2024-06-06T14:35:26.441Z

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Kamen in Bonlanden mächtig ins Schwitzen: der Bochumer Manager Klaus Hilpert (links) und sein Trainer Klaus Toppmöller. Foto: Archiv Baumann
Kamen in Bonlanden mächtig ins Schwitzen: der Bochumer Manager Klaus Hilpert (links) und sein Trainer Klaus Toppmöller. Foto: Archiv Baumann

Sternstunden: Am Rande der Sensation

Im Sommer 1996 hatte der SV Bonlanden den Bundesligisten VfL Bochum im DFB-Pokal am Rande einer Niederlage

Am 10. August 1996 empfängt der SV Bonlanden den Bundesliga-Aufsteiger VfL Bochum im DFB-Pokal und scheitert nur knapp mit 2:4. Der Chronist der Filder-Zeitung zählt hinterher fünf blaue Zehen.

Als der SV Bonlanden jüngst die Meisterschaft in der Bezirksliga endgültig eintütete, erreichten den Abteilungsleiter Kurt Adam viele Gratulationen. Ralf Vollmer war einer der ersten Anrufer. Der heute 55-Jährige ist eigentlich zuallererst eine Legende der Stuttgarter Kickers mit 337 Erst- und Zweitliga-Spielen. In Bonlanden aber ist er auch unvergessen – weil er als Spieler maßgeblich daran beteiligt war, dass es zu einem der größten Ereignisse der Vereinsgeschichte kam.

Die Saison 1995/1996 läuft prächtig für den damaligen Oberliga-Aufsteiger SV Bonlanden. Die unbekümmerten Filderstädter halten sich unter dem Trainer Peter Starzmann als Tabellensiebter vom Abstiegskampf fern und hauen auf eigenem Platz sogar den Meister Karlsruher SC Amateure mit 4:0 weg. Der wahre Triumph jedoch gelingt im Wettbewerb um den württembergischen Verbandspokal. „Der war für uns eher lästige Pflicht, weil die Liga Priorität hatte“, erinnert sich Vollmer. Aus der Pflicht wird Spaß, nachdem sich die Mannschaft im Viertelfinale gegen den Landesligisten SV Mochenwangen durchgequält hat und im Halbfinale den Regionalligisten SSV Reutlingen eliminiert. Der Favorit führt bereits mit 2:0, als ein Bonlandener Stürmer aufdreht. Der überragende Alexander Blessin macht vier Kisten, sein Team gewinnt mit 6:4 nach Verlängerung und steht im Finale. „Eigentlich war schon das die Sensation“, sagt Vollmer.

„Besser als Gütersloh“

Doch damit endet es nicht, damit geht es erst richtig los. Im Endspiel in Kirchheim siegt Bonlanden mit 1:0 gegen den Verbandsligisten Spvgg Au/Iller, wieder durch ein goldenes Tor von Alexander Blessin – und qualifiziert sich für den DFB-Pokal. Gegner: Der Bundesliga-Aufsteiger VfL Bochum.

Nach dem Los der Glücksfee Winnie Schäfer schwanken sie in Bonlanden zwischen Enttäuschung und Freude. Natürlich hatten sie alle auf den FC Bayern gehofft, einige auch auf den späteren Pokalsieger VfB Stuttgart. Aber „besser als Gütersloh“ sei das Los allemal, kommentiert der Trainer Starzmann spontan. „Wir waren überwältigt, überhaupt auf der Ebene in der ARD-Sportschau live genannt zu werden“, erinnert sich der Abteilungsleiter Kurt Adam, schon damals ein alter Hase in seinem Geschäft.

Das Fest steigt am 10. August 1996 – und allen ist klar. Es wird voll rund um den Sportplatz an der Humboldtstraße. Den Umzug ins Degerlocher Waldau-Stadion ziehen die Verantwortlichen nicht in Erwägung. Keine Frage: Fürs Jahrhundertspiel kommt nur das eigene Wohnzimmer infrage. Wie gut, dass man in Schlatter Gerüstbau einen Sponsor hat, der zusätzliche Stangen- und Stufentribünen auftreiben kann.

„Oh je, des gibt a Päckle“

Letztlich sind es trotz des parallel spielenden VfB und schweißtreibender Temperaturen 3000 Zuschauer, die sich die Partie nicht entgehen lassen wollen. Unter ihnen: Ralf Vollmer, der seine Karriere zuvor für beendet erklärt hat und damit genauso fehlt wie der andere WFV-Pokalheld Alexander Blessin, der inzwischen in Ditzingen kickt. Ralf Vollmer steht auf der Seite des Vereinsheims und sieht einen zunächst wild entschlossenen Favoriten. Die Mannen von Trainer Klaus Toppmöller um Mittelfeldmotor Dariusz Wosz wollen schnell Klarheit schaffen. „Oh je, des gibt a Päckle“, stöhnt ein Zuschauer. „Wir haben tatsächlich nicht geglaubt, dass das was werden kann“, sagt Vollmer.

Doch hinten im Tor hat der Gastgeber einen Giganten: seinen Kapitän Chris Biber, schon im Pokaljahr zuvor einer der entscheidenden Kräfte. An diesem Samstag hält der Keeper alles, was zu halten ist. Er agiert so stark, dass sich der U-21-Nationaltorwart Uwe Gospodarek auf der Gegenseite die Augen reibt. Besondere Tragik der Geschichte: Ein Tag zuvor ist Bibers krebskranker Vater gestorben. Der Schlussmann widmet ihm das Spiel und seine Leistung, die ZDF-Reporter des Aktuellen Sportstudios bitten Biber nach dem Schlusspfiff zum Interview.

Der Kapitän und seine Mitspieler haben zu diesem Zeitpunkt ein Wechselbad der Gefühle hinter sich. Nach torloser erster Hälfte bringt der Außenverteidiger Patrick Schweizer den Außenseiter in der 64. Minute mit 1:0 in Führung. Schweizers Knaller aus 25 Metern schlägt unhaltbar im Winkel ein. „Ein Riesending“, findet Vollmer. Der Süddeutsche Rundfunk kürt es später zu seinem Tor des Monats. „Ich werde heute noch darauf angesprochen“, sagt der Schütze selbst.

Respekt vom Gegner, La-Ola von den Fans

Und damit nicht genug: Sieben Minuten später erhöht Peter Frömmel auf 2:0. Das Stadion tobt, der Chronist der Filder-Zeitung kassiert auf der Tribüne zahlreiche Ellenbogenchecks der Freude und trägt fünf blaue Zehen davon. „Wir kamen uns vor wie im falschen Film. Das grenzte an ein Wunder“, sagt der Trainer Starzmann. Zwar gelingt Torsten Kracht noch mitten im Jubeltaumel der Anschlusstreffer, aber die Hoffnung des Gastgebers lebt. Sie lebt bis 17.14 Uhr, bis zur 87. Minute und dem Ausgleich des eingewechselten Danny Winkler.

Es geht in die Verlängerung, Und die Bonlandener, viele von ihnen stehend k. o., stemmen sich gegen das Aus, wollen sich unbedingt ins Elfmeterschießen retten. Am Ende fehlen zwei Minuten. Bochums Peter Peschel macht mit einem Doppelpack den Deckel drauf. 2:4 – der Bundesligist hat die Blamage vermieden. Ein Jahr darauf spielen die Bochumer im Uefa-Cup.

Und die Geschlagenen? „Wir waren natürlich zunächst sehr enttäuscht, weil es so knapp war“, gibt Patrick Schweizer zu. Bald aber realisieren die Spieler, was sie geleistet haben. Die Fans machen die La-Ola-Welle, der Gegner zollt Respekt. Bochums Manager Klaus Hilpert verzichtet auf seinen Teil der Einnahmen, weil ihm Kurt Adam beim Spieltermin entgegengekommen war. „Das war eine richtig feine Geste. So blieb uns ein stattlicher Gewinn“, sagt Adam.

Für den Mann, der nun seit 41 Jahren Abteilungsleiter in Bonlanden ist, hat sich das DFB-Pokalerlebnis ins Gedächtnis eingebrannt – und ebenso für viele, die am 10. August 1996 aktiv oder passiv dabei waren. „Wir haben noch einige Kontakte zu Spielern von damals“, sagt Adam – das Beispiel Ralf Vollmer belegt es. Und immer wieder, so Adam, käme es vor, dass man gemeinsam in Erinnerung schwelge: „Weißt du noch?“

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Aufrufe: 029.6.2018, 09:45 Uhr
Filder-Zeitung / Benjamin SchielerAutor