2024-05-02T16:12:49.858Z

Allgemeines

"Wenn ich in der Kabine den Stallgeruch rieche, bin ich 20"

Ludwig Harelik, Trainer des Gelsenkirchener A-Ligisten SuS Beckhausen 05, ist zu Gast im "FuPa-Kabinengespräch"

Ludwig Harelik hat in seiner Karriere schon einiges erlebt: Der 63-Jährige stand über 20 Jahre lang selber aktiv auf dem Platz und ist nun seit 30 Jahren Trainer. Bei SuS Beckhausen ist er aktuell in seiner dritten Saison tätig und liegt mit seinem Team auf dem sechsten Rang der Kreisliga A1. Im "FuPa-Kabinengespräch" berichtet Harelik über seine persönlichen Erfahrungen im Fußball und erklärt, was für ihn einen guten Coach ausmacht. Zudem sagt er, was er von der jungen Trainergeneration hält und wie sich sein Job mit der Zeit verändert hat.

In der Kreisliga A1 stehen Sie mit SuS Beckhausen 05 auf dem sechsten Platz. Der Rückstand auf Spitzenreiter SpVgg Erle 19 beträgt jedoch schon acht Punkte. Wie schätzen Sie die Leistung Ihrer Mannschaft in der Hinrunde ein?

Ludwig Harelik: Unsere Hinrunde war eigentlich schon nach dem dritten Spieltag im Kampf um die Spitzengruppe und um den ersten Platz über den Haufen geworfen, weil wir zu viele wichtige Spieler hatten, die verletzungsbedingt ausfielen. Wir sind mit einem Auswärtssieg gegen Preußen Gladbeck super gestartet und haben danach das Heimspiel gegen den Meister der letzten Saison, die SpVgg Erle 19, hochverdient mit 2:0 gewonnen. Dann sind wir am dritten Spieltag zum Topfavoriten VfB Kirchhellen gefahren und waren da schon ohne unseren Erfolgsgaranten der Vorsaison Mohammed Sherif, der sich gegen Erle 19 schwer am Knie verletzt hatte. Im Spiel gegen Kirchhellen, das wir ebenfalls für uns entscheiden konnten, hat sich mein Sohn, Tobias Harelik im Leistenbereich verletzt. Er und Sherif sind immer noch nicht ganz gesund. Nach dem vierten oder fünften Spieltag fiel dann mit Andre Mislak noch ein weiterer Stammspieler aus. Er fehlte auch die gesamte Hinrunde und ist erst jetzt wieder ins Training eingestiegen. Richard Lemming war ebenfalls ein Garant im Defensivbereich, hat sich aber im September aus beruflichen Gründen zurückgezogen. Dann fehlen mal Langzeiturlauber fünf, sechs Wochen lang. Objektiv betrachtet kann man also sagen, dass wir die vielen verletzungsbedingten Ausfälle nicht verkraftet haben. Das sind schließlich alles Stammspieler, die du in der Kreisliga A nicht mal eben ersetzen kannst - vor allem weil wir sowieso einen kleinen Kader von 18 Mann haben. Demzufolge war es zum Ende der Hinserie unser Ziel, den Anschluss nach oben nicht komplett zu verlieren. Als Tabellensechster - punktgleich mit dem Fünften - bleibt unser Ziel, unter den ersten Fünf zu landen.

Dürfte dies angesichts der vielen Ausfälle nicht etwas kompliziert werden?

Wenn unsere Verletzten nicht wieder zurückkommen, wird das schwierig werden. Das liegt vor allem daran, dass wir uns in der Winterpause nicht verstärkt haben. Eigentlich sollte Alexander Krick, der in der letzten Spielzeit noch unser Denker und Lenker im Mittelfeld war, von Fortuna Herne wieder zurückkehren, aber die Herner haben eine utopische Ablösesumme verlangt - das war für uns nicht machbar. Daher spielt er lieber dort die Saison zu Ende, statt sich hier fünf Monate auf die Bank zu setzen. Allerdings haben wir fünf A-Jugendliche zu Senioren erklärt. Unsere U19 ist Tabellenführer der Kreisliga A und da sind fünf, sechs brauchbare Spieler des Altjahrgangs drin. Sie werden jetzt bei uns aushelfen.

Am 17. und 18. Spieltag haben Sie die Möglichkeit, mit Siegen bei der SpVgg Erle 19 und gegen den VfB Kirchhellen noch einmal in das Aufstiegsrennen einzusteigen. Wie groß ist die Vorfreude auf die Partien zum Auftakt trotz der vielen Spieler, die noch fehlen werden?

Die Vorfreude ist natürlich sehr groß. Es gibt Situationen im Fußball, wenn du sagst es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her. Die Truppe schweißt sich auf einmal zusammen, jeder wächst über sich hinaus und jeder ist für jeden da. Dann fehlt die Konkurrenz von der Bank, denn man weiß, man spielt sowieso. Solche Spiele, in denen der Druck einfach nicht da ist, gibt es immer mal. Darin stecke ich auch meine Hoffnungen. Erle 19 ist wieder Tabellenführer und sie spielen schon seit vier, fünf Jahren um die Meisterschaft mit - das ist ein echtes Highlight für jeden Fußballer. Außerdem spielen wir ohne Druck und Zwang, das ist wiederum ein kleiner Vorteil für uns. Die 19er haben gehörigen Respekt vor uns, auch wenn wir mit einer angeschlagenen Truppe kommen.

Sie sind nun seit 56 Jahren in der Fußballbranche aktiv und einer der ältesten Trainer in Gelsenkirchen. Wie hat sich der Fußball und besonders der Trainerjob im Amateurfußball verändert?

Großartig verändert hat sich der Fußball nicht. Die jungen Trainer haben heute zwar teilweise Sport studiert und mit Sicherheit viel theoretisches Wissen, aber in der Praxis fehlt ihnen meist noch die Erfahrung. Die Theorie kommt vor allem daher, dass alle ein Handy haben und sich online ein Trainingskonzept herunterladen können. Das ist nicht mehr so wie vor zwanzig, dreißig Jahren, als ein Trainer aufgrund seiner Erfahrungen sich mal da was abgeschaut hat und mal woanders. Ich habe beispielsweise meine aktive Karriere mit 43 im Jahre 1997 bei Horst 59 beendet und hatte bis dahin schon fünf Trainer, die jünger waren als ich. Der eine Coach lebte die Kollegialität unter den Spielern vor, der andere legte großen Wert auf die zwischenmenschliche Ebene. So habe ich über die Jahre meine Linie gefunden. Verändert hat sich, dass die jungen Trainer vor allem viel über Taktik reden. Aber dies ist in der Kreisliga A gar nicht umsetzbar, da geht es viel mehr über den Kampf und die Laufbereitschaft. Taktik ist eine Floskel, die sehr hoch gehangen wird. Man spielt schließlich immer so, wie es der Gegner zulässt.

In der Kreisliga A wird es wahrscheinlich noch nicht die viel diskutierten "Laptop-Trainer" geben. Dennoch sinkt der Altersdurchschnitt der Trainer immer stärker. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Wenn ein Coach heutzutage mit 30 oder auch schon mit 25 ein Team in der Kreisliga A trainiert, ist das ja richtig. Es wird schließlich auch viel aus der Not geboren. Tim Kochanetzki wollte ich beispielsweise vor ein paar Jahren, als ich 07/12 in der Bezirksliga trainiert habe, verpflichten, weil er mit meinem älteren Sohn in Hassel gespielt hat und später zu Erle 08 gewechselt ist. Der war ein genialer Fußballer und ist jetzt mit Mitte 30 Trainer der SSV Buer II (ist zum SC Hassel gewechselt, Anm. d. Red.). Das ist ein vernünftiges Alter und er hat seine aktive Karriere hinter sich. Aber ich mag es nicht, wenn Trainer Sport studieren, eine Jugendmannschaft betreut haben, nun eine Herrenmannschaft in der Kreisliga A übernehmen und dann Statements abgeben, bei denen ich mich frage: Hast du den Fußball erfunden? Da muss man als junger Trainer ein wenig demütig sein. Ich lese auch oft, dass junge Trainer generell den Gegner mit schlecht machen, wenn die eigene Mannschaft auch schlecht war. Dabei fehlt der Respekt dem Gegner gegenüber. Das ist kein Vorwurf, aber dies ist die Entwicklung, die ich wahrnehme.

Was macht für Sie denn dann einen guten Coach aus?

Erst einmal muss ein guter Trainer, wie schon gesagt, Respekt vor jedem Gegner und jedem Schiedsrichter haben. Ich meckere zwar auch manchmal, aber wenn ich sonntags auf dem Platz schreien muss, habe ich unter der Woche etwas verkehrt gemacht. Eine vernünftige Analyse am ersten Trainingstag, wenn alle darüber geschlafen haben und heruntergekommen sind, ist am besten. Es ist verständlich, wenn man an der Seitenlinie emotional ist und mal meckert, aber ich bin der Erste, der nach Abpfiff direkt zum Schiedsrichter geht und sich entschuldigt. Den Arsch in der Hose muss man haben. Zudem zeichnet einen guten Trainer aus, dass er die Pünktlichkeit vorlebt, Fehler im Training anspricht ohne dabei persönlich zu werden und im zwischenmenschlichen Bereich Verständnis gerade für die jungen Spieler zeigt. Er muss ein Konzept haben, bei dem man sieht, wo die Schwerpunkte sind, und sollte auf dem Platz improvisieren können. Meine Mannschaft hat beispielsweise noch nie gemerkt, dass ich innerhalb von zehn Minuten wegen kurzfristigen Absagen von einzelnen Spielern mein Trainingskonzept ändere und etwas ganz anderes mache, als ursprünglich geplant. Ich habe dann nur mal hinterher gesagt: 'Männer, eigentlich hatte ich etwas ganz anderes vor'. Aber dann heißt es nur: 'Wieso Trainer? War doch okay'. Das ist ganz wichtig, denn ich habe in meiner aktiven Zeit mal einen Coach gehabt, der ein reiner Theoretiker war und von der von der Praxis keine Ahnung hatte. Das merkt eine Mannschaft ganz schnell. Ein guter Trainer muss ein Vorbild für die Spieler sein und den Respekt vorleben. Doch auch Konsequenz ist ein wichtiger Faktor: Ich habe immer gesagt, 'ich habe für alles Verständnis und ihr könnt mir ruhig sagen, wenn ihr keine Lust habt. Seid offen und ehrlich, aber belügt mich bitte nicht'. Wenn mich jemand belügt, ist für mich das Thema durch. Eine Mannschaft merkt schnell, ob jemand nur redet und nicht handelt. Dann verliert die Truppe die Disziplin. Darauf muss der Trainer auch achten. Zudem muss ein guter Coach Leidenschaft vorleben. Wenn ich in der Kabine bin und den Stallgeruch rieche, dann fühle ich mich, als wäre ich 20 Jahre alt. Ich habe mich für den Fußball entschieden und muss daher auch mal, z.B. in der Vorbereitung, einen Bären fressen und leiden. Wenn die Jungs diese Leidenschaft sehen, ziehen sie auch voll mit.

Nun gibt es eine kleine Entscheidungsrunde: Sie wählen den Begriff, der am besten zu Ihnen passt und Ihren Vorstellungen vom Fußball entspricht.

- Cattenaccio-Abwehrriegel oder Hurrastil?

Von Haus aus mag ich den Offensivfußball lieber. Ich bin nicht der Typ, der nur mauert oder darauf pocht, dass die Null stehen muss. Klar sollte die Null stehen, aber aufgrund der heutigen modernen Fußballsysteme ist das schwer. Ich bin ein Freund einer Dreierkette, weil ich damit nach Ballgewinn schneller umschalten kann und ein stark besetztes Mittelfeld habe. Zudem könnte ich daher schneller in die Zweikämpfe kommen, wenn die Mannschaft es umsetzt wie man es fordert. Aber die Taktik umzusetzen ist in der Kreisliga A oft schwierig.

- Flippiger Coachingzonenrenner oder ruhiger Bankdrücker?

Ich sitze nie auf der Bank, das kann ich gar nicht. Ich weiß zwar nicht warum, aber wenn das Spiel läuft, muss ich stehen. Ich bin auch emotional dabei, aber ich bin keiner, der permanent taktische Anweisungen reinruft. Ich war so lange dabei als aktiver Spieler und habe dabei auf dem Platz nie meinen Trainer gehört. Wenn die Partie läuft, hören die Akteure das gar nicht und wenn sie es hören, wollen sie es nicht hören. Da kann ich teilweise mehr mit kaputt machen, wie aufbauen. An der Linie bin ich immer dabei, denn irgendwie möchte man doch gerne mitspielen. Ich rufe auch mal rein, aber nur dann, wenn der Spieler erreichbar ist. Ansonsten hast du während des Spiels nicht viele Möglichkeiten als Trainer. Du kannst die Mannschaft vor dem Spiel einstellen und in der Halbzeit umstellen, kritisieren und Fehler ansprechen. Nach dem Spiel kann man bei einem Erfolg loben, aber bei Misserfolg hält man besser die Klappe, denn dann ist sowieso jeder am Boden und die Emotionen sind sehr hoch.

- Pausenstandpauke oder sachliche Halbzeitanalyse?

Eine sachliche Analyse ist am besten. Man muss Fehler ansprechen und sollte in der Halbzeit nicht zu viel loben, weil das kann auch wieder ein Querschuss werden. Beim Schreien ist die Sache, dass sich die Truppe nach drei Malen fragt, ob der auch etwas Anderes kann, als bloß Schreien. Dann verlierst du auch deine Glaubwürdigkeit. Sicher ist es manchmal angebracht und ich habe auch schon mal ein lautes Wort gesagt, aber dieses 'Dampfablassen' ist nicht mein Ding.

Zum Schluss wagen wir noch einen Blick über den Tellerrand hinaus:

Wie bewerten Sie die aktuelle Lage des Amateurfußballs in Hinblick auf die immer größer werdende Schere zwischen Profi- und Amateurfußball?

In erster Linie ist es schön, dass es noch reine Amateure wie bis zur Kreisliga A noch gibt. In der Bezirksliga ist es schon anders, denn da gibt es auch viele Spieler, die auf das Geld schauen. Der Amateurfußball lebt noch von 'Bekloppten', die unentgeldlich ihre Freizeit opfern und am Grill stehen, etc. . Das Traurige ist, dass der Fußball durch die Profis immer mehr an Glaubwürdigkeit verliert. Wenn ich die Schwalben und Saltos, die bunten Fußballschuhe und das Gel in den Haaren sehe, stellt man sich eher zur Schau. Das Ganze wird durch Geld verdorben, siehe Goretzka. Wenn ich lese, er wolle sich verbessern, klar sportlich ist das nachvollziehbar. Aber er ist 22 Jahre alt, dann hätte er auch noch für zwei Jahre auf Schalke bleiben können, dicke Kohle verdienen, sich eine Basis aufbauen und dann nach Bayern wechseln können. Aber dieses Geld verdirbt den Charakter des Profifußballs und wer weiß, wie weit sich die Schere noch öffnen wird. Ich erinnere nur an die Anstoßzeiten am Sonntagmittag. Schalke macht mit 'Schalke Hilft" ja einiges gut, aber generell ist die Tendenz nicht positiv. Gerade die jungen Spieler werden von dem Geld geblendet, wenn sie zu mir kommen und fragen, ob es bei uns etwas gebe. Dann frage ich mich, was soll es in der Kreisliga A an Geld geben? Wenn die Profifußballer weg wollen, streiken sie teilweise. Und woher soll ein junger Amateurspieler noch den Respekt hernehmen, wenn er im Fernsehen oder in der Zeitung sieht, wie die sich verhalten. Der sagt dann, 'die in der Bundesliga machen das auch, dann geht das meinem Trainer gegenüber genauso'. Eine große Vorbildfunktion sehe ich im Profifußball nicht mehr. Daher ist es doch schön, dass es den Amateurfußball in dieser Form noch gibt, da diese vielen 'Bekloppten', wie ich beispielsweise, nicht materiell denken. Solange dies so bleibt, wird es den Amateurfußball auch weiterhin geben.

Aufrufe: 01.2.2018, 12:00 Uhr
Andreas ArtzAutor