2024-04-25T14:35:39.956Z

Kommentar
Berliner Olympiastadion. Foto: Michael Barera
Berliner Olympiastadion. Foto: Michael Barera

Alte Dame sucht Lebenspartner für bessere Zeiten

In Berlin warten ja genügend andere Mädels mit mehr Charme

In Mösthinsdorf wird es schwierig für mich. Die Wege sind lang, Möglichkeiten gering. Der Konsum im Nachbarort, statt Arztpraxis nur Erste Hilfe auf Rädern. Also geht es auf Wunsch der Familie nach Berlin.

Dort leben die Kinder, Enkel und Ur-Enkel. Das Gequassel der Menschen, die es ja nur gut meinen, interessiert mich 'nen Feuchten. Für mich entscheidend: Fußball in der Hauptstadt! Ich kenne das wöchentliche Getümmel ja nur von Besuchen oder Erzählungen. Die Hauptstadt hat einen fußballbekloppten Opa mehr.

Dann: Samstag, 13.00 Uhr, Berlin. Die Kneipen überfüllt. Der Verkehr lahmgelegt, die U-Bahnen fahren im Minutentakt. Der Edeka am Zoo ist randvoll mit Kutten, bei Curry 36 stehen se wie damals vorm Intershop. Die "Fraktion tiefenentspannt" an der Eberswalder Straße wird doch tatsächlich beim Frühstück gestört (die Vegetation in diesem Bezirk verstehe ich eh nicht). Von allen Richtungen nähern sich blau-weiß gekleidete Menschen.

Dann ab in den Waggon, der Schweiß tropft. Der Boden klebt, alle freuen sich auf 90 Minuten Fußball und Heiserkeit. 15.30 Uhr sind die Straßen wie leergefegt. Die Einkaufshäuser könnten schließen, der Dönerladen den Spieß abschrauben, der Pankower Autofahrer ohne Angst vor Radfahrern lenken. Dann fällt das Tor! Knaller in der ganzen Stadt, Autokorso um die Siegessäule.

17.15 Uhr tummelt sich die Meute wieder auf den Straßen. Der Weltempfänger geht aus, Inforadio-Konferenz beendet. Die Fans der Hertha verweilen noch Stunden nach Spielende in ihrem Wohnzimmer Olympiastadion. In den Altberliner Kneipen endet ein langer Tag mit Dart, Bier und Gesprächen.

Doch dann, dann klingelt mein Wecker. Willkommen an meinem ersten Samstag in Berlin. Voller Vorfreude 13.00 Uhr zum Zoologischen Garten. Äääääääh, hier ist heute Fußball? Hertha hautnah? Eine Stadt hinter ihrem Aushängeschild? Berlin tickt da anders.

Doch nicht nur, weil Berlin eine Weltmetropole mit verschiedensten Interessen, Kulturen und Sportarten ist. Einen großen Beitrag zur fehlenden Begeisterung leistet Hertha selbst. Hertha ist die gesuchte unbekannte Variable, Hertha hat kein Gesicht, Hertha ist weder Ost noch West, Hertha ist Sitzkissen, Hertha ist Klatschpappe (kommt bestimmt bald), Hertha ist Fußball im Leichtathletik-Tempel.

Den Fans kann man keinen Vorwurf machen. Du liebst eine alte Dame, die dich nicht an ihrem Privatleben teilhaben lässt. Du findest einfach keinen Anker, keinen Ansatz, um zu partizipieren. Ich kann euch sagen, da fetzt 'ne alte Dame dann nicht mehr! Und in Berlin warten ja genügend andere Mädels mit mehr Charme.

Hertha steht in den letzten Jahren für Kackfußball. Der Berliner Zuschauer schnalzt nur mit der Zunge, weil das alkoholfreie Bier wie Pfütze schmeckt. Die Entwicklung in den letzten Jahren ist beängstigend. Die Konstanz des Teams ähnelt den Ankunftszeiten der Deutschen Bahn (erklärt den Brustsponsor). Lucien Favre lässt Gladbach schwärmen. Den hat man damals in Berlin nervös geschasst. Hier ist Dardai, die Ur-Berliner Kampfmaschine, der Zampano. Ist das die Qualifikation, die man für diesen Job braucht? Einstellungsmerkmal: Ich finde die Sportanlage. Man hörte, dass noch zur Winterpause aus Dardais Nachwuchstruppe Spieler gegangen seien, weil sie auf die schroffe Art keinen Bock mehr hatten. Ist doch klar, dass man dann die erste Mannschaft trainieren darf!?


Das ewige Rumgeheule von Preetz kann ich nicht mehr hören. Wir sind so arm, wir haben es so schwer, unser Standort hat Nachteile. Dann mach den Job nicht! Du hast ne Rhetorik wie 'n Ergebnisticker und bist dünnhäutig wie 'n Crêpes. Bei Transfers greifst du regelmäßig mit Schwung in den Misthaufen. Berliner Talente bevölkern die Bundesliga und andere Top-Ligen Europas, nur nie im Trikot der Hertha. Heitinga und Kalou statt Mukhtar. Wenn das die Ausrichtung ist, dann kann die Poelchau auch weiterhin Asbest im Dach haben. Vielleicht bin ich mit 85 im besten Alter für die 6er-Position? Preetz, du gehörst da echt weg! Mit dem Kopf durch die Wand wie früher als Stürmer geht als Manager nicht mehr.

Neben den Spielern, Funktionären und Methoden kann man sich auch mit dem Stadion wenig identifizieren. Es zieht wie Hechtsuppe und ich bräuchte Kompottgläser (Gruß an Union-Kompotti), um den Ball zu erkennen. Ich frage mich, warum investieren Konzerne in Wolfsburg, Leipzig, Leverkusen, Augsburg oder Ingolstadt? Es kann doch kein Zufall sein, dass keiner seine Knete in der Hauptstadt lässt. Ich glaube, da wurde schon der ein oder andere große Deal vermasselt. All diese Faktoren führen dazu, dass von über drei Millionen Berlinern im Schnitt weniger als 50.000 zu den Heimspielen kommen. Hertha zu Hause ist so interessant wie 'n Sack Reis in China. Bei allem Wettbewerb der Sportarten, Flohmärkte oder Straßencafés, das ist einfach schwach.

Da lobe ich mir den Dorffußball. Alle acht Geschäfte im Ort sind Sponsor, bei Heimspielen regelt die freiwillige Feuerwehr den Verkehr, 200 Einwohner leben im Dorf, 300 Zuschauer kommen zu den Spielen. Das ist echte Liebe, das ist Identifikation, das ist Zusammenhalt. Bei Wind und Wetter, egal welcher Tabellenplatz und ohne Dach und Sitzplatz.

Mich wundert es nicht, dass der Amateurfußball immer stärker medial begleitet wird. In manchen Sachen Herr Preetz sind Amateure echte Profis! Berlin hat junge engagierte Topleute, die dem Verein gut tun würden. Scheiß egal wie jemand heißt und aussieht, oder wie viele Bundesligaspiele er hat. Wenn er gut ist, dann ran an die Front. Ex-Profis kosten ordentlich Kohle, man bezahlt Namen statt Qualität. Zecke, Thom, Kurbel und Schwanke haben echt den Fußball erfunden. Da wird der Sporttest der DDR mal schnell zum ATT (Andreas-Thom-Test). Doch der Fußball hat die Schnelllebigkeit einer Eintagsfliege!

Neulich beim Bayern-Mich'l: Eine "Preetz'l" bitte! Was kommt? Eine staubtrockene Masse mit steinharten Salzkörnern. Micha, dein Haltbarkeitsdatum ist abgelaufen! Schreibtisch leeren und Traditionself spielen! Tschüssikowski!

PS: Liebe Leserschaft, ich danke euch für den großen Zuspruch nach meinem ersten Artikel. Mein Enkel versorgt euch regelmäßiger mit Lesestoff. Egal ob er oder ich, niemand kann natürlich dem Professor Doktor Wolf von Spreekick inhaltlich das Wasser reichen. Langweilig finde ich es trotzdem, vielleicht mal die Handbremse in den eigenen Beiträgen lösen, statt immer alles zu kommentieren. In diesem Sinne: hoch und weit bringt Sicherheit!

Aufrufe: 09.3.2015, 13:17 Uhr
HB(ABHB)Autor