Für ihn jedoch reicht die Datenlage nicht aus, um eine solche grundlegende Entscheidung zu treffen. Und, wo solle das dann enden? „Würden dann auch die Freistöße abgeschafft?“, fragt der Ärztliche Direktor des Instituts für Sport- und Präventivmedizin der Universität des Saarlandes. „Ich jedenfalls sehe keinen akuten Handlungsbedarf“, was den deutschen Fußball betrifft. Zudem sei die Regeländerung nicht mit dem Weltfußballverband FIFA abgesprochen worden, „was ich persönlich für schlecht halte“, erzählt Meyer weiter.
Auch der Chefarzt der Neurochirurgie des Klinikums Nürnberg sieht das ähnlich: Die besagte Studie liefert „keine statistisch signifikante Aussage“. Denn sie liefere laut Hans Steiner Ergebnisse über gerade mal ein paar Dutzend Amateur-Fußballer, die Gehirnschädigungen infolge von Kopfbällen erlitten haben sollen.
Hinzu kommt, dass Kopfbälle im Kinder- und Jugendtraining nach Meyers Erfahrung nicht häufig geübt werden, sie müssten also nicht gänzlich verbannt werden. „Man könnte auch die Meinung vertreten, dass eine vernünftig erlernte Kopfballtechnik besser ist als eine komplette Vermeidung von Kopfbällen.“ Außerdem, so Steiner, handelt es sich hier ja um die Schüsse von Gleichaltrigen. Und die können nicht so stark schießen, als dass es ernsthaft gefährlich werden könnte. „Klar, wenn man jemanden auf dem Kopf haut, ist das nicht gesundheitsförderlich“, erklärt der Neurochirurg weiter. Dass jemand wegen der Folgen eines Kopfballs zu ihm die Klinik gekommen sei, habe er aber noch nie erlebt. Zwar sei ein Kopfball so etwas wie ein Schlag gegen den Kopf. Ob dieser aber mit einer Verletzung einhergeht, hängt davon ab, ob der Schlag den Kopf bewusst oder unbewusst trifft. Bei einem Kopfball ist ersteres der Fall: Da kann der Spieler den Kopf aktiv gegensteuern. Anders sieht das etwa bei einem Auffahrunfall von hinten aus. Da ist die Krafteinwirkung auf den Schädel größer, weil das Ereignis unvorhersehbar eintritt und der Betroffene diesen dann nicht mehr steuern kann.
Es ist weniger das Köpfen, das für Verletzungen bei den Fußballern sorgt, als der Zusammenprall mit Kontrahenten. „Kopf gegen Kopf“ oder „Kopf gegen Knie“ geht meist schlimmer aus, da sind sich die beiden Experten einig. Der Ball ist beim Aufprall verformbar, der Knochen des Kontrahenten dafür weniger. Was ein solcher Unfall auslösen kann, zeigte sich beim WM-Finale 2014, als Christoph Kramer nach dem Zusammenstoß mit einem anderen Spieler wegen Orientierungslosigkeit vom Platz genommen werden musste. Steiner erklärt deshalb: „Ein Restrisiko bleibt, das kann ich nicht verneinen.“
„Kopfverletzungen sind im Fußball leider nicht ganz zu vermeiden, auch wenn sie sehr selten sind – zum Beispiel deutlich seltener als beim Eishockey oder American Football“, erzählt auch Meyer aus seiner Erfahrung – seit 2001 gehört der Sportmediziner zum Ärzteteam der Nationalmannschaft. Wichtig sei dann auch, dass die Betroffenen nicht wieder voreilig zurück ins Spiel geschickt würden.
Im Amateurfußball sind nicht immer Mannschaftsärzte vor Ort. Deshalb beschäftigt sich die medizinische Kommission des DFB seit zwei Jahren verstärkt mit dem Thema Kopfverletzungen. „Deswegen haben wir für Trainer und medizinische Laien Inhalte entwickelt, die über die Ausbildung oder das Internet verbreitet werden.“ Außerdem hat der Verband Fortbildungen angeboten, um auch die Mannschaftsärzte im Profibereich „auf den neuesten Stand zu bringen“.