2024-04-24T13:20:38.835Z

Kommentar

Abstieg für 1899 - Chance oder Katastrophe?

Mut zur Demut und Bekenntnis zum Dorfverein erwünscht

Die FuPa-Grätsche haut dort dazwischen, wo es nötig ist. Dabei agiert sie fair und will auf Dinge hinweisen, die Deutschlands Fußball-Volk beschäftigt und auf den regionalen Sportplätzen Gegenstand emotionaler Diskussionen sind.

Es könnten für lange Zeit die letzten 90 Minuten Bundesliga-Fußball werden für die TSG 1899 Hoffenheim. Am Samstag fährt man nach Dortmund, dem Finalteilnehmer der Champions League. Nur ein Wunder kann helfen. Abstieg 2013: Katastrophe oder Chance? Die fupa.net - Redaktion machte sich so ihre Abstiegsgedanken.


Abstieg als Chance

Nein, keine Häme, keine Beschimpfungen und kein erhobener Zeigefinger sollen hier vordergründig erscheinen. Keine andere Bundesligamannschaft musste in dieser Bundesligarunde so viel Elend, Hohn und Spott ertragen wie der Verein von Mäzen Dietmar Hopp - und kein Team und keine Vereinsführung hat so viel zu diesem schlechten Image in Fußballdeutschland beigetragen wie sie selbst.

Wer fünf Trainer in zwei Jahren verschleißt, kann eben nicht alles richtig gemacht haben...wer 38 Feldspieler auf der Gehaltsliste sein Eigen nennt und am 33. Spieltag auf dem 17. Platz steht, hat nun mal falsch eingekauft....wer Euro League im Visier hat und in der kommenden Saison wahrscheinlich gegen Paderborn spielt, darf von eigenen Fans keine La Ola - Wellen erwarten!

Hier müssen sich nicht nur die Spieler hinterfragen, sondern vor allem diejenigen, die das alles von ganz oben "verzapft" haben - so viel Fairness sollte man den eigenen Fans und der "Ach -so-tollen -wir-sind-erstklassig-Region" entgegenbringen. Denn beides braucht der Verein auch in Liga Zwei.

HD - EL - 1899

Das Kennzeichen des Mannschaftsbusses hatte Großes angekündigt: Europa League mit Tim, aber ohne Tom. Mit Babbel, der mit dem Bayern - Gen, und zig anderen Profis, die für viel Geld wenig arbeiteten auf dem Rasen. 26 Millionen Euro waren für neue Spieler ausgegeben worden, denn der Kraichgau sollte einen festen Platz in Europa bekommen - gleich neben Inter Mailand und FC Liverpool. Größenwahn bekam ein neues Gesicht in den Farben Blau und Weiß. In der Winterpause wurde nochmals die Schatulle geöffnet: 12 Millionen Euro für sechs weitere Spieler. Laut «transfermarkt.de» hat der derzeitige Kader des Tabellenvorletzten einen Marktwert von über 70 Millionen Euro. Bei solchen Summen kann einem nur schwindlig werden - auch den Profis, die ein Rundum - Wohlfühlprogramm auf der hochmodernen Trainingsanlage in Zuzenhausen geboten bekommen, aber deren Leistungen - mit wenigen Ausnahmen - auch an Aufenthalten in Freibädern erinnerte.

EL, das steht heute in Hoffenheim eher für "Entwicklungsland", und zwar in fast allen Bereichen. Angefangen von der Einkaufspolitik über die Spielkultur und das Konzept des Vereins bis hin zu Teilen der Öffentlichkeitsarbeit, die angeblich schon in Public Relation - Seminaren für Studenten als schlechte Fallbeispiele aufgeführt werden.

Selten hört und hörte man aus den Reihen der TSG -Verantwortlichen Bekenntnisse zu Fehlern. Schuld waren immer die anderen, die man zu diesem Zeitpunkt bereits entlassen hatte oder die Medien, die nur Negatives über 1899 berichteten. Mut zur Demut ist auch im knallharten Profifußball möglich (siehe Freiburg und Augsburg) - auch das gehört zum Geschäft und wirkt sich oft positiv auf das Image aus.

Man beschwörte zwar die Region zum Zusammenhalt, und selbst Sinsheims OB Jörg Albrecht ließ sich auf facebook zu Unterstützungsparolen hinreißen, aber wo keine Identität, da auch keine Identifkation.

"Hoffenheim - Das Leben ist ein Trauerspiel"

"Hoffenheim - Das Leben ist kein Heimspiel" lautete der Titel der 90-minütigen Dokumentation über den Aufstieg des Kraichgau -Clubs. Für diese Saison würden 90 Minuten Film nicht reichen, um dem "Trauerspiel Hoffenheim" mit all seinen Geschichten, die passiert sind, halbwegs gerecht zu werden.

"Zurück zu den Wurzeln", hatte nicht nur der von den Hoffe - Fans vergötterte Ralf Rangnick vor kurzem als Tipp gegeben, sollte der Abstieg aus der Beletage des deutschen Fußballs Wirklichkeit werden. Diese Chance sollte man nutzen und dort anfangen, wo man viel zu früh damit aufgehört hatte sich als Dorfverein einen Namen zu machen. Eigene Talente einbauen, die es ja anscheinend gibt, wie man in den letzten Wochen unter Gisdol feststellen durfte und das "Dorf Hoffenheim" als Marke zu etablieren, das soll wieder eine wichtige Rolle spielen.

Eine Katastrophe sieht anders aus, denn schließlich hat sich auch Mäzen Hopp zu seinem Club bekannt - auch in Liga Zwei. Davon können andere Absteiger nur träumen, auch wenn die Abfindungen für einige Spieler höher sein werden als die Ablösesummen.

TSG gegen KSC - warum nicht?

Fußball-Deutschland war damals mehrheitlich verzückt von der Herbstmeisterschaft, dem Tempofußball des Aufsteigers. Hätte, Wenn und Aber....Erfolg hat ihren Preis, und der muss eventuell mit dem Abstieg bezahlt werden, weil einfach Einiges gut und Vieles schlecht gemacht wurde. Nur, aus diesen Fehlern muss die TSG ihre Schlüsse ziehen und entsprechend reagieren. Gisdol könnte ein Anfang sein.

Wenn der Abstieg am kommenden Sonntag, 17.15 Uhr, fest stehen sollte, dann wird dennoch die Trauer groß sein bei den vielen Fans im Kraichgau, die sich dann immerhin in der kommenden Runde auf Duelle mit dem KSC freuen und gemeinsam das Badner -Lied schmettern dürfen.

Das große Aussortieren unter den 38 Feldspielern beginnt auf jeden Fall und ist dringend notwendig.

Und wenn doch ein Wunder geschieht? Davor haben sogar einige eingefleischte Hoffe-Fans Angst, denn es sei zu befürchten, dass dann die typischen Floskeln - gerade aus der Riege der Anzugsträger - ausgepackt werden: "Diese Runde ist einfach schlecht gelaufen, falsche Einkäufe wurden getätigt, Trainerentlassung kam zu spät oder man hat ganz einfach Pech gehabt." Ob aber die Lehren daraus wirklich gezogen werden, ist fraglich.

Ein Neuanfang in Liga 2, das wäre eine Chance für alle. Für die Spieler, für den Verein, für die Fans und für die Region - es kommt nur drauf an, was man daraus macht.

Und es hätte noch etwas Gutes: Das Kennzeichen des Mannschaftsbusses könnte weiterhin bestehen bleiben - denn die Abkürzung EL gibt dann die Richtung vor: Erste Liga.


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Aufrufe: 013.5.2013, 14:23 Uhr
Berthold JürriensAutor