2024-04-25T14:35:39.956Z

Allgemeines

„Sind zwar Brüder, aber zwei verschiedene Menschen"

Serie - Teil 28: Der Blondschopf wechselte mit seinem Bruder zum FC Ingolstadt +++ Vertragsangebot von 1860 München ausgeschlagen +++ Bruder Sonny Kittel ist sein größtes Vorbild, doch Vergleiche mit ihm nerven +++ Mit 22 Jahren sein Profiziel noch fest im Blick

Mainz/Hadamar. Übersicht, Laufstärke und eine latente Grundaggressivität. So beschreibt Sammy Kittel seinen eigenen Spielstil. Der quirlige Blondschopf dreht in dieser Saison mit Rot-Weiß Hadamar auf – den Regionalligaaufstieg noch in Sichtweite. Doch in den Augen Vieler ist der Mittelfeldstratege nur der kleine Bruder eines HSV-Profis. Ein Umstand der nerven kann, hat der 22-Jährige doch selbst eine beachtliche Vita vorzuweisen. Es ist allerdings auch ein Faktor, der anspornt – denn die Ambitionen, sich wieder nach oben zu kämpfen, sind noch lange nicht versiegt.

Das Glück des Tüchtigen

Sammys Stärken auf dem Feld sind schnell identifiziert. Eine seiner wenigen Defizite allerdings auch – die Abschlussschwäche. Das war schon in der Jugend bei der TSG Wieseck der Fall. Doch bereits in jungem Alter arbeitete Kittel stets an sich selbst. In seiner stärksten Juniorensaison 2015/2016 passte dann alles. „Ich war in diesem Jahr ausnahmsweise mal torgefährlich“, scherzt der Gießener Junge. Es war das Glück des Tüchtigen, das ihn im letzten B-Jugendjahr so erfolgreich machte. Talent und Moral blieben auch den Top-Clubs nicht verborgen.

Mit dem Bruder in einer WG

Sammy lagen zum ersten Mal Angebote von Profivereinen vor. Als aber die Anfrage aus Ingolstadt kam, war klar, dass er in den Nachwuchs der Schanzer wechseln würde. Wieso? Weil zur gleichen Zeit auch der große Bruder Sonny nach Oberbayern ging. Die Brüder gründeten eine WG. „Mit 16 hat mir das enorm geholfen mich einzugewöhnen – es hat einfach gepasst“, meint Sammy. „Es war der richtige Schritt.“

Im ersten Jahr beim FCI gehörte Sammy (2. v.l.) zum Stammpersonal und räumte im Mittelfeld alles ab. Im Jahr darauf folgte allerdings nur noch ein einziger Einsatz.
Im ersten Jahr beim FCI gehörte Sammy (2. v.l.) zum Stammpersonal und räumte im Mittelfeld alles ab. Im Jahr darauf folgte allerdings nur noch ein einziger Einsatz. – Foto: Charly Becherer

Die Anpassung an das neue Leistungsniveau fiel Sammy leicht – er brachte die richtigen Tugenden mit. „Es war kein Riesensprung“, blickt Kittel zurück. Gespielt habe er aber trotzdem nicht - zumindest nicht in seiner zweiten Saison. „Der Trainer setzte nur auf den älteren Jahrgang“, sagt Sammy, der die Zeit in Ingolstadt zwar als gut in Erinnerung behielt, nach zwei Jahren aber von dannen zog.

1860 bietet zu wenig Gehalt

Es ging in die bayrische Landeshauptstadt – um genauer zu sein nach Giesing. Ein Ziel dabei stets vor Augen: sich „in die erste Mannschaft zu spielen“. Und es lief bei den 1860ern. So gut sogar, dass ihm ein Anschlussvertrag angeboten wurde. Es hätte das Sprungbrett zur ersten Mannschaft sein können.

Der 1,69 Meter große Sammy (vorne) wusste sich fast immer durchzusetzen. So auch im Dress des TSV 1860 München..
Der 1,69 Meter große Sammy (vorne) wusste sich fast immer durchzusetzen. So auch im Dress des TSV 1860 München.. – Foto: Mike Megapix

Doch die Münchner Löwen nagten zu dieser Zeit finanziell am Hungertuch – der Vertrag war eher mager dotiert. „Ich wollte eigentlich verlängern, aber das passte finanziell einfach nicht. Ich hätte mir ein Leben in München damit nicht finanzieren können“, bedauert Sammy die damalig missliche Lage. Die Gesamtgemengelage ärgert ihn bis heute. Sammy ist sich sicher, er hätte sich sportlich durchbeißen können. Doch er zeigt auch Verständnis für den Verein: „Sie haben mir das angeboten, was finanziell für sie möglich war“. Schweren Herzens kehrte er den Blau-Weißen den Rücken.

Saison in Gießen entpuppt sich als Missverständnis

Sammy stand an seinem ersten wirklichen Scheideweg. Bei 1860 hätte es mit dem professionellen Fußball klappen können, doch die Rahmenbedingungen passten nicht. Wo also einen neuen Versuch starten? Sammy folgte seinem Herzen. Nach drei Jahren in Bayern zog es ihn im Sommer 2019 zurück nach Hessen – in seine Heimat Gießen. Es waren zwei Fliegen mit einer Klappe. Wieder zu den Wurzeln zurückkehren und gleichzeitig in der Regionalliga auf hohem Niveau kicken.

Kaum vom Ball zu trennen. Trotz starker Leistungen in der Zweiten vom FC Gießen, gelang Sammy (links) der Sprung in die Erste nicht..
Kaum vom Ball zu trennen. Trotz starker Leistungen in der Zweiten vom FC Gießen, gelang Sammy (links) der Sprung in die Erste nicht.. – Foto: Michael Schepp

Doch was sich nach einer perfekten Lösung anhörte, entpuppte sich als einziges Missverständnis. Was das Kapitel FC Gießen angeht, hält sich Sammy sehr bedeckt. Doch so viel sei verraten: „Das was versprochen wurde und das was danach folgte, waren zwei unterschiedliche Paar Schuhe“. Es klingt Unverständnis in Sammys Stimme nach. Doch im nächsten Moment wirkt er gefasst und konstatiert nüchtern: „So ist Fußball eben“.

Auch sein heutiger Teamkollege und früherer Drittligaspieler Jann Bangert hat seinen Wechsel nach Gießen als Fehler bezeichnet. Seine Geschichte erzählen wir euch hier.

Aufstieg mit Hadamar? – „Ich würde jetzt nicht ‚Nein‘ sagen“

Warum Sammy sein einziges Jahr in Gießen nur in der Zweiten verbrachte, bleibt also ein Geheimnis. Mit der Beförderung in die Erste klappte es jedenfalls nicht. „Man konnte machen was man wollte“, hält Kittel fest. Aber seine Leistungen reichten offenbar, um die Aufmerksamkeit anderer Vereine auf ihn zu richten. Rot-Weiß Hadamar machte das Rennen um ihn.

Sammy fühlt sich wohl beim Hessenligisten. Insgesamt 90 Minuten Fahrzeit für eine Trainingseinheit nimmt er da gerne auf sich. Es läuft wieder für ihn. Und das, obwohl er immer wieder ausgebremst wurde. Letzte Saison durch den Abbruch des Ligabetriebs und in dieser Saison durch sein eigenes, temperamentvolles Naturell – er sah im Spiel gegen Hessen Dreieich die rote Karte. Die Folge waren vier Spiele Sperre. „Aus meiner Sicht total übertrieben“, findet Sammy. Trotz allem hatte er in dieser Spielzeit großen Anteil am Einzug Hadamars in die Aufstiegsrunde. Nun möchte man auch um eben diesen Aufstieg mitspielen. Das Potenzial sieht Sammy auf jeden Fall vorhanden.

Zwei Aufsteiger in der Familie Kittel?

Vielleicht feiert man im Hause Kittel dann zwei Aufstiege im Sommer. Sammy mit Hadamar und Sonny mit dem HSV. Letztgenannter genießt übrigens die volle Unterstützung seines kleinen Bruders, auch wenn die Vergleiche zwischen beiden manchmal nerven: „Wir sind zwar Brüder, aber zwei verschiedene Menschen. Ich bin stolz auf Sonny, aber wenn ich jedes Mal darauf angesprochen werde, denke ich mir auch manchmal: ‚Ey Leute‘“.

Mit Fleiß, Einstellung und Moral zum Profi

Dennoch ist der große Bruder auch das größte Vorbild. Sammy möchte einen ähnlichen Weg wie Sonny gehen. Den Glauben an sich und seinen Profitraum hat er noch nicht aufgegeben: „In meinen Augen ist immer alles möglich – ich habe damit nicht abgeschlossen und dahinter stehe ich“. Fleiß, Einstellung und Moral waren schon immer Sammys Schlüssel zum Erfolg – es begleitet ihn seit seiner Jugend. „Ich bin der Überzeugung, dass man alles schaffen kann, wenn man Gas gibt“, sagt Sammy und hat dabei sein Profiziel klar vor Augen.

Zur Serie: In dieser Reihe porträtieren wir ehemalige NLZ-Spieler, die den Sprung zum Profi nicht gepackt haben und nun bei Amateurteams aus der Region spielen. Sie erzählen uns, wie nah dran sie wirklich am großen Traum Profifußball waren und welche Ambitionen sie jetzt haben - sowohl auf als auch neben dem Platz.

- Teil 1: Linus Wimmer (SV Eintracht Trier)
- Teil 2: Lukas Fischer (TSG Bretzenheim)
- Teil 3: Lars Hermann (TSV Schott Mainz)
- Teil 4: Nik Rosenbaum (SV Alemannia Waldalgesheim)
- Teil 5: Joshua Iten (SG Hüffelsheim)
- Teil 6: Bilal Marzouki (FC Maroc Wiesbaden)
- Teil 7: Kevin Frey (VfB Bodenheim/TSG Mainz Futsal)
- Teil 8: Giorgio del Vecchio (TSV Schott Mainz)
- Teil 9: Marco Waldraff (SV Niedernhausen)
- Teil 10: Manuel Konaté-Lueken (RW Walldorf)
- Teil 11: Sandro Loechelt (Wormatia Worms)
- Teil 12: Marvin Esser (SG Walluf)
- Teil 13: Patrick Huth (TSG Pfeddersheim)
- Teil 14: Ilker Yüksel (Hassia Bingen)
- Teil 15: Tim Burghold (SV Niedernhausen)
- Teil 16: Noel Wembacher (RW Darmstadt)
- Teil 17: Tobias Schneider (RWO Alzey)
- Teil 18: Noah Michel (Türkgücü Friedberg)
- Teil 19: Marleen Schimmer (San Diego Waves)
- Teil 20: Deniz Darcan (SG Eintracht Bad Kreuznach)
- Teil 21: Max Pflücke (FC Basara Mainz)
- Teil 22: Jann Bangert (SV Rot-Weiß Hadamar)
- Teil 23: Aleksandar Biedermann (Wormatia Worms)
- Teil 24: Volkan Tekin (SV Dersim Rüsselsheim)
- Teil 25: Ilias Tzimanis (SV Unter-Flockenbach)
- Teil 26: Lukas Lazar (TSV Gau-Odernheim)

- Teil 27: Dimosthenis Papazois (SG Eintracht Bad Kreuznach)

Aufrufe: 024.3.2022, 05:00 Uhr
Benedikt PalmAutor