2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Womöglich der wichtigste Mann beim TSV 1860: Manfred Paula, seit 2019 Chef des BayWa-Nachwuchsleistungszentrums
der Löwen, zuvor auch für den FC Augsburg und den 1. FC Kaiserslautern im Einsatz.
Womöglich der wichtigste Mann beim TSV 1860: Manfred Paula, seit 2019 Chef des BayWa-Nachwuchsleistungszentrums der Löwen, zuvor auch für den FC Augsburg und den 1. FC Kaiserslautern im Einsatz. – Foto: Stefan Matzke / sampics

Löwen-NLZ-Chef Manfred Paula: „Du musst den Jungs das blaue Gen einimpfen“

Morgalla, Wörl & Co. – Paula über die erfolgreiche Nachwuchsarbeit

Manfred Paula leitet das Nachwuchsleistungszentrum des TSV 1860 München. Im Interview spricht er unter anderem über dei Shootingstars Leandro Morgalla und Marius Wörl.

München – Im US-Togolesen Mansour Ouro-Tagba (18) feierte beim 0:2 in Saarbrücken ein weiteres Talent aus dem NLZ des TSV 1860 sein Profidebüt. Dazu kommen Leandro Morgalla (18) und Marius Wörl (19), die schon länger Stammspieler in der 3. Liga sind. Nährt die Affäre um drei schnapselnde Profis das Chaos-Image des Vereins, sorgt das BayWa-Nachwuchsleistungszentrum zuverlässig für positive Schlagzeilen.

Unser Interview mit Manfred Paula, 58, dem Chef des preisgekrönten Löwen-NLZ.

Herr Paula, Marius Wolf war im März erstmals beim A-Nationalteam dabei. Machen Sie solche Geschichten nur stolz, oder hat der TSV 1860 auch finanziell was davon?

Grundsätzlich gibt es vom Verband immer einen kleinen Obolus, wenn jemand erstmalig im Nationalteam aufschlägt beziehungsweise sein erstes Länderspiel bestreitet. In erster Linie macht uns das aber stolz. Marius ist aus unserer Talentschmiede hervorgegangen – wie um die 100 andere Spieler auch, die wir in den letzten 20 Jahren für den nationalen und internationalen Profifußball entwickelt haben.

Drehen wir das Rad mal ein bisschen zurück. 2017 stürzten ja nicht nur die Zweitligaprofis ab, sondern auch die vier wichtigsten Nachwuchsteams. Wie schlimm war im Rückblick für das Löwen-NLZ?

Für unsere Arbeit insgesamt war das ein Super-GAU, so deutlich muss man das leider sagen. Es war damals eine ganz schwierige Ausgangsbasis, nicht zuletzt in Bezug auf die Reputation und die Wahrnehmung bei Spielern, Eltern und Beratern. Es hat uns ein paar Jahre gekostet, das zu korrigieren.

Ziel: Zwei bis drei Talente pro Jahr für die Profis

Sie stießen zwei Jahre später dazu, sind seit September 2019 Leiter des NLZ. Was haben Sie geändert, dass es seit dieser Zeit wieder aufwärts geht?

Einer meiner Leitsprüche ist: Die Qualität in der Ausbildung steht und fällt mit der Qualität der Ausbilder. Ich habe versucht, in unserem BayWa-Nachwuchsleistungszentrum das Team um die Teams herum zu optimieren.

Hatten Sie überhaupt die finanziellen Mittel dafür?

Prinzipiell gilt es, an Lösungen zu arbeiten, kreativ zu sein und auch mal schneller, wenn es darum geht, das ein oder andere Talent für uns zu gewinnen. Ich denke, dass wir in dem Bereich eine gute Arbeit machen.

Ist das NLZ jetzt wieder auf dem Niveau von vor zehn, 15 Jahren, als regelmäßig Löwen-Talente ihren Weg in die Bundesliga fanden?

Die Frage ist immer, was man als Maßstab ansetzt. Wir bringen ja trotzdem weiterhin jedes Jahr zwei, drei Spieler für die Profis raus. Natürlich ist es jetzt 3. Liga, damals war es 2. Liga – oder auch mal Bundesliga. Der Durchsatz ist aber nach wie vor gegeben – trotz der schwierigen Jahre, die wir hinter uns haben.

„Der Verband hat den Vereinen nicht wirklichen einen Gefallen getan“

Damals hatte 1860 stets die beste Sterne-Zertifizierung bekommen. Jetzt sind die Kriterien anders.

Richtig. Die ursprüngliche Sternewertung wurde 2017 abgelöst. Seither gibt es eine sogenannte Lizenzierung – mit verschiedenen Kategorien. Es gibt die Kategorien 1 bis 3 und je nach Ligazugehörigkeit eine Mindest- und eine Maximalanforderung. Momentan sind wir in Kategorie 2 eingeordnet – in der erfüllen wir als Drittligist die Anforderungen für die 1. und 2. Bundesliga. Von daher ist alles gut. Man kann das nicht mehr vergleichen. Damals war es eine qualitative Bewertung des gesamten NLZ. Jetzt geht es vor allem um quantitative Kriterien: Anzahl der Plätze, Anzahl der Mitarbeiter in hauptamtlicher Funktion, solche Themen.

2020 kehrte die U 17 in die Junioren-Bundesliga zurück, im zurückliegenden Sommer auch die U 19. Wie wichtig war das?

In der Gesamtschau hat das natürlich eine Bedeutung, auch für Vertragsverhandlungen und Entwicklungspläne. Ich sage aber auch ganz klar: Für die Qualität der Ausbildung an sich haben ein, zwei Jahre in einer unteren Spielklasse keine Relevanz.

Dass U 17 und U 19 vorzeitig den Klassenerhalt feiern durften – war das am Ende gar nicht so wichtig?

Doch, natürlich. Da waren wir alle erleichtert, das hat aber auch einen anderen Hintergrund. Der Verband hatte versucht, den Corona-Stau, der durch das Aussetzen der Abstiegsregelung entstanden ist, innerhalb von zwei Jahren zu beseitigen. Damit hat man den Vereinen aber nicht wirklich einen Gefallen getan. Es hat zu einem Wettbewerb geführt, in dem zwei Drittel der Mannschaften gegen den Abstieg gestrampelt haben. Was das mit Trainern und Spielern macht – das haben wir live erleben müssen, leider. Am Ende ging es um einen reinen Misserfolgsvermeidungsdruck – obwohl wir doch positiven Erfolgsdruck aufbauen wollen. Spieler, die körperlich hinterher sind, aber die besseren Fußballer – die wurden im Zweifel nicht eingesetzt, weil du das Spiel gewinnen musstest, um den Abstieg zu vermeiden. Eine fürchterliche Konstellation! Insofern bin ich heilfroh, dass wir es mit beiden Mannschaften geschafft haben.

„Unser Anspruch ist schon, zu den besten Nachwuchsleistungszentren Deutschlands zu gehören“

Wird eigentlich von der Profiabteilung erwartet, dass jedes Jahr Talente oben ankommen?

Das ist unser Anspruch. Es ist unser Ziel, dass wir den Kollegen drüben jedes Jahr ein, zwei, drei Spieler übergeben können. Das ist eine Quote, die in Deutschland immer noch ihresgleichen sucht. Freiburg, Dortmund oder Leverkusen haben eine ähnliche Durchlässigkeitsquote, aber auch völlig andere finanzielle Rahmenbedingungen. Heute machen zwar alle NLZs einen guten Job, ich scheue diese Vergleiche eigentlich, aber unser Anspruch ist schon, zu den besten Nachwuchsleistungszentren Deutschlands zu gehören.

Aktuell stehen in Leandro Morgalla und Marius Wörl zwei U 19-Nationalspieler in der Stammformation der Profis. Glücksfälle oder das Ergebnis gezielten Scoutings?

Ganz klar die Früchte unserer gezielten Talentsichtung. Das Gerangel um die besten Talente ist heute extrem – deswegen müssen wir schneller sein als die Konkurrenz, die bessere finanzielle Möglichkeiten hat. Gerade in Bayern ist es enorm. Es sind neun NLZs, die um die besten Talente kämpfen – da musst du früh dran sein, die Jungs mental möglichst schon ab der U 10 binden, das blaue Gen in jungen Jahren einpflanzen. Ich glaube, dass die Sichtung ein ganz wesentlicher Baustein ist, eines unserer Erfolgskriterien.

Wörl hatte ja zunächst sein Glück beim FC Bayern versucht. Wie oft kommt man sich mit dem Nachbarclub beim Kampf um Talente ins Gehege?

Marius hatte beim FC Bayern keine Zukunft. Beide Jungs, er und Leandro, sind ein Beispiel dafür, was du im Leistungs-/Übergangsbereich – also ab der U 15, U 16 – noch entwickeln kannst. In diesem Alter ist auch nicht jede Entwicklung zu 100 Prozent vorhersehbar und planbar. Letztlich spricht es für unsere Arbeit, dass wir die beiden Jungs auf diesen erfolgreichen Weg gebracht haben.

„Bei Leandro Morgalla kann es sehr weit gehen“

Morgalla steht bei Bundesligisten auf dem Zettel. Wie weit kann es für ihn nach oben gehen? Und wie lange wäre es für ihn sinnvoll, 3. Liga zu spielen?

Was die Leistungskonstanz angeht, würde ihm ein weiteres Jahr in der 3. Liga sicher noch gut tun. Aber das ist nicht mehr meine Baustelle. Grundsätzlich glaube ich, dass es beim Leandro sehr weit gehen kann – vom Gesamtpaket her, das er mitbringt. Was bei ihm und auch bei Marius enorm positiv ist: Beide sind klar im Kopf und absolut bodenständig geblieben. Das sind Kriterien, die ganz entscheidend für den Karriereweg sein können.

Ist es für Sie denkbar, dass sich auch der FC Bayern mit Morgalla beschäftigt? Oder gibt es ein Agreement, dass man die Talente der anderen Seite in Ruhe lässt?

Gentlemen’s Agreements unter Nachbarvereinen sind eine Wunschvorstellung, eine Mär. Inwieweit Morgalla für drüben interessant ist, kann ich nicht beurteilen, das müssen die Kollegen entscheiden.

„Ein Weg ist nie zu 100 Prozent vorhersehbar“

Wörl hatten vor der Saison nicht viele auf dem Zettel. Haben Sie ihm diesen Leistungssprung zugetraut?

Günther Gorenzel und ich pflegen einen sehr engen Austausch, sprechen früh über die nächsten Talente, die salopp gesprochen in der Pipeline stehen. Wir waren uns schon im Sommer 2022 einig, dass Marius ein Kandidat sein kann, um oben in den Kader aufgenommen zu werden. Die Grundanlagen bringt er mit, letztlich ist ein Weg aber nie zu 100 Prozent vorhersehbar.

Wer sind nach Morgalla und Wörl die nächsten Supertalente in der von Ihnen beschriebenen Pipeline? Wicht, Sür, Glück oder einer, den bisher keiner auf der Rechnung hat?

Wir haben einige spannende Jungs, die in den nächsten Jahren oben reinstoßen können. Ich werde mich aber hüten, Namen zu nennen. Wir wollen die Jungs weiter wohl behütet entwickeln und begleiten. Ich werde einen Teufel tun und schon jetzt die Pferde scheu machen.

Interview: Uli Kellner

Löwen-Juwelen: Leandro Morgalla und Marius Wörl (r.), beide aktuelle U 19-Nationalspieler des DFB. F
Löwen-Juwelen: Leandro Morgalla und Marius Wörl (r.), beide aktuelle U 19-Nationalspieler des DFB. F – Foto: IMAGO/Ulrich Wagner
An diesem Tisch sitzen sonst die Talente mit ihren Eltern:
Paula im Gespräch mit Sportredakteur Uli Kellner. S
An diesem Tisch sitzen sonst die Talente mit ihren Eltern: Paula im Gespräch mit Sportredakteur Uli Kellner. S – Foto: Stefan Matzke / sampics

Aufrufe: 03.5.2023, 09:03 Uhr
Uli KellnerAutor