2024-05-02T16:12:49.858Z

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Eine Karriere, die viel zu früh endete: Olaf Bodden.
Eine Karriere, die viel zu früh endete: Olaf Bodden. – Foto: Wikimedia Commons / Socc 82(Daniel Straub)

Olaf Bodden - der Stürmer im Rollstuhl

Der Mit­tel­stür­mer Olaf Bodden aus Has­selt schoss Bun­des­li­ga-To­re in Se­rie, bis ihn ei­ne rät­sel­haf­te Krank­heit nie­der­warf.

Es ist ein Kerl wie ein Baum, der da auf sei­nem na­tür­lich viel zu klei­nen Sitz­platz in der Düs­sel­dor­fer Phil­ips­hal­le kau­ert. 1,92 Me­ter groß, min­des­tens 95 Ki­lo schwer, blon­de, leicht ge­lock­te Si­gurd-Fri­sur, ein Typ wie ein Bo­xer. Den Sitz­nach­barn fällt er auf. Aber nur, weil er so ei­ne im­po­nie­ren­de Fi­gur ist. Noch bleibt Olaf Bod­den, der Fuß­bal­ler, un­er­kannt. Er ist nur ein ziem­lich gro­ßer Zu­schau­er beim Hal­len­tur­nier der For­tu­na mit dem 1. FC Köln, Schal­ke 04 und Bay­er Uer­din­gen.

Beim Ver­an­stal­ter des Tur­niers ist er schon in die­sem Ja­nu­ar 1989 kein un­be­schrie­be­nes Blatt mehr. Es hat sich bis zum (Noch-)Zweit­li­gis­ten her­um­ge­spro­chen, dass Bod­den ein sehr ge­fähr­li­cher Ver­bands­li­ga-Stür­mer ist. Für die Go­cher Vik­to­ria schie­ßt er sei­ne To­re, im Straf­raum ist er ei­ne Ur­ge­walt, tech­nisch noch un­ge­schlif­fen, aber mit ei­nem un­wi­der­steh­li­chen Kopf­ball­spiel. Die For­tu­na will ihn an den Flin­ger Broich ho­len, Bod­den schaut sich das Tur­nier als Gast des Klubs ge­mein­sam mit sei­nem Va­ter Heinz an.

Die Ver­hand­lun­gen der Düs­sel­dor­fer mit dem Hü­nen aus Has­selt fin­den al­ler­dings kein zu­frie­den­stel­len­des En­de. Fa­mi­lie Bod­den nimmt ei­ne zwei­te Op­ti­on wahr. Der Düs­sel­dor­fer Nach­bar Bo­rus­sia Mön­chen­glad­bach holt den Stür­mer in sei­nen Bun­des­li­ga-Ka­der. Ei­ne rich­ti­ge Er­folgs­ge­schich­te wird das nicht. Bod­den macht in zwei Jah­ren nur drei Bun­des­li­ga-Spie­le. Aber er kämpft sich doch in die deut­sche Eli­te­li­ga. Bei Han­sa Ros­tock geht sein Stern auf, sein ers­tes Bun­des­li­ga-Tor er­zielt er am 16. No­vem­ber 1991 im Spiel ge­gen den Ham­bur­ger SV.

Fort­an kann sich Fuß­ball-Deutsch­land ein ei­ge­nes Bild von die­sem Kraft­fuß­bal­ler ma­chen. Und er ver­steckt sich nicht im Os­ten. Weil er dem TSV 1860 Mün­chen tüch­tig To­re ein­schenkt, holt ihn Trai­ner Wer­ner Lorant in den Münch­ner Orts­teil Gie­sing. Es gibt noch kei­ne Trans­fer­frist, da­her kommt Bod­den in der Hin­run­de der Sai­son 1994/95. Die letz­ten Ver­trags­de­tails be­spricht er mit Lorant am Te­le­fon. Al­ler­dings nicht aus der ei­ge­nen Woh­nung, „denn im Os­ten hat­ten wir kein Te­le­fon“, wie er sich er­in­nert. Die Ver­hand­lun­gen führt er von ei­nem öf­fent­li­chen Fern­spre­cher aus ei­ner Te­le­fon­zel­le in Gr­aal-Mü­ritz – ei­ne hal­be Au­to­stun­de ent­fernt von Ros­tock. In der ehe­ma­li­gen DDR hat­ten die SED-Bon­zen hier ein lu­xu­riö­ses Fe­ri­en­heim an der Ost­see. Si­cher ha­ben es ihm die Kol­le­gen von Han­sa er­zählt. Bod­dens Kar­rie­re er­reicht in Mün­chen ih­ren Hö­he­punkt.

Die 60er führt er mit sei­nen To­ren vom Ab­stiegs­rang zum Klas­sen­er­halt. Ei­nen Tref­fer steu­ert er zum Bei­spiel zum 2:0-Heim­sieg über Bo­rus­sia Mön­chen­glad­bach bei. Ein Mil­lio­nen­pu­bli­kum be­staunt im Fern­se­hen, wie er sei­ne in­zwi­schen 97 Ki­lo Kampf­ge­wicht in die Straf­räu­me wuch­tet und wie er ein wirk­lich ge­fürch­te­ter Stür­mer wird. In sei­ner bes­ten Sai­son schie­ßt er 14 To­re. Er ist ein we­sent­li­cher Teil der zweit­bes­ten Zeit in der Ge­schich­te der ruhm­rei­chen Lö­wen, die in Mün­chen mal die un­be­strit­te­ne Num­mer eins wa­ren – weit vor den Bay­ern.

Stürmer Olaf Bodden stoppte eine rätselhafte Krankheit

Doch dann kommt die Krank­heit. Sie holt den Stür­mer buch­stäb­lich vom Him­mel. Ge­ra­de, als er sich an­schickt, ein The­ma in der Na­tio­nal­mann­schaft zu wer­den, lei­det er an ei­ner selt­sa­men Mi­schung aus Mü­dig­keit und an­hal­ten­den Grip­pe­sym­pto­men. Die Ärz­te dia­gnos­ti­zie­ren zu­nächst Pfeif­fer­sches Drü­sen­fie­ber, spä­ter das All­ge­mei­ne Er­schöp­fungs­syn­drom. Der Mo­dell­ath­let ver­fällt re­gel­recht, er wiegt nur noch knapp 77 Ki­lo, das frü­her meist braun­ge­brann­te Ge­sicht ist fahl, die Haut spannt sich auf den Wan­gen­kno­chen, selbst kur­ze Spa­zier­gän­ge fal­len schwer. Aber es kommt noch schlim­mer. Auf ei­ge­nes Ri­si­ko geht Bod­den ei­ne Be­hand­lung mit ei­nem noch nicht frei­ge­ge­be­nen Me­di­ka­ment ein. Sein Kör­per re­agiert all­er­gisch. Der bä­ren­star­ke Fuß­ball­pro­fi wird zum Pfle­ge­fall, sein Le­ben fin­det im Lie­gen statt, er braucht den Roll­stuhl. „Ich ha­be mei­ne Ge­sund­heit ver­lo­ren, mei­ne Kar­rie­re ver­lo­ren und ei­nen Hau­fen Geld ver­lo­ren“, klagt er in der ZDF-Re­por­ta­ge „Der mü­de Stür­mer“.

Er gibt nicht auf. Es ist je­doch al­les an­de­re als ein Le­ben, wie er es sich vor­ge­stellt hat. „Ich bin im­mer froh, wenn es Abend ist“, er­klärt er. „Mor­gens, wenn man auf­wacht, ist es der blan­ke Hor­ror. Jetzt hat man den gan­zen Tag vor sich im Bett und muss die Zeit tot­schla­gen.“

Da­zu kom­men fi­nan­zi­el­le Sor­gen, denn die Be­hand­lung der rät­sel­haf­ten Krank­heit ist teu­er, und Bod­den muss Jah­re mit der Kran­ken­kas­se über die Kos­ten­er­stat­tung strei­ten. Die Ver­si­che­rung stuft sei­ne Krank­heit als psy­chisch be­dingt ein, da­bei sind die Fach­leu­te der An­sicht, dass es sich um ein neu­ro­lo­gi­sches Phä­no­men han­delt.

Olaf Bodden hätte noch viel mehr erreichen können

Bod­dens al­te Mit­spie­ler ha­ben ihn nicht ver­ges­sen. Im No­vem­ber 2013 ver­an­stal­ten sie ein Be­ne­fiz­spiel im al­ten Grün­wal­der Sta­di­on. Auch Ru­di Völ­ler, der al­te 60er und spä­te­re Welt­meis­ter, kommt an dem küh­len Abend. 4000 Fans fei­ern Bod­den, der auf ei­ner Tra­ge ins Sta­di­on ge­fah­ren wird, ge­hüllt in ei­ne Fah­ne von 1860. Nicht nur hier kom­men dem frü­her mal so har­ten Kerl die Trä­nen. „Ich ha­be Mo­men­te, wo ich hier zu Hau­se wei­ne“, sagt er der „Abend­zei­tung“ in ei­nem Ge­spräch zu sei­nem 52. Ge­burts­tag im ver­gan­ge­nen Jahr. Über die Krank­heit re­det er al­ler­dings schon lan­ge nicht mehr, „weil es so­wie­so nie­mand ver­steht“. Statt sich auf das Lei­den zu kon­zen­trie­ren, lebt er in der Er­in­ne­rung an sei­ne bes­ten Zei­ten als Fuß­bal­ler. „Ich den­ke sehr ger­ne zu­rück, die Bun­des­li­ga-Jah­re wa­ren ein Se­gen“, sagt er. „Ich bin ja mit 19 Jah­ren noch bei der SG Has­selt in der Kreis­li­ga her­um­ge­düm­pelt.“ Viel­leicht wä­re er nie in der ganz gro­ßen Fuß­ball­welt an­ge­kom­men, wenn sich Va­ter Heinz nicht um die Kar­rie­re des Soh­nes ge­küm­mert hät­te. Er bleibt hart­nä­ckig und weckt den Ehr­geiz sei­nes Jun­gen, der in der Ju­gend noch ganz zu­frie­den in sei­nem Dorf­klub ist.

Da blüht sein gro­ßes Ta­lent doch eher im Ver­bor­ge­nen. Kei­ner ahnt, was sein Trai­ner Lorant beim Be­ne­fiz­spiel sa­gen wird: „Er hät­te der bes­te Stür­mer Deutsch­lands wer­den kön­nen.“ Die­ser Traum en­det mit 28 Jah­ren. In­zwi­schen sind Bod­dens Vor­stel­lun­gen von der Zu­kunft viel be­schei­de­ner. Und es frös­telt ei­nen ein biss­chen, wenn er sagt: „Mein Traum, noch et­was von der Welt zu se­hen, ist nicht all­zu rea­lis­tisch.“ Ei­ne bit­te­re Ein­sicht.

Aufrufe: 05.7.2021, 18:00 Uhr
RP / Robert PetersAutor