2024-04-30T13:48:59.170Z

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Ein Fußballtempel mit großer Vergangenheit: Das Waldstadion ist das offensichtlichste Relikt des SC Weismain, der während der Saison 2003/04 seine Mannschaft zurückziehen musste.
Ein Fußballtempel mit großer Vergangenheit: Das Waldstadion ist das offensichtlichste Relikt des SC Weismain, der während der Saison 2003/04 seine Mannschaft zurückziehen musste. – Foto: Norbert Ziegmann

Spurensuche: Was wurde aus dem Drittligisten Weismain?

Von 1996 bis 1999 spielte der SC Weismain in der damals drittklassigen Regionalliga Süd. Im weiteren Verlauf der Vereinsgeschichte wird aus dem Märchen aber eine Tragödie - mit Happy End

Es war eine lange, lange Achterbahn der Gefühle für Alois Dechant. Erst ging es nur steil bergauf, dann der Absturz. Erst baute er als Sponsor und Präsident über Jahrzehnte hinweg den SC Weismain auf, führte den Dorfverein gar in die damals drittklassige Regionalliga Süd - mit viel Einsatz, Herzblut und natürlich auch Geld. Dann allerdings, rund um die Jahrtausendwende, bröckelte seine große Leidenschaft immer mehr auseinander. Nach Jahren des Erfolges folgten Abstiege und Enttäuschungen. Während der Saison 2003/04 musste der SCW gar seine Mannschaft zurückziehen und Insolvenz anmelden.

Wer glaubt, der 81-Jährige sei deshalb verbittert oder gekränkt, der irrt gewaltig. Mit einem Abstand von fast zwei Jahrzehnten blickt Dechant gegenüber FuPa völlig aufgeräumt und sogar mit Stolz auf die Zeit zurück, in der neben "seinem" Verein auch sein Betrieb Konkurs anmelden musste. "Obwohl es vielleicht jeder glaubt oder glauben möchte, aber im Leben ist nicht nur Positives zu holen", zeigt der Unternehmer in der Rückschau eine philosophische Ader. Er setzt sogar noch eins drauf: "Die kritischste Zeit ist, wenn es einem gut geht. Dann bekommt man einen großen Bauch und ist zufrieden. Geht es einem schlecht, muss man sich bewegen, man arbeitet mehr und kommt voran."

Weise, wohlklingende Worte. Und bei einem genaueren Blick auf die Biographie von Alois Dechant, die eine große Schnittmenge mit der Geschichte des SC Weismain hat, wird deutlich, dass sie nicht einfach so leicht daher gesagt sind, sondern vielmehr das Ergebnis vieler negativer und positiver Erfahrungen sind. Der 5000-Einwohner-Ort im Landkreis Lichtenfels (Oberfranken) und allen voran der dortige Sportverein gehören schon seit seiner Entstehung im Jahr 1922 zur Familie. Zwei Onkel vom späteren Patron waren Gründungsmitglieder. 1963, als Alois Dechant die Leitung des gleichnamigen Bauunternehmens übernahm, wurde aus dem passionierten Hobbykicker, dem oft die Zeit für seine liebste Freizeitbeschäftigung fehlte, ein umtriebiger Funktionär.


Der 12. April 1997 - ein unvergessliches Erlebnis

"Es wurde dann mit jedem Jahr permanent mehr", erinnert er sich - und meint damit den zeitlichen, aber auch den finanziellen Aufwand. Es wurde in Beine investiert, die den Verein in die Regionalliga führten. Es wurde aber auch die Infrastruktur nach und nach der sportlichen Leistung angepasst. Unter anderem wurde das Waldstadion mit einer Kapazität von 17.000 Zuschauern errichtet. Natürlich dank der großen Mithilfe des Bauunternehmers, aber, wie dieser selbst betont, auch dank des Engagement der Bürgerschaft.

"Als Unternehmer ist man in der Verantwortung, sich sozial einzubringen", tut der Workaholic, der selbst im eigentlichen Rentenalter noch täglich von Sonnenauf- bis untergang und darüber hinaus im Büro seiner Firma anzutreffen ist, sein eigenes ideelles und monetäres Engagement ab - und hebt gleichzeitig die Leistung der Allgemeinheit hervor. "Die Erfolgsgeschichte des SC Weismain ist der Lohn für eine starke Gemeinschaftsleistung. Der ganze Ort hat zusammengehalten, was von unschätzbarem Wert war. Denn es reicht bei Weitem nicht, dass jemand einfach Geld gibt."

Regionalliga-Saison 96/97: (hinten v.l.) Marco Schlecht, Volker Bernert, Jürgen Gähn, Luciano Caruso, Timo See, Jochen Herzog, Heiko Gröger, Frank Kramer, Klaus Opel, (Mitte v.l.) Trainer Paul Hupp, Spielleiter Horst Wittmann, Dieter Wirsching, Christian Schwalb, Jürgen Renk, Uwe Kalb, Valerie Penner, Johannes Lehnhardt, Sascha Licht, Vorsitzender Wilhelm Schütz, Präsident Alois Dechant, (vorne v.l.) Gerd Klaus, Pero Skoric, Bernd Nüßlein, Christian Tremel, Oliver Müller, Andreas Dippold, Stefan Braungardt, Stefan Ruscher. Es fehlt: Dr. Reiner Wirsching.
Regionalliga-Saison 96/97: (hinten v.l.) Marco Schlecht, Volker Bernert, Jürgen Gähn, Luciano Caruso, Timo See, Jochen Herzog, Heiko Gröger, Frank Kramer, Klaus Opel, (Mitte v.l.) Trainer Paul Hupp, Spielleiter Horst Wittmann, Dieter Wirsching, Christian Schwalb, Jürgen Renk, Uwe Kalb, Valerie Penner, Johannes Lehnhardt, Sascha Licht, Vorsitzender Wilhelm Schütz, Präsident Alois Dechant, (vorne v.l.) Gerd Klaus, Pero Skoric, Bernd Nüßlein, Christian Tremel, Oliver Müller, Andreas Dippold, Stefan Braungardt, Stefan Ruscher. Es fehlt: Dr. Reiner Wirsching. – Foto: Repro Norbert Ziegmann

Und so wurde möglich, was eigentlich unmöglich erschien. Der SC Weismain mischte den gehobenen Amateurbereich auf - und sogar einige Profiteams. Unvergessen ist beispielsweise die erste Saison in der seinerzeit 3. Liga. 1996/97 tummelten sich dort große Namen. Und so trat der SCW u.a. gegen den 1. FC Nürnberg, gegen den FC Augsburg, die SpVgg Greuther Fürth sowie Darmstadt 98 an. Vor allem der 12. April 1997 ist in diesem Zusammenhang in Erinnerung geblieben. Der Club gastierte mit Michael Wiesinger und Frank Baumann in seinen Reihen in Oberfranken. Vor voller Hütte mit 17.000 Zuschauern verlor Weismain zwar 0:2, durfte sich aber wegen einer starken Leistung und überhaupt der Tatsache, dass der ehemalige Rekordmeister zu einem Punktespiel anreisen musste, als Sieger fühlen.

Als Bayernliga-Meister 1996/97 schafften die Jurastädter den Sprung in die Regionalliga. Nach einem 10. Platz bei der Premiere, folgte ein 11. Rang in der 2. Spielzeit. 1999 musste man den Abstieg hinnehmen, als Siebzehnter - nur einem Punkt vom rettenden Ufer bzw. dem SC Pfullendorf entfernt. Bleibenden Drittliga-Eindruck haben vor allem der interne Rekordtorschütze Sascha Licht (44 Treffer) und Rekordspieler Andreas Dippold (91 Partien) hinterlassen. Im großen Rahmen der Fußballhistorie gab es aber weitaus klangvollere Namen im Kader der Weismainer.

Der heutige Bielefeld-Coach Frank Kramer spielte im besten Fußballer-Alter für den SCW. Genauso Joe Zinnbauer, der zwischenzeitlich den Hamburger SV als Trainer anleitete und inzwischen die Orlando Pirates coacht. Auch die HSV-Legende Armin Eck, die 1989 mit dem FC Bayern München deutscher Meister wurde und gebürtiger Kulmbacher ist, lief für die Franken auf - allerdings nur 18 Spiele. "Nach meinem Ende in Bielefeld wollte ich zurück in die Heimat. Und Weismain war damals im unmittelbaren Umkreis von Kulmbach die beste Option", blickt der 57-Jährige zurück.

Gerade noch Bundesliga und Großstadt-Leben - und nun Amateursport auf dem Dorf. Trotz dieses offensichtlichen krassen Unterschiedes möchte Eck nicht von einem Kulturschock sprechen, als er nicht mehr auf der Alm oder im Volksparkstadion kickte, sondern im Waldstadion. Denn: "Ich habe immer schon die Nähe zum Amateurfußball gepflegt und wusste, was auf mich zukommt. Außerdem konnte man die damalige Regionalliga nicht auf die leichte Schulter nehmen." Der Mittelfeldspieler erlebte sieben Monate beim SCW, die geblieben sind. Einerseits, weil in Weismain noch Ehrenamt gelebt wurde, wie er berichtet. Andererseits, "weil es einige kuriose Situationen gab".


»Wir haben den Fehler gemacht, auf Fremde zu setzen«

Vier Trainer erlebte Armin Eck während seines halben Jahres in Diensten der Oberfranken - die Winterpause mit ein berechnet. Die hohe Fluktuation - ein Zeichen für Unruhe im Vereine und eine zu hohe Erwartungshaltung? "Kann man schon so sagen. Man hat es vielleicht ein bisschen verpasst, Struktur reinzubringen." Diese administrativen Versäumnisse spiegelte sich mittelfristig auf dem Platz wieder. Nach zwei Abstiegen schaffte man zwar 2002/03 noch einmal den Aufstieg in die Landesliga. Die Freude über die Rückkehr wehrte aber nicht lange. Die Saison 2003/04 konnte der SC Weismain nicht mehr zu Ende spielen. In Folge der Insolvenz wurde die Mannschaft zurückgezogen, der Verein verschwand sogar komplett von der Landkarte.

Nach Jahren, fast schon Jahrzehnten auf der Sonnenseite erlebten der Sportclub und auch Alois Dechant die Schattenseiten des (Sport-)Lebens. Der Mäzen, Präsident und größte Fan zog sich bereits mit dem Start ins neue Jahrtausend mehr und mehr zurück. "Wir und vor allem auch ich haben den Fehler gemacht, auf Fremde zu setzen, die nicht mit dem Herzen bei der Sache waren. Einen Verein darf man nicht nur ausschlachten, man muss auch was zurückgeben. Und so ist nach und nach eine Situation entstanden, in der ich immer mutloser geworden bin", blickt der 81-Jährige zurück und stellt insgesamt ernüchtert fest: "Der Fußball, vor allem das Drumherum, hat sich verändert. Für mich war nie Geld das entscheidende, sondern die menschlichen Verbindungen. Das ist heute anders."

Volle Hütte im Waldstadion: Am 12. April 1997 traf der SC Weismain (rote Trikots) auf den 1. FC Nürnberg.
Volle Hütte im Waldstadion: Am 12. April 1997 traf der SC Weismain (rote Trikots) auf den 1. FC Nürnberg. – Foto: Repro Dechant


Apropos Gegenwart: Was ist von den Glanzzeiten des SC Weismain geblieben? Zum einen natürlich die Erfolge, die für die Ewigkeit, also unauslöschlich sind. Zum anderen das Waldstadion, das von einer Gesellschaft verwaltet wird - und keinesfalls, wie man vielleicht vermuten möchte, dem Verfall geweiht ist. Auch zwei Fußballclubs teilen sich das Erbe des SCW - jedoch auf unterschiedliche Art und Weise.

Der FC 96 Weismain wurde bereits zu Bayernliga-Zeiten Mitte der Neunziger gegründet, "um als Parallelverein einer 3. Mannschaft das Aufstiegsrecht zu ermöglichen", wie der 1. Vorsitzende Norbert Ziegmann berichtet. Seit 1999 ist dieser Verein aber nur noch auf dem Papier verhanden. "Aus nostalgischen Gründen", gibt sein Vereinsboss zu lösche man nicht den Eintrag im Vereinsregister. Angesprochen auf den FCW, der mehr und mehr in Vergessenheit gerät, schwelgt Ziegmann sogleich in Erinnerungen: "Es war schon ein Erlebnis damals. Wenn auf einmal Armin Eck vor einem steht zum Beispiel. Und vor allem die Freitagabendspiele unter Flutlicht bleiben unvergessen und werden am Stammtisch immer wieder hervorgeholt. Die Spiele im Waldstadion hatten Flair."


SCW Obermain: Geschichte wird sich nicht wiederholen

Dieses Atmopshäre dürfen auch heute noch Weismainer Fußballer genießen. 2004 gründete sich mit dem SCW Obermain ein neuer Verein in der Jurastadt, der als legitimer Nachfolger des SC Weismain verstanden werden darf. "Wir haben bei Null gestartet", berichtet 1. Vorsitzende Nicole Herold-Hönicke. So hatte der SCWO mit keinen Altlasten seines Vorgängers zu kämpfen, musste aber auch Spielklassen-technisch ganz, ganz untern loslegen. Die Vergangenheit spielt beim aktuellen Kreisligisten nur eine untergeordnete Rolle. "Freilich sind wir Stolz auf das Erreichte. Es hängen auch noch einige Bilder von damals in den Vereinsräumlichkeiten. Aber eine Bürde sind die früheren Erfolge nicht. Das Vergangene ist vergangen."

Das Team um Marco Diessenbacher will zwar möglichst erfolgreich sein, wie alle anderen Sportler auch. Man ist sich aber bewusst, dass man an die Leistungen von Licht, Dippold & Co. nicht mehr anknüpfen kann. "Wir wollen nicht mehr den Fehler machen, alles über das Finanzielle regeln zu wollen", betont Vereinschefin Nicole Herold-Hönicke, die 2021 gewählt worden ist. "Auf dem Land sind in einem Sportverein Kameradschaft, Spielwitz und Spielfreude eindeutig wichtiger."

Blick auf die Trainerbank während des Spieles gegen den 1. FC Nürnberg am 12. April 1997: Gerd Scheibl, Alois Dechant, Paul Hupp und Pico Schütz.
Blick auf die Trainerbank während des Spieles gegen den 1. FC Nürnberg am 12. April 1997: Gerd Scheibl, Alois Dechant, Paul Hupp und Pico Schütz. – Foto: Repro Dechant


Alois Dechant ist nach wie vor eng mit den Weis- bzw. Obermainern Fußballern verbunden. Bei Heimspielen im Waldstadion ist er nach wie vor oft zugegen. Kann er bei Spielen in der Fremde nicht dabei sein, glüht der Draht zu Nicole Herold-Hönicke. Das ortsansässige Bauunternehmen ist wieder Sponsor des Vereins - aber im überschaubaren Rahmen. Es geht um das Miteinander, und nicht um den unbedingten, vielleicht erkauften Erfolg. Alles genauso also, wie es sich Alois Dechant wünscht...

Aufrufe: 023.1.2022, 06:00 Uhr
Helmut WeigerstorferAutor