2024-05-10T08:19:16.237Z

Spielbericht
– Foto: Brennpunkt Orange

Vor 9 Jahren: Ein Sieg der Fußballtradition

Sportlich ging es um die vielbeschriebene „Goldene Ananas“. Doch auf dem Rasen war es letztendlich ein Sieg mit richtungsweisender Tragweite – es ging um die fußballerische Vormachtstellung in der Stadt Gera.

Gemeinsam mit dem damaligen Matchwinner Rico Heuschkel und Danny Neidel alias Paparazzo Orange lassen wir das historische Spiel noch einmal Revue passieren...

1. FC Gera 03 - BSG Wismut Gera 1:2

Dabei traf Tradition auf Moderne. Der junge ambitionierte 1. FC Gera 03 stand vor dem Derby gegen die „alte“ Wismut bereits einen Spieltag vor Saisonende schon als Aufsteiger in die Oberliga fest. Über 1.000 Zuschauer waren im Stadion der Freundschaft zugegen, der große Teil in orangenen Farben. Und die Besucher werden ihr Kommen nicht bereut haben. Denn es ereignete sich Historisches. Um die Tragweite dieser Partie überhaupt zu greifen, muss man etwas ausholen. Für Paparazzo Orange war es das „Spiel des Lebens“ wie er sagt. „Es war das einzige Derby zwischen dem 1. FC Gera und der BSG Wismut Gera. Vorher trafen mal die zweiten Mannschaften aufeinander. Es war eines von zwei Pflichtspielen überhaupt gegeneinander“, ordnet der Wismut-Enthusiast die Partie ein.

Mit der Gründung des 1. FC Gera war in den Jahren zuvor ein Machtwechsel im Geraer Fußballland angestrebt worden. 2003 war der Startpunkt dieser Spaltung, als sich der 1. Fußballclub gründete. Zu dieser Zeit meldete die BSG Wismut Gera Insolvenz an, was einige zur Gründung des neuen Vereins veranlasste. Die Idee war es, die Wismut-Gemeinde zum neuen Geraer Vorzeigeclub zu locken, was rückblickend aber nicht gelang. 2007 vereinigten sich Blau-Weiß Gera, Dynamo Gera und die Fußballabteilung des 1. SV Gera zum FV Gera Süd, woraus zwei Jahre später die „neue“ BSG Wismut Gera hervorging. 2008 gelang unter Udo Korn der Aufstieg in die Thüringenliga, ehe es dann 2010/11 zu den historischen Duellen mit dem 1. FC Gera 03 kam.

Die Nulldreier marschierten in dieser Saison souverän zur Meisterschaft und den damit verbundenen Oberliga-Aufstieg. Die BSG Wismut Gera mischte im oberen Mittelfeld mit. Das Hinspiel zwischen beiden Vereinen wurde dabei verlegt, da kurz vor der Winterpause die Partie der Witterung zum Opfer fiel. Vor über 1.000 Zuschauer trennten sich beide Vereine dann im Frühjahr torlos, was letztendlich eher als Sieg für die Wismut ausgelegt wurde. „Da war trübes Wetter und es war eine große Verspannung in der Partie. Gera 03 war damals vom Niveau her eine Oberliga-Mannschaft“, erinnert sich Danny.

Obwohl dann das zweite Duell sportlich keine Relevanz mehr hatte, war dennoch Feuer in der Partie. Es ging um die Vorherrschaft in der Stadt Gera, auch wenn der 1. FC 03 im kommenden Jahr in der Oberliga spielen sollte – auch nur ein kurzes Intermezzo, wie sich nach einem halben Jahr mit der Insolvenz zeigen sollte. Die Nulldreier waren gespickt mit jeder Menge guter Einzelspieler, die individuell auf dem Papier gegenüber Wismut Gera die Nase klar vorne hatten. Doch die BSG kam über das Kollektiv, hatte mit Urbansky, Peters & Heuschkel Spieler, die sich blind verstanden und sie agierten als Einheit auf dem Feld. Dies hatte man auch kurz vor dem Stadtduell bereits im Landespokal gesehen, als die BSG Wismut Gera den FC Carl Zeiss Jena am Rande der Niederlage hatte und nur knapp im Elfmeterschießen unterlag.

„Ich glaube Gera 03 hat das Spiel völlig unterschätzt. Es gab auch Gerüchte, dass sie vorher schon auf Mallorca die Meisterschaft gefeiert haben. Ihnen war die Bedeutung dieses Spieles nicht bewusst“, so der Augenzuge mit der orangenen DNA. „Ein weitere Schachzug war vielleicht auch, dass Ronny Scholze damals schon als Neuzugang der BSG Wismut Gera feststand. Für mich ist das auch ein Grund, warum die Partie so ausgegangen ist, wie sie letztendlich ausgegangen ist“, definiert Danny weitere Parameter der Besonderheit.

„Das Derby hat damals großes Interesse hervorgerufen. Es waren über 1.000 Zuschauer da, darunter viele Groundhopper. Alle waren aufgeregt. So eine Kulisse hatten wir danach nicht wieder. Zudem sollte der Trainerstab von Udo Korn auf David Kwiatkowski übergeben werden. Udo Korn wurde für seine '50 Jahren Leidenschaft' (Anm. d. Red: Slogan eines Banners) mit eindrucksvoller Choreografie gefeiert. Das war alles was Besonderes. Die Mannschaft war top motiviert, weil sie wusste, was dieses Spiel den Fans bedeutet. Allen auf BSG-Seite war klar, dass die Partie für die Stadt Gera und den Fußball eine große Bedeutung hatte“, beschreibt Danny die Stimmung im Wismut-Lager. „Gera 03 hat das Spiel nicht so ernst genommen. Sie waren ja schon Meister und dachten, es kann ihnen nichts mehr passieren. Das war in meinen Augen aber eine völlig falsche Annahme“, gibt er seine Einschätzung zum damaligen Stadtrivalen ab.

Das Spiel selbst sollte dann den großen Vorschusslorbeeren auch mehr als gerecht werden. Heuschkel brachte seine Farben nach einem Patzer von Dolecek in Front. „Das war schon voller Emotionen und man hat gedacht: Können wir das hier gewinnen?“, erinnert sich Danny. "Beim ersten Tor hat Marcel Peters einen Einwurf von rechts, kurz vor der Eckfahne bis in den 16er geworfen, Torhüter und Abwehrspieler waren sich nicht einig, ich spritzte dazwischen und versenkte nach einmaligem Bodenkontakt mit der Brust.", beschreibt Rico sein Tor, als hätte er es eben nochmal geschossen. 25 Minuten vor dem Ende kam es dann zu je einem Platzverweis für jedes Team „Unser Torwart Mark Reiter hatte den Ball festgehalten. Christian Schmidt, der später noch für Wismut spielen sollte, wollte den Ball haben. Dann waren beide Spieler Kopf an Kopf und plötzlich blutete Schmidt. Das war übrigens die einzige Rote Karte für Reiter, der immer ein fairer Spieler war“, blickt Paparazzo Orange zurück – auch Christian Schmidt musste in dieser Situation vom Feld. Dem 1. FC 03 gelang wenig später der Ausgleich per Fallrückzieher ihres Brasilianers Crlos Pereira. „Pereira hatte sich nach seinem Tor in der Wismut-Kurve aufgebaut und provoziert. Da war natürlich dann richtig Stimmung im Spiel“, erzählt Danny weiter.

Als sich dann eigentlich alle schon auf ein Unentschieden einstellten, eroberte Marcel Peters den Ball im Mittelfeld, schickte seinen Freund Rico Heuschkel auf die Reise, der vor Dolecek – jetzt übrigens Sportlicher Leiter der BSG Wismut Gera – cool blieb und vollendete. „Das Bild wie Dolecek am Boden liegt, werde ich nie vergessen“, berichtet Augenzeuge Danny Neidel weiter. Den Ball vor Heuschkels Siegtor verlor übrigens jener Ronny Scholze, der ein Jahr später das Wismut-Trikot tragen sollte. Mit dem Siegor für Wismut war auch Schluss! Kein Anpfiff mehr! Sieg für Wismut! Ektase! Riesenjubel! "Freude pur und Feiern in einer Menschentraube war angesagt. Der gesamte Kader dieses Spiels stand wie kein anderer für alle Wismuttugenden. Anschließend wurde der Sieg über den Erzrivalen erst gebührend mit den Fans und danach in gemeinsamer Abendgestaltung gefeiert - unvergesslich schön", umschreibt der Matchwinner seine Gefühlswelt an jenem 11. Juni 2011. „Es war ein fantastisches Spiel und in meinen Augen ein verdienter Sieg. Wir waren konsequenter und wollten den Sieg mehr“, sagt Danny auch neun Jahre nach dem Spiel noch, als wäre die Partie gerade erst abgepfiffen worden.

>> zur Spielstatistik von damals

„Für mich war dieses Spiel der Anfang vom Ende des 1. FC Gera 03. Natürlich waren sie dann in der Oberliga. Aber mit dem Spiel hat jeder gesehen: Die Wismut ist wieder da. Mit dem Spiel haben viele an der Fußballtradition in Gera festgehalten. Das hat es für Nulldrei nicht einfach gemacht neue Unterstützer zu gewinnen. Wozu das letztendlich führte, hat man mit der Insolvenz ein halbes Jahr später gesehen“, beschreibt Paperazzo Orange die Tragweite der Partie in seinen Augen. „Ein wenig war dieses Derby auch der Beginn der Entwicklung, die man heute noch sieht. Für den Geraer Fußball bleibt die Trennung erhalten, die 2003 manifestiert wurde. Es sind da zu viele Verletzungen und Provokationen passiert. Am Ende ist es schade für den Geraer Fußball“, schlägt Danny zum Abschluss das Rad in die Gegenwart. „Es war das Spiel meines Lebens. Denn die Wismut war in dem Moment wieder da. Es war ein historisches Spiel, denn die Partie hat es nur zwei Mal gegeben. Wenn die Leute in Gera wieder zusammenarbeiten würden, könnte ich gerne auf jedes weitere Derby verzichten“, regt er abschließend im Sinne des Geraer Fußballs zum Nachdenken an.

Schiedsrichter: Sven Köhler (Tanna) - Zuschauer: 1.030
Tore: 0:1 Rico Heuschkel (23.), 1:1 Carlos Martins Marques Pereira (70.), 1:2 Rico Heuschkel (90.)
Platzverweise: Rot gegen Mark Reiter (65./BSG Wismut Gera/Notbremse), Rot gegen Christian Schmidt (65./1. FC Gera 03)

Aufrufe: 011.6.2020, 21:00 Uhr
André HofmannAutor