2024-03-18T14:48:53.228Z

Querpass

Am Puls der (Spiel)Zeit

Ab sofort tanzen die Männer in der ersten Liga nach ihrer Pfeife

Was wäre der Sport ohne Rekorde? Keine Bundesligasaison, keine Ski-WM, kein großes Olympiaereignis vergeht oder wird mit dem Ziel bestritten, dass ein neuer Rekord aufgestellt wird. Ein solch großes Sportereignis ohne eine neue aufgestellte Bestleistung ist fast schon langweilig und kann in der medialen Außendarstellung als Enttäuschung eingestuft werden. Das Brechen der Rekorde bricht also mit dem einst olympischen Gedanken der Teilhabe: „Dabei sein ist alles!“

Das war einmal. Der Leistungsgedanke hat die Sportwelt übernommen. Und das ist auch irgendwie verständlich. Denn, wem es gelingt, in seiner Disziplin einen neuen Rekord aufzustellen, der bleibt in Erinnerung, schreibt sich in die Sportgeschichte ein und genießt die uneingeschränkte Anerkennung und Aufmerksamkeit - zumindestens so lange, bis der eigene Rekord eingestellt wird. Rekorde machen letztlich das Besondere, Außergewöhnliche ja auch Einzigartige des sportlich Geleisteten sichtbar, greifbar und zählbar.

Doch es gibt einzigartige Rekorde, die nicht gebrochen werden können. Die für immer bestehen. Die durch ihre Novität Unsterblichkeit erlangen. Ein solcher Rekord wurde jüngst Anfang der Sommerpause aufgestellt. Obwohl Spielpause ist. Wie ist das möglich?

Bibiana Steinhaus ist von dem DFB nun zur kommenden Spielzeit 2017/18 als erster weiblicher Referee für die erste Bundesliga nominiert worden. Überrascht hat es viele, sie am meisten. Denn nicht - wie viele vielleicht glauben würden - für die Allianz-Frauenbundesliga, sondern für die männliche erste Bundesliga. Diese Nominierung kommt einer unheimlichen Ehre gleich. Und markiert darüberhinaus eine besondere Wertschätzung ihrer Leistungen. Aber warum?

Das lässt sich leicht erklären, wenn man bedenkt, welch alteingesessenen Vorurteilen sich Frauen in der Männerdomäne des Fußballs in jeder Funktion ihres sportlichen Daseins ausgesetzt sehen. Erst recht, wenn Männlein und Weiblein auf dem Feld aufeinandertreffen. Im Frauenfußball war es lange Zeit umgekehrt: da wurden die weiblichen Mannschaften, und werden auch noch heute bis in die Regionalliga, meist von männlichen Schiedsrichtern begleitet. Die Dominanz der Männer hat einen ganz einfachen Grund: Nicht etwa, weil man(n) das Spiel einer Frau nicht in die Hände legen könnte, sondern weil statistisch gesehen schlichtweg das weibliche Personal fehlt. SchiedsrichterInnen zu gewinnen, stellt gerade im Amateurbereich die Vereine vor immense organisatorischen Schwierigkeiten.

Im umgekehrten Falle war es gesellschaftlich lange Zeit undenkbar, ja nicht einmal vorstellbar, dass Männer den Frauen nach ihrer Pfeife tanzen. Man kann sich vorstellen, wieviel Unbehagen lange Zeit durch die herrschenden patriarchalischen Vorstellungen es einigen Sportlern bereitet haben könnte, sich unter die Fittiche eines weiblichen Referees zu begeben. Denn es ist fast schon faszinierend, wenn es nicht so traurig wäre, wie anders (gleiche) Leistungen von Frauen im Vergleich zu Männern bewertet werden. Wie schnell sich in den einzelnen Aussagen chauvinistische Tendenzen widerspiegeln („Frauen sollen hinter den Herd und nicht aufs Feld“), Hemmungen fallen und sich auch Aggressionen kumulieren. Dass man gerade als Frau in diesen Sphären ein dickes Fell haben muss, um dieser potentieller Emotionen und Aggressionen Herr zu werden, ist einleuchtend.

Zum Glück sind diese Zeiten vorbei, bzw. bald vorbei, und es gibt Frauen, wie Bibiana Steinhaus, die mit einem solchen Mythos aufräumen und eindrucksvoll beweisen, dass das Gegenteil der Fall ist. Auch hier dient der Sport einmal mehr als Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklungen und veränderten Vorstellungen. Und die Position der Frau wird nebenei gestärkt und systematisch unterstützt.

Denn diese Nominierung stellt für Bibiana „Bibi“ Steinhaus den absoluten Höhepunkt ihrer beispiellosen Karriere da. Steinhaus ist seit 18 Jahren DFB-Schiedsrichterin. Mehrere Male schon wurde sie zur Schiedsrichterin des Jahres geehrt. Mit der Berufung, 2007 in der 2. Bundesliga zu pfeifen, war erstmalig ein Tabu gebrochen. 10 Jahre hat sie "Pfiffpraxis" gesammelt und unter Beweis gestellt, dass sie ein absoluter Leitwolf ist und den Anforderungen dieses nervenaufreibenden Jobs mehr als stand hält. Jetzt folgt die Krönung. Denn dass sie die nötige Cool- und Cleverness besitzt, um im Toll-Haus Bundesliga zu bestehen, hat sie in der Vergangenheit mehrmals eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Unvergessen bleibt die Szene im Zweitligaspiel des Hertha BSC gegen Alemannia Aachen 2011, als Herthas Peter Niemeyer Bibiana Steinhaus freundschaftlich einen Klaps auf die Schulter geben wollte. Eine unverfängliche sportliche allzubekannte Geste der Versöhnung oder des Zuspruchs nach einer kleinen Konfliktsituation. Doof nur, dass er statt der Schulter ihren Busen berührte und seitdem den glanzvollen Spitznamen "Busen-Wischer" erhielt.

Die darauffolgenden Sekunden sind ein Gedicht. Bibiana Steinhaus regististriert irritiert den eben berührten Bereich ihres Körpers, blickt dann überrascht zu dem besagten Spieler, der Hilfe suchend und schutzlos ausgeliefert die Hände zum Zeichen der Unschuld erhebt. Daraufhin schenkt sie ihm ein zögerliches Schmunzeln, was in einem freundlichen Lachanfall endet, das ihn sogleich von seiner ins Gesicht geschriebenen Sorge, eine rote Karte für diese "Attacke" zu erhalten, erlöst.

Doch leider gibt es nicht nur solche reflektierten bescheidenen Gentleman ausgestattet mit einem gesunden Schamgefühl. Ganz im Gegenteil. Es gibt Spieler und wird es auch immer geben, die sich eingeladen fühlen, nur aufgrund des Geschlechts die Entscheidungen des Referees infrage zu stellen. Rominas Querpass hatte zu Beginn seines virtuellen Daseins die Geschichte von Kerim Demirbay erzählt, der zum Glück für seine chauvinistischen Aussagen eine drakonische Strafe erhalten hatte.

Dass man gegen eine solche Einstellung hart vorgehen muss und einem solchen Denken keinen Raum geben darf, weil eben die eigene Kompetenz und nicht das Geschlecht maßgeblich sein sollte, wird einer der spannendsten Aufgaben für Bibiana Steinhaus, aber auch für alle anderen Beteiligten sein. Auch mit dem Ziel, dass ihre weibliche Wenigkeit auf dem Platz langfristig keine Seltenheit ist, sondern irgendwann zur Normalität, als fester Bestandteil des Fussballalltags wird.

Ein großer Schritt ist mit ihrer Nominierung nun in diese Richtung getan und umso mehr Verantwortung lastet auf ihren Schultern, das entgegengebrachte Vertrauen zu rechtfertigen. Der Zeitpunkt ist perfekt gewählt. Denn ausgerechnet zu dieser neuen Spielzeit hat der DFB festgelegt, dass die Spielleiter pro Einsatz 5.000 Euro statt bisher 3.800 Euro erhalten, ihre Assistenten 2.500 Euro und die vierten Offiziellen jeweils 1.250 € bekommen. Auch ein schöner finanzieller Ansporn, der ganz nebenbei aber einen viel höheren, weil ideelen Wert besitzt: Denn im Gegensatz zu vielen anderen Berufsgruppen ist hier das Ideal der Gleichberechtigung, zumindestens was die Bezahlung betrifft, erreicht. Hoffen wir, dass es sich bei der medialen Bewertung genauso verhält und der Sportsgeist auch dort Einzug erhält.

Bildquelle: http://www.spox.com/de/sport/fussball/bundesliga/0905/News/florian-meyer-und-bibiana-steinhaus-sind-dfb-schiedsrichter-des-jahres.html

Aufrufe: 022.6.2017, 12:51 Uhr
Romina BurgheimAutor