaubliches Gefühl. Diese Nachricht hat mir gezeigt, dass Leistung belohnt wird und es kein Nachteil ist, auch mal eine Meinung zu vertreten, die nicht allen gefällt.

Arbeitstier: Stefan Kießling, hier im Zweikampf mit dem damaligen Hoffenheimer Verteidiger Kevin Akpoguma, schirmt den Ball ab.
Arbeitstier: Stefan Kießling, hier im Zweikampf mit dem damaligen Hoffenheimer Verteidiger Kevin Akpoguma, schirmt den Ball ab. – Foto: Getty Images


Zum perfekten Einstand kommt dann noch Ihr erstes Pflichtspieltor für den Club dazu…

…im Derby gegen Fürth. Daran erinnere ich mich gerne zurück. Ich wurde eingewechselt, Marek Mintal hat den Ball per Flanke reingegeben, und ich stolperte ihn mit dem Bauch ins Tor. Es war ein typisches Kießling-Tor, mit dem alles angefangen hat – und der so wichtige Ausgleich im Derby. Einen besseren Anlass für das erste Tor gibt es nicht.

Was haben Sie damals von Marek Mintal gelernt?

Er war einfach ein Vollblutprofi, von dem ich mir als damals 18-Jähriger in puncto Spielweise und Abschluss viel abschauen konnte. Es war eine schöne Zeit, in der ich solche Charaktertypen wie Marek kennenlernen durfte. Ich konnte zu ihm aufschauen, und er hat mir mit Rat und Tat dabei geholfen, dass ich mich weiterentwickeln konnte.

Fußball und Kochen: »Die beiden Sachen haben nicht zusammengepasst«

Apropos Erfolgsrezepte. Sie haben auch ein eigenes Kochbuch auf den Markt gebracht. Ist das Kochen Ihre zweite Leidenschaft neben dem Fußball?

Ich würde das Kochen eher als Hobby bezeichnen. In der Schule hatte ich Hauswirtschaftsunterricht und in den Praktikumswochen durfte ich in den Berufsalltag eines Kochs hineinschnuppern, weil ich mich sehr für das Kochen und das Backen interessiert habe.

Wäre eine Ausbildung zum Koch eine Alternative zum Fußball gewesen?

Nein, ich denke nicht. Koch bin ich deshalb nicht geworden, weil ich es mit dem Fußball nicht vereinbaren konnte. Ich hätte am Wochenende arbeiten müssen, gleichzeitig hatten wir in der B-Jugend sonntags gespielt. Diese beiden Sachen haben nicht zusammengepasst.

Trotzdem haben Sie Ihr eigens Kochbuch herausgebracht.

Das stimmt. Ich hatte mit einer Firma zusammengearbeitet, die meine Vermarktung übernommen hat. In einem Gespräch sind wir auf die Idee gekommen. Das Buch wurde komplett für den guten Zweck produziert.

Es trägt den Namen „Erfolgsrezepte“. Welches Rezept sorgt Ihrer Meinung nach aus sportlicher Sicht für Erfolg?

Ich bin in meiner Karriere immer sehr fleißig, ein echtes Arbeitstier gewesen. Deswegen würde ich immer den Tipp geben, niemals stehen zu bleiben. Jeder kann stets dazulernen, egal in welcher Position man sich befindet.

Und welche Gerichte überzeugen Sie kulinarisch?

Das ist eine schwierige Frage. Ich esse eigentlich alles.

– Foto: Getty Images

Kießling: »In Leverkusen hat mich das Gesamtpaket angesprochen«

Im Sommer 2006 sind Sie trotz großem Interesse vom FC Bayern, dem FC Arsenal sowie dem VfL Wolfsburg zu Bayer 04 Leverkusen gewechselt. Wieso?

Es war für mich eine große Ehre, dass sich solche Vereine um mich bemüht haben. Aber ich war davon überzeugt, dass der Schritt nach Leverkusen für mich genau der richtige war. Ein Wechsel zum FC Bayern oder nach London wäre zum damaligen Zeitpunkt ein zu großer Schritt gewesen. In Leverkusen hat mich das Gesamtpaket angesprochen.

Wie sah dieses Paket konkret aus?

Der Verein hat sich sehr um mich bemüht. Wir haben gute Gespräche geführt, in denen ich eine große Wertschätzung gespürt habe. Daher war für mich schnell klar, dass ich mich in Leverkusen weiterentwickeln möchte und ich dort den nächsten logischen Schritt gehen kann. Das ich heute immer noch hier bin, zeigt, dass ich mich damals richtig entschieden habe.

Trotzdem war das erste Halbjahr in Leverkusen kein einfaches für Sie.

Das stimmt. Ich bin in der Vorbereitung auf die Saison 2006/07 eigentlich gut reingekommen. Die Erwartungen an mich waren durch die Ablösesumme natürlich hoch. Zudem hat Dimitar Berbatow damals Leverkusen verlassen und eine große Lücke ins Sturmzentrum hinterlassen. Eigentlich war geplant, dass wir als Duo im Angriff agieren. Stattdessen war ich als 21-Jähriger auf mich allein gestellt.

Einen entscheidenden Anteil daran, dass Sie dem Druck standgehalten haben, hatte Ihr damaliger Trainer Michael Skibbe.

In der Tat. Er hat mich in der Winterpause zur Seite genommen und mir erklärt, dass er mich auf der Außenposition einsetzen möchte. Das hat gut funktioniert, sodass ich sowohl Treffer auflegen als auch selbst erzielen konnte. So habe ich mich binnen einer Saison in die Mannschaft gespielt.

Der Ball, mein Freund: Stefan Kießling erzielte in der Saison 2012/13 stolze 25 Treffer und wurde Torschützenkönig der Bundesliga.
Der Ball, mein Freund: Stefan Kießling erzielte in der Saison 2012/13 stolze 25 Treffer und wurde Torschützenkönig der Bundesliga. – Foto: Getty Images

In der Saison 2008/09 kam Patrick Helmes, mit dem Sie als Duo insgesamt 33 Tore und 14 Vorlagen beisteuern konnten. Inwieweit hat die Freundschaft zwischen Euch dazu beigetragen, dass es auch sportlich harmonierte?

Wir waren ein starkes Duo. Das System war in dieser Saison auf zwei Spitzen ausgelegt, und es war klar, dass Patrick und ich spielen werden. Wir haben uns nicht um einen Stammplatz duelliert, sondern uns perfekt ergänzt. Wir haben uns blind verstanden, wussten ganz genau, was der andere auf dem Platz macht. Er ist ungern gelaufen, da habe ich einige Meter für ihn mitgemacht. Andersrum hat er mir vieles abgenommen und war eiskalt vor dem Tor. Ich denke, wir haben uns als Freunde auf und neben dem Platz gutgetan. Es ist wichtig, solche Freundschaften, die durch den Fußball entstehen, auch abseits des Platzes zuzulassen.

Ein Jahr später gelang Ihnen unter Jupp Heynckes der Durchbruch. Sie erzielten 21 Tore und bereiteten sieben Treffer vor. Wie hat er Ihnen konkret geholfen?

Jupp ist ein sehr herzlicher und menschlicher Typ. Das war für unsere Truppe damals enorm wichtig. Er hat sich als Trainer um jeden Spieler gekümmert. Mich hat er oft in den Arm genommen und mir Mut zugesprochen – das hat mich weitergebracht. Er war großartig darin, die Spieler im richtigen Moment zu fordern. Diese Impulse haben die Eigenmotivation noch einmal gesteigert.


Schockmoment im Jahr 2010: Stefan Kießling zog sich in der Partie gegen den 1. FC Nürnberg einen Syndesmose-Riss zu.
Schockmoment im Jahr 2010: Stefan Kießling zog sich in der Partie gegen den 1. FC Nürnberg einen Syndesmose-Riss zu. – Foto: Getty Images


Auf diesen Höhenflug folgte dann in der Saison 2010/11 der Schock…

…es passierte auch noch im Spiel gegen Nürnberg. Ich habe mir einen Syndesmose-Riss zugezogen. Es war nicht schön, aber es gehört zum Sport einfach dazu, sich durch eine Reha zu kämpfen.

Ist diese Kämpfermentalität, die Sie an den Tag legten, eine Ihrer großen Stärken?

Ich habe sehr ehrgeizig an meinem Comeback gearbeitet. Das liegt in meiner Natur, und so war ich schnell wieder zurück auf dem Platz. Die Verletzung hat mich definitiv beeinflusst. Aber ich habe auch in dieser Situation das Positive gesehen. Ich denke, das zeichnet mich aus.

Letztendlich stand am Saisonende mit Platz 2 auch die direkte Qualifikation für die Champions League zu Buche.

Das war der Wahnsinn. Wir haben damals als Mannschaft einfach Großes erreicht.

Kießling über die Saison 2012/13: »Kaufen kann ich mir von diesen Rekorden nichts«


"Es war ein einzigartiges Gefühl": Stefan Kießling schwärmt von den Partien in der Königsklasse.
"Es war ein einzigartiges Gefühl": Stefan Kießling schwärmt von den Partien in der Königsklasse. – Foto: Getty Images


Erinnern Sie sich noch an den 13. September 2011?

Definitiv, ja. Diesen Abend werde ich niemals vergessen. Das war mein Debüt in der Champions League gegen den FC Chelsea. Leider haben wir damals 0:2 verloren.

Inwieweit war der Auftritt in Europas prestigeträchtigstem Klubwettbewerb die Bestätigung dafür, es nun als Fußballer geschafft zu haben?

Jeder kennt dieses Gänsehautgefühl, wenn die Champions-League-Hymne im Stadion läuft. Und dann noch auf dem Platz zu stehen, war ein einzigartiges Gefühl. Ich habe jede Sekunde auf der internationalen Bühne genossen. Wir haben in den Jahren meist gut mitgehalten, ab und an auch mal eine auf den Deckel bekommen. Das gehört dazu. Alles in allem bleibt es für mich eine großartige Erinnerung.

In der darauffolgenden Saison 2012/13 haben Sie 25 Tore erzielt und damit den Vereinsrekord von Ulf Kirsten (22 Tore) geknackt, die Torjägerkanone geholt und die Marke der 100 Bundesliga-Tore durchbrochen. Waren Ihnen die persönlichen Bestmarken wichtig?

Nein. Eher weniger. Ich bin nicht mit dem Ziel in die Saison gegangen, dass ich die Rekorde brechen möchte. Ich bin vielmehr Sportler und versuche immer mein Bestes zu geben, aber kaufen kann ich mir von diesen Rekorden nichts. Für mich steht die Mannschaftsleistung immer im Vordergrund. Der Erfolg des Teams. Dazu wollte ich immer beitragen.


Das Interview führte Niklas Korzendorfer



Aufrufe: 09.2.2021, 12:00 Uhr
Niklas KorzendorferAutor