2024-04-30T13:48:59.170Z

Allgemeines
Geld regiert die (Fußball)Welt. Aber muss man auch als Hobbykicker schon nach Kohle schielen? 	Archivfoto: dpa
Geld regiert die (Fußball)Welt. Aber muss man auch als Hobbykicker schon nach Kohle schielen? Archivfoto: dpa

»Aus meiner Sicht toxisch für den Fußball«

UNTERE LIGEN: +++ Auch in unteren Ligen wird von wechselwilligen Akteuren häufig schon die „Geldfrage“ gestellt / Trainer schildern ihre Erfahrungen +++

GIESSEN. „Elf Freunde müsst ihr sein, wenn ihr Siege erringen wollt!“ Dieses Motto war auf dem Sockel der „Viktoria-Statue“, der Vorgängerin der heutigen Fußball-Meisterschale, eingraviert. Mit den Freundschaften ist es im Profifußball nicht mehr weit her, aber auch im Amateurfußball, selbst in unteren Klassen, sorgen Ablösesummen, Gehälter und Handgeld hier und da für Unmut, vor allem bei den Übungsleitern.

„Das ist nicht meine Auffassung von Breitensport und eines Hobbys“, führt beispielsweise Matthias Lehmann, Trainer des Kreisliga-A-Aufsteigers FSV Fernwald II, aus. Lehmann führte vor allem nach der Meisterschaft in der Kreisliga B1 zahlreiche Telefonate, um Neuzugänge zur Hessenliga-Reserve zu locken. „Da waren vor allem sehr viele junge Spieler dabei, weil das der Weg ist, den wir mit der zweiten Mannschaft gehen wollen. Doch wenn sich die erste Frage nicht um die sportliche Perspektive, sondern darum dreht, wie viel Geld man monatlich dazu verdienen kann, ist das aus meiner Sicht toxisch für den Fußball.“

Dass der Name Fernwald, ob der in Hessens höchster Klasse spielenden ersten Mannschaft, zudem wohl Spieler dazu verleitet, anzunehmen, dass auch in der zweiten Mannschaft Geld fließt, kommt noch hinzu. „Das ist aber nicht meine Vorstellung von Fußball, dass in der A-Klasse Spieler bezahlt werden“, fügt Lehmann an.

Zudem vermisst der Meistertrainer bei vielen Kickern mittlerweile auch eine gesunde Selbsteinschätzung. „Viele bekommen Flöhe ins Ohr gesetzt. Ihnen wird erzählt, wie gut sie schon sind und was sie erreichen können. Selbstvertrauen ist ja wichtig und die eine Sache, eine gesunde Selbstreflexion ist aber die andere. Mit welchen Ansprüchen Spieler aus der Jugend kommen oder von der Bank aus höheren Ligen, da kann man sich nur wundern“, beschreibt Lehmann, der zudem anmerkt, dass auch die Einstellung, sich durchzubeißen, zumeist verloren gegangen ist. „Manche haben ja in der Jugend oder zu Beginn der Aktivenzeit schon mehr Stationen hinter sich, als andere nach einer ganzen Karriere.“

Auf mehrere Spielertrainer-Jahre blickt auch Marco Vollhardt bereits zurück. Dass der 29-Jährige aber mittlerweile Teammanager beim FC Gießen und nicht mehr Coach ist, dazu hat auch die Einstellung so mancher Kicker geführt, die er in seiner Zeit als Trainer der Sportfreunde Burkhardsfelden am Telefon hatte. „Ein wenig überspitzt könnte man sagen, dass jeder, der mal irgendwo gegen den Ball getreten hat, meint, er könne damit Geld verdienen. Was ist aus den Zeiten geworden, in denen man aus Spaß seinem Hobby nachgegangen ist und wegen der Kameradschaft?“, fragt sich Vollhardt.

Dieser hält von Gehältern in tieferen Klassen, die über eventuelle kleine Punktprämien hinausgehen, nichts, sieht aber keine Ansatzpunkte, um das Rad wieder zurückzudrehen. „Wenn du einmal in diesem Strudel drin bist, ist es schwer, wieder herauszukommen. Vielen geht es gar nicht mehr darum, sich in einer Liga zu profilieren. Damit kannst du nicht mehr locken“, glaubt Vollhardt. Dass es mittlerweile so viele Spielgemeinschaften gibt und Vereine eigenständig immer weniger überleben können, sieht der 29-Jährige neben einer oftmals mäßigen Jugendarbeit vor allem auch darin begründet, dass viele Kicker wegen des Geldes zu finanziell potenteren Vereinen abwandern.

In 22 Trainerjahren, in denen Thorsten Hillgärtner Teams von der B- bis zur Verbandsliga trainiert hat, ist dem Fußballlehrer ebenfalls nur wenig fremd. „Sicherlich ist es so, dass einem Spieler bei einem Telefonat direkt gesagt haben: Bevor du weiterredest, unter Summe X komme ich nicht’. Auch dass direkt nach Handgeld gefragt wurde, ist alles andere als ungewöhnlich“, berichtet der 50-Jährige von seinen vielfältigen Erfahrungen.

Dass Spieler, die einmal Geld bekommen haben, auch bei ihrem nächsten Verein diesen „Status“ halten wollen, empfindet der Trainer des A-Ligisten FC Großen-Buseck als normal, er gibt letztlich den Clubs die Schuld für dieses Gebaren. „Wenn ein Spieler drei, vier Angebote vorliegen hat und pokert, gibt es sicherlich einen Verein der ihm die Summe bezahlt. Dabei gibt es schon zahlreiche Beispiele, in denen Vereine daran kaputtgegangen und in der Versenkung verschwunden sind, einen Lerneffekt löst das bei anderen aber offenbar nicht aus“, sagt Hillgärtner, der aber nicht alle Kicker in einen Topf werfen will. „Es gibt auch schon noch Spieler, die vielleicht wegen einer bestimmten Liga zu einem Verein wechseln oder wegen der Kameradschaft. Das ist bei uns in Großen-Buseck der Fall, das macht auch großen Spaß.“

Vielleicht sorgt die „Corona-Krise“ gezwungenermaßen für ein Umdenken bei den Vereinen, sollten die Sponsorengelder nicht mehr in gewohnter Form sprudeln. Ein Umdenken bei den Spielern wäre aber noch wünschenswerter. „Elf Freunde müsst ihr sein!“ Es wäre schön, diesen Spruch wieder mit mehr Leben zu füllen und nicht nur als Relikt einer längst vergangenen Zeit in Erinnerung zu behalten.



Aufrufe: 016.7.2020, 08:00 Uhr
Gießener AnzeigerAutor