2024-06-06T14:35:26.441Z

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Ein Glanzlicht der Karriere: Jörg Bergen (Mitte) beim 0:1 am dritten Bundesligaspieltag 1999 im Olympiastadion vor 63 000 Zuschauern gegen den FC Bayern mit Roque Santa Cruz (l.) und Carsten Jancker.
Ein Glanzlicht der Karriere: Jörg Bergen (Mitte) beim 0:1 am dritten Bundesligaspieltag 1999 im Olympiastadion vor 63 000 Zuschauern gegen den FC Bayern mit Roque Santa Cruz (l.) und Carsten Jancker. – Foto: IMAGO

Jörg Bergen – der Libero der Hachinger

In einer Nacht- und Nebelaktion unterschreibt der gebürtige Schwabe bei der SpVgg

Mit 265 Spielen (und 38 Toren) für die SpVgg Unterhaching – von der Bayern- bis zur Bundesliga – belegt Jörg Bergen (heute 57) in der Liste der Hachinger Rekordspieler (Quelle: transfer-markt.de) hinter seinem ehemaligen Zimmer-Kollegen Ralf Bucher (405) und Markus Schwabl (300) den dritten Platz, deutlich noch vor Matthias Zimmermann (255) und Fonsi Garcia (237).

Unterhaching – Wie Garcia kam der gebürtige Schwabe aus Marbach am Neckar bereits 1991 zur SpVgg. Er feierte drei Aufstiege: 1992 und 1995 jeweils als Meister in die 2. Liga und 1999 in die Bundesliga. Und erlebte fünf Trainer: Neben Lorenz Köstner (zweimal) und Rainer Adrion auch die mittlerweile verstorbenen Peter Grosser (†2021), Gerd Roggensack (†2024) und Willi Entenmann (†2012).

„Adrion, der zuvor in Ludwigsburg tätig war und mich aus den Spielen in der Oberliga kannte, hat mich nach Haching in die Bayernliga geholt, nachdem er dort als Trainer zugesagt hatte“, erzählt Bergen. „In einer Nacht- und Nebelaktion habe ich dann nach einer Übernachtung im Hotel Huber einen Tag vor dem Ende der Wechselfrist, damals noch der 30. Juni, einen Vertrag unterschrieben. Die Bank, bei der ich gearbeitet habe, hat mich freigegeben – und ich dachte, ich verdiene so viel, dass ich vom Fußball leben kann.“ War aber ein Irrtum: „Ich habe dann bei der Deutschen Bank in Solln neu angefangen.“ Bis zum Aufstieg 1992: „Da wurde ich dann Profi – mit 26. Das ist heute undenkbar.“

Bergen war der klassische Libero – einer besten in der 2. Liga. Libero, das ist eine Position, die es heute im „modernen Fußball“ gar nicht mehr gibt. Der letzte Mann, der „Ausputzer“ hinter der Abwehr, die Rolle, die Franz Beckenbauer zum „Kaiser“ werden ließ – diese Position war für Bergen maßgeschneidert. „Ich war läuferisch nicht der stärkste, aber ich hatte eine gute Übersicht, war nicht der Langsamste, im Kopfball- und im Aufbauspiel stark und konnte gut antizipieren. Ich war gottfroh darüber, dass ich nicht mehr, wie zuvor zum Beispiel in der Jugend der Stuttgarter Kickers, im Mittelfeld spielen musste.“

Trotz zahlreicher Verletzungen, die ihn seine ganze Karriere über begleiteten (u.a. mehrere Bänder- und Innenbandrisse), war Bergen in der Aufstiegssaison 24 Mal im Einsatz, 19 Mal in der ersten, aber nur noch fünf Mal in der zweiten Bundesliga-Spielzeit. „Da bin ich nicht mehr zum Zug gekommen, Alex Strehmel hat Libero gespielt und ich war fast komplett draußen – warum auch immer“, erinnert er sich.

Der blonde Libero war ab 1994 auch vier Jahre Kapitän der Rot-Blauen, ehe ihn Coach Köstner im Sommer 1998 „entmachtete“ (so stand’s damals in den Zeitungen) und Matthias Lust zum neuen Spielführer bestimmte: „Ich wollte ihn aus der Verantwortung nehmen, damit er sich nach seiner langen Verletzungspause voll auf seine sportlichen Aufgaben konzentrieren kann“, so die offizielle Begründung des Trainers.

Nach dem Abstieg wechselte er die Farben: Bergen war sich mit Eintracht Braunschweig schon einig, doch der Transfer scheiterte an der Trainer-Entlassung, auch ein Engagement beim damaligen Bayernligisten FC Augsburg, zu dem ihn Ex-Präsident Walther Seinsch holen wollte, „blieb mir leider verwehrt.“ So wurde aus Rot-Blau Rot; Bergen spielte von 2001 bis 2003 in der Regionalliga für die Bayern-Amateure – unter „Tiger“ Hermann Gerland, dem nächsten „harten Hund“. Er erinnert sich: „Das war bei 35 Grad im Sommer 2001 die härteste Vorbereitung, die ich je mitgemacht habe. Wir sind nur gerannt“. Nach „zwei Katastrophen-Jahren“ mit 22 Einsätzen ging’s dann als Spielertrainer zum TSV Dorfen (Kreisliga und wieder zwei Bänderrisse), bevor er 2005 als spielender Co-Trainer von Fredy Ruthe zur SpVgg zurückkehrte, ehe er bei den Hachinger Senioren B und danach noch bei den Senioren C des TSV Grünwald seine Karriere beendete. Hie und da kickt er aber immer noch bei den Grünwalder Oldies.

Der SpVgg ist der ehemalige Kapitän bis heute treu geblieben, man sieht ihn bei den Charity-Auftritten der Traditionsmannschaft immer wieder im Hachinger Dress: „Außer Fonsi Garcia und Oli Straube bin ich da der einzige von damals“. Und auch im Sportpark ist er gerne zu Gast, als TV-Experte oder wie jüngst als Zuschauer beim 2:0-Derbysieg gegen die Münchner Löwen.

Noch immer am Ball: Bergen (Mitte) im Trikot der Hachinger Traditionsmannschaft mit Fonsi Garcia (l.) und Oli Straube.
Noch immer am Ball: Bergen (Mitte) im Trikot der Hachinger Traditionsmannschaft mit Fonsi Garcia (l.) und Oli Straube. – Foto: Ernstberger

Der Ex-Profi lebt nach der Trennung von seiner Frau Tina als Junggeselle in Taufkirchen, die Kinder Nadine (35/verheiratet, Kinderpflegerin bei der Stadt München) und Luca (26/Kfz-Mechatroniker) sind längst aus dem Haus. Der gelernte Bankkaufmann, der 2005 bei einer Versicherung ins „Berufsleben nach dem Fußball“ einstieg und 15 Jahre im Außendienst tätig war, arbeitet mittlerweile bei einem Versicherungsmakler in Straßlach.

An die große Zeit des Hachinger Fußballs, in der er auch er eine wichtige Rolle spielte, denkt „Libero Jörg“ natürlich noch immer gerne zurück: „Unser Aufstieg war eine Sensation. Wir waren ein zusammengeschweißter Haufen, eine verschworene Gemeinschaft auf dem Platz, wo jeder für den anderen gelaufen ist.“ Für den Mann mit der Rückennummer 6 die Highlights seiner Karriere: „Das Derby gleich am dritten Bundesliga-Spieltag vor 63 000 Zuschauern im Olympiastadion gegen die Bayern – auch wenn wir 0:1 verloren haben. Und unser 3:1 im April 2000 vor über 60 000 in Dortmund – mit Vierer-Abwehrkette und mir als Libero.“

Bergens lange Karriere war von vielen Verletzungen geprägt. Kein Wunder, dass er da als die wichtigsten Perso-nen in dieser Zeit keine Trainer oder Mitspieler, nennt, sondern zwei Ärzte: „Alois Englhard und Willi Widenmayer haben zusammen mit Köstner für eine ganz neue Professionalität im Verein gesorgt. Sie haben zum Beispiel Ernährungspläne eingeführt, das war damals etwas ganz Neues. Und sie waren für mich, der so oft verletzt war, immer da – fachlich und menschlich einfach zwei Super-Typen.“ (Thomas Ernstberger)

Aufrufe: 017.5.2024, 09:26 Uhr
Thomas ErnstbergerAutor