2024-05-02T16:12:49.858Z

FuPa Portrait
In Aktion für Ale-mannia Aachen: Auf dem Platz wirkt Bilgin Defterli alles andere als zierlich und zurückhaltend. Foto: Andreas Steindl
In Aktion für Ale-mannia Aachen: Auf dem Platz wirkt Bilgin Defterli alles andere als zierlich und zurückhaltend. Foto: Andreas Steindl

"Ich wollte nur Fußball spielen"

Bilgin Defterli führt seit zehn Jahren die türkische Frauen-Nationalmannschaft als Kapitänin an. Seit dem Sommer 2014 trägt sie das Trikot von Zweitliga-Aufsteiger Alemannia Aachen.

Sieht man sie auf dem Platz, stuft man sie als robust, mit guter Körperkraft und vielleicht sogar etwas raubeinig ein. Denn Bilgin Defterli scheut keinen Zweikampf. Trifft man sie privat, ist die Überraschung groß: 1,59 Meter klein und zierlich, gerade einmal 53 Kilogramm schwer, eine wilde Mähne schwarzer Naturlocken und ein unglaublich sympathisches Lächeln, das einen sofort gefangennimmt.

Jedes Klischee mit dem der Frauenfußball so gerne belegt wird, wird von der 34-Jährigen widerlegt.

Seit dem Sommer spielt Bilgin Defterli bei Zweitliga-Aufsteiger Alemannia Aachen. Die hübsche Türkin ist der mit Abstand prominenteste Neuzugang, ist sie doch zugleich seit zehn Jahren Kapitänin der türkischen Frauen-Nationalmannschaft. Frauen und Fußball und dann auch noch Türkei – da prallen Welten aufeinander. Bilgin Defterli, in Istanbul geboren und aufgewachsen, lacht: „Dass ich Fußball spielen wollte, ist natürlich sowohl in meiner Familie als auch in der Nachbarschaft auf viel Kritik gestoßen. Natürlich hieß es immer, das ist kein Sport für Mädchen, die müssen zu Hause bleiben.“

Ständig mussten ihre Eltern sie suchen, denn Bilgin vertrieb sich mit Begeisterung die Zeit beim Straßenfußball. Ihr Talent blieb nicht unentdeckt, die Eltern hatten ein Einsehen. Mit 13 Jahren durfte sie in einen Verein eintreten. „Seit 1990 gibt es in der Türkei Frauen-Teams sowie Erste und Zweite Liga“, berichtet die 34-Jährige. Bei Dinarsu in Istanbul, wo sie von 1996 bis 1999 spielte, begann ihre Karriere. Doch ab 2004 stellte der türkische Verband für zwei Jahre den Liga-Betrieb der Fußballerinnen ein.

Für Bilgin Defterli ein Schock: „Ich wollte doch nur Fußball spielen.“ Sie setzte sich hin, schrieb Briefe an alle deutschen Fußball-Klubs mit Frauenteams. Der FSV Frankfurt lud sie zu einem Probetraining ein – und verpflichtete die quirlige Stürmerin. „Zuerst hat der Trainer mich gefragt, ob ich nach Deutschland geheiratet hätte. Und war völlig überrascht, als ich sagte, dass ich nur wegen des guten Fußballs der deutschen Frauen gekommen sei“, erinnert sich die Stürmerin, deren in Frankfurt lebender Onkel sie unterstützte.

Die ersten Jahre in Deutschland waren schwer. „Ich sprach kein Wort Deutsch, habe zuerst auch nur die Fußballbegriffe gelernt, habe mich überhaupt mit der Sprache schwergetan“, erinnert sie sich. „Einmal rief der Trainer ,köpfen‘, und ich wusste nicht, was er meinte, weil ich nur das Wort ,Kopfball‘ gelernt hatte.“ Aus der Zeit stammt auch ihr Spitzname: „Der Trainer hatte meinen Namen nicht verstanden. Und so heiße ich auf dem Platz seither eben Billi“, sagt Defterli lachend.

Einem Jahr beim FSV in der Bundesliga folgten vier weitere beim FFC Brauweiler/Pulheim, mit dem sie bis zur Insolvenz 2008 bis in die Regionalliga abstieg. Im Zuge der Frauen-WM 2011, als der DFB darauf drängte, dass die Profi-Klubs auch über eine Frauen-Abteilung verfügen sollten, übernahm der 1. FC Köln das Team. Von 2009 bis Sommer 2014 spielte Defterli beim Zweitligisten in der anderen Domstadt, wo sie auch lebt und aktuell im FC-Fanshop arbeitet. Es war eine erfolgreiche Zeit, in der sie Torschützenkönigin mit 22 Treffern in 20 Spielen wurde. „Seither kennt mich jeder im deutschen Frauenfußball“, sagt sie mit berechtigtem Stolz. Lediglich die Saison 2011/12 lief für sie unglücklich, nach einem Kreuzbandriss musste sie lange pausieren. „Ich habe auf Urlaub verzichtet, bin jeden Tag in die Reha gegangen, nur um möglichst schnell wieder fit zu sein“, steht bei ihr der Fußball über allem.

Nur knapp hatte der FC im vergangenen Jahr den Aufstieg verpasst, ist aktuell überragender Spitzenreiter. Trotzdem: „Als Manuel auf mich zukam und sagte, er brauche eine erfahrene und emotionale Spielerin wie mich in Aachen, habe ich nicht lange überlegt. Manuel ist ein toller Trainer, und nach fünf Jahren wollte ich bei aller Liebe für den FC mal etwas anderes machen“, erklärt sie den Wechsel zum Aufsteiger. Manuel – das ist Manuel Ortiz-Gonzalez, eben jener Trainer, der die Alemannia-Frauen zum Titel in der Regionalliga, zum FVM-Pokal und FVM-Hallenpokal sowie zum Aufstieg geführt hatte. Man kennt sich aus der gemeinsamen Zeit in Brauweiler. Um so größer war der Schock, als Ortiz-Gonzalez völlig überraschend in der Vorbereitung entlassen und durch Steve Briese ersetzt wurde.

„Ich habe das nicht verstanden, so ein guter, erfolgreicher Trainer, der auch menschlich so in Ordnung ist“, schüttelt Defterli immer noch bekümmert den Kopf. Die Türkin hat Erfahrung: In ihrer Heimat hat sie selbst ein Jungen-Team trainiert, machte in Deutschland den B-Schein und betreute ein Jahr lang die Reserve des FC. So sagt die gelernte Stürmerin nur charmant lächelnd über Steve Briese, der sie vorwiegend im defensiven Mittelfeld einsetzte: „Auf dem Platz muss er noch einiges lernen.“ Doch der erfolglose Briese ist inzwischen Geschichte, seit vergangener Woche hat Dietmar Bozek das abstiegsgefährdete Alemannia-Team übernommen. Der erste Eindruck passte: „Er ist uns gegenüber mit Respekt aufgetreten und hat viel geredet. Mit Frauen muss man einfach mehr reden, weil wir emotionaler als die Männer sind“, sagt Defterli augenzwinkernd.

Zum Rückrundenauftakt bei Bayern München II hatte der neue Coach sie auf der Bank gelassen, da sie das Training zuvor verpasst hatte.

„Ich war sehr traurig, weil ich immer spielen will“, sagt Defterli bekümmert. 1:1 spielten die Aachenerinnen beim Tabellenvierten und weckten damit neue Hoffnung auf den Klassenerhalt. „Es war ein richtig gutes Spiel. Wir haben ein Team mit Qualität, nur die Erfahrung fehlt“, so Defterli, „aber ich denke, wir können es schaffen.“

Kapitänin seit 2005

Längst hat sich ihre Familie mit ihrer Leidenschaft ausgesöhnt. „Je erfolgreicher ich spielte, desto stolzer waren alle, auch die Nachbarn haben nicht mehr geschimpft“, sagt Defterli lachend. „Inzwischen ist meine Mutter mein größter Fan.“ Ihre beiden Brüder und die drei Schwestern spielen jedoch selbst nicht. „Langsam werden die Fußballerinnen in der Türkei ernster genommen“, spürt Defterli. 1995 wurde die quirlige Stürmerin erstmals in die Nationalmannschaft berufen, hat seither 59 A-Länderspiele absolviert. Und ist seit 2005 Kapitänin. Bisher konnte sich das türkische Team allerdings noch für kein Championat qualifizieren. „In der letzten WM-Qualifikation mussten wir gegen England, Weißrussland, Wales, die Ukraine und Montenegro antreten“, blickt sie zurück. Heraus sprang nach jeweils zwei Siegen gegen Montenegro und Weißrussland immerhin Rang 4. „Im Mai haben wir das nächste Freundschaftsspiel, im September wieder ein offizielles Länderspiel“, stehen weitere internationale Spiele an.

„Es ist mir sehr wichtig, den türkischen Frauenfußball zu fördern“, setzt sich Defterli in ihrem Heimatland sehr für ihren geliebten Sport ein. „Ich scoute seit vier Jahren in Deutschland, Österreich, Belgien und den Niederlanden, aber auch schon mal in den USA und Kanada für das Nationalteam, habe verschiedene Trainingslager ab der U 15 mit bis zu 35 Mädels veranstaltet“, sucht Defterli Nachwuchs mit türkischem Pass.

Natürlich weiß die 34-Jährige, dass Frauen und Fußball in ihrem Heimatland immer noch ein Thema ist, das nicht alle begeistert. Auch vor dem Hintergrund, dass Bilgin Defterli und ihre Mitstreiterinnen Muslima sind. „Das ist doch Sport, das sollte nichts mit Religion zu tun haben. Mein Glauben ist eine ganz andere Geschichte“, stellt Defterli klar. „Aber viele finden natürlich immer noch, dass es kein Sport für Frauen ist. Doch das Interesse in der Türkei steigt.“ Inzwischen haben immer mehr Vereine Mädchen- oder Frauen-Teams, wie etwa Galatasaray Istanbul oder Besiktas. „Wir haben in der Türkei viele kleinere Spielerinnen, die vielfach nicht die körperliche Qualität haben wie deutsche Akteurinnen, aber sie sind technisch versiert.“

Mit 34 Jahren ist Defterli im reiferen Fußball-Alter. „Ich bin topfit, hatte bis auf den Kreuzbandriss noch nie Beschwerden. Ich möchte noch zwei, drei Jahre spielen.“ Ihre Zukunft sieht sie in Deutschland. „Ich möchte gerne in Deutschland bleiben, um weiter zu lernen und vielleicht später selbst als Trainerin zu arbeiten.“ Dann könnte auch die türkische Nationalmannschaft wieder ein Thema werden. „Nationaltrainerin – warum nicht? Mal schauen, was noch kommt.“

Aufrufe: 025.2.2015, 10:21 Uhr
rau I AZ/ANAutor