2024-04-23T13:35:06.289Z

FuPa Portrait
Auch mit 77 Jahren greift Artur Alt zur Pfeife. Der Schiedsrichter wird demnächst sein 8000. Spiel leiten. Als er anfing, gab es weder Gelbe noch Rote Karten.	F.: Georg Schalk
Auch mit 77 Jahren greift Artur Alt zur Pfeife. Der Schiedsrichter wird demnächst sein 8000. Spiel leiten. Als er anfing, gab es weder Gelbe noch Rote Karten. F.: Georg Schalk

Artur Alt pfeift aus Leidenschaft

Der 77-Jährige sagt, er habe das schönste Hobby – obwohl oft über Unparteiische geschimpft wird +++ Demnächst leitet er sein 8000. Spiel und er immer noch nicht auf

Fußball, das ist sein Leben. Auf wenige passt dieser Satz so gut wie auf Artur Alt. Was hat der 77-Jährige nicht alles erlebt: Triumphe, Debakel, Abstiege, Aufstiege, Entscheidungsspiele, schöne Tore, böse Fouls. Meist hatte der Schiedsrichter alles im Griff, fast immer beruhigte er mit seiner ausgleichenden Art erhitzte Gemüter. Am Samstag, 27. August, wird er um 18 Uhr sein 8000. Spiel anpfeifen: Dabei stehen sich die AH-Fußballer des SV Gessertshausen und der SpVgg Westheim/Hainhofen gegenüber.

Artur Alt ist ein Mensch der Zahlen. Sie sprudeln nur so aus ihm heraus. Zehn Jahre hat er in der Landesliga gepfiffen, 21 Jahre in der Bezirksliga, 55 Jahre im Männerbereich, 1280 Mal hat er am Training der Schiedsrichter teilgenommen. 35 Jahre war er als Schiedsrichter-Einteiler tätig, hat 120.000 Spiele angesetzt. 30 Jahre stand er der Schiedsrichter-Vereinigung Augsburg als stellvertretender Obmann vor.
Ob er der Schiedsrichter ist, der in der deutschen Geschichte die meisten Fußballspiele geleitet hat? „Ich kenne keinen anderen, der mehr hat“, meint Alt selbstbewusst. Sicher sagen kann er, wie viele er hat. Über jedes führt er Buch, 129 Seiten sind mit Schreibmaschine vollgeschrieben. Unzählige Seiten Papier, stumme Zeugen eines bewegten Schiedsrichter-Lebens.

Die Leidenschaft, mit der der gebürtige Augsburger seit 1960 seinem Hobby an der Pfeife nachgeht, verdeutlicht eine Geschichte: Ein A-Klassen-Spiel (heute Kreisliga) in Ecknach leitete Alt mit besonderem Schuhwerk. Ihm war eine Palette mit Baustoffen auf den Fuß gefallen, er wurde so dick, dass er in keinen Schuh mehr reingepasst hat. „Da habe ich eben in Sandalen gepfiffen“, erzählt Alt mit einem Augenzwinkern. „Ich bin ein zäher Hund.“

Ein andermal kehrte er mit seiner Frau Gerda aus dem Brasilien-Urlaub zurück. Neben dem Kartenspielen (Schafkopf) reist er unheimlich gern. „Als ich um 10 Uhr zu Hause angekommen bin, fand ich einen Brief eines Schiedsrichters vor, der mitteilte, an diesem Tag nicht pfeifen zu können.“ Dann hat Alt seine Sporttasche gepackt und ist nach Horgau gefahren, um dort um 13 Uhr ein Reservespiel zu leiten.

„Schuld“ an dieser außergewöhnlichen Karriere ist ein ehemaliger Fifa-Schiedsrichter aus Augsburg: Karl Riegg. Bevor Artur Alt zum Industriekaufmann umschulte, war er gelernter Bäckermeister. Riegg war Stammkunde in der Bäckerei der Familie Alt und riet Alt zur Schiedsrichterei, weil der junge Alt, ehemaliger Mittelfeldspieler des TSV Pfersee und in der Jugend des TSV Schwaben, früh Probleme mit Meniskus und seinen Knien hatte. So wurden aus Nachbarn Freunde und aus Freunden später Schiedsrichter-Kollegen.

Im Dezember 1960 legte Alt seine Schiedsrichterprüfung ab. Am 26. August 1961 – also vor 55 Jahren – leitete er sein erstes offizielles Spiel: TSV Schwaben Augsburg gegen den BC Augsburg, C-Jugend. Als Alt seine Schiedsrichterkarriere begann, gab es noch keine Gelben und Roten Karten. Die kamen erst ab der WM in Mexiko 1970. Sein erstes Schiedsrichter-Trikot bestand aus einem schwarzen Pullover. Die Stollenschuhe waren Überbleibsel seines Spielerdaseins.

Es folgten Einsätze in ganz Bayern. „Es gibt fast keinen Sportplatz, den ich nicht kenne“, so der 77-Jährige, der lange Jahre Mitglied beim SV Ottmaring (Kreis Aichach-Friedberg) war und inzwischen seit mehr als 25 Jahren beim TSV Steppach ist. Alt genießt es, an der frischen Luft zu sein, herumzukommen und Leuten zu begegnen. „Ich habe das schönste Hobby, das es gibt.“ Für einen Vertreter einer oft beschimpften Zunft ungewöhnliche Worte. Für jeden Einsatz gibt es eine kleine Aufwandsentschädigung. „Reich wird man nicht davon. Aber für mein Taschengeld hat es gereicht.“

Viel sehen und wenig hören – so ging Artur Alt alle seine Spiele an. Die Rote Karte ließ er meist stecken, die Gelbe gab es nur dann, wenn es gar nicht mehr anders ging. Verwarnungen wegen Reklamationen – das kommt bei ihm selten vor. Seine Frau Gerda sei ihm stets eine große Hilfe gewesen, betont er. „Sie hat für mein Hobby mehr Verständnis, als ich ihr eigentlich zumuten durfte. Und sie hat ohne Murren immer meine Schiedsrichterkleidung gewaschen“, berichtet der verheiratete zweifache Familienvater und inzwischen stolze Opa. Fit hält er sich mit wöchentlichen Saunagängen und ausgiebigen Fahrradtouren. Oft reist er mit dem Rad zu seinen Spielen an. So behält Alt auch im Alter seine Kondition, wenngleich er einräumt: „Es gab schon immer Schiedsrichter, die mehr gelaufen sind als ich.“

Anlässlich seines 7000. Spiels im März 2010 erhielt Alt die Karl-Riegg-Medaille. Es ist die höchste Auszeichnung, die seine Heimatgruppe Augsburg zu vergeben hat, benannt nach einem ihrer größten Referees. Für Artur Alt hat sie wegen seiner Anfänge eine ganz besondere und persönliche Bedeutung.
Sein Tatendrang ist nach wie vor ungebrochen. 9000 Spiele wird er jedoch nicht erreichen. „Das ist utopisch. Da müsste ich bis 90 pfeifen.“ Ein Ziel hat er dennoch: Alt möchte noch ein paar Jährchen als Unparteiischer unterwegs sein, bis er die magische Zahl von „60 Jahre aktiver Schiedsrichter“ erreicht hat.

Die Freude an seinem Hobby ist geblieben. Einer der Höhepunkte: Vor neun Jahren überreichte ihm die E2 des TSV Diedorf ein selbst gemaltes Bild mit Fußballern, auf dem links oben stand: „Es hat Spaß gemacht, nach ihrer Pfeife zu tanzen!“

Aufrufe: 017.8.2016, 21:30 Uhr
Augsburger Allgemeine / Georg SchalkAutor