2024-05-02T16:12:49.858Z

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Nationalspieler Gosens blickt mit Freude und Leid auf 2020 zurück

Der 26-jährige Fußball-Profi aus Emmerich spricht über große Erfolge und die Zeit im Corona-Hotspot Bergamo.Seine Laufbahn möchte er in einigen Jahren in einer Mannschaft mit den Jungs, die er seit seiner Kindheit kennt, beenden.

Beim Blick zurück auf das Jahr 2020 hat Robin Gosens zwei Seelen in der Brust. Rein sportlich betrachtet war es ein gutes Jahr für den Fußball-Profi aus Elten. Der 26-Jährige feierte mit Atalanta Bergamo große Erfolge, er erzielte beim 2:0-Sieg seines italienischen Teams beim FC Liverpool einen Treffer an der legendären Anfield Road und gab sein Debüt in der Nationalmannschaft. Doch 2020 war auch ein Jahr mit schrecklichen Bildern aus Bergamo nur wenige Wochen nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Die Bilder der Militärlastwagen mit Särgen schockierten die Welt. Robin Gosens spricht im Interview mit der Rheinischen Post über diese schlimmen Zeiten, seine Zukunftspläne und wie er seine Laufbahn als Fußballer beenden möchte.

2020 war ein sport­lich er­folg­rei­ches, aber si­cher­lich auch ein furcht­ba­res Jahr im Co­ro­na-Hot­spot Ber­ga­mo für Sie.

RO­BIN GO­SENS | Es war de­fi­ni­tiv ein Jahr ge­spickt mit Ups and Downs – von ab­so­lu­ten Hö­he­punk­ten in mei­ner sport­li­chen Kar­rie­re, die ich nie ver­ges­sen wer­de, bis hin zu zu ab­so­lu­ten Tief­punk­ten, die ich lei­der Got­tes wahr­schein­lich auch nicht mehr ver­ges­sen wer­de und die tief im Ge­hirn ein­ge­brannt sind. Zum Bei­spiel, wenn ich an die Lkw-Kon­vois den­ke, die in Ber­ga­mo im März Lei­chen ab­trans­por­tiert ha­ben. Wir wa­ren da­mals ein Epi-Zen­trum der Co­ro­na-Kri­se. Das sind schon Sa­chen, die blei­ben hän­gen. Von da­her ha­be ich ein sehr am­bi­va­len­tes Ver­hält­nis zum Jahr 2020. Es gab Er­fol­ge in der Cham­pi­ons Le­ague und das De­büt in der Na­tio­nal­mann­schaft. Ich ha­be aber auch haut­nah sehr viel Leid mit­er­lebt.

Al­so lebt man als Pro­fi-Fuß­bal­ler nicht, wie so oft ge­sagt wird, in Co­ro­na-Zei­ten in ei­ner Bla­se.

GO­SENS | Wenn die Spie­le lau­fen, kann man sich re­la­tiv si­cher sein, dass ei­nem in der Co­ro­na-Kri­se nichts pas­siert. Auf der an­de­ren Sei­te hat­ten wir im Früh­jahr hier in Ber­ga­mo aber auch ei­nen acht Wo­chen lan­gen Lock­down, wo zu Recht nicht Fuß­ball ge­spielt wur­de und ich nur zu Hau­se war. Und wenn man dann tag­ein, tag­aus im Mi­nu­ten­takt Si­re­nen hört und weiß, dass in die­sem Mo­ment Leu­te um ihr Le­ben kämp­fen, kann man nicht da­von spre­chen, dass man sich zu die­ser Zeit von al­lem ab­schot­ten konn­te.

Wie ist die Si­tua­ti­on in Ber­ga­mo ak­tu­ell?

GO­SENS | Im Mo­ment ist ei­gent­lich al­les gut, so­weit es gut sein kann. Ber­ga­mo ist ei­ne der Städ­te, die in Ita­li­en am we­nigs­ten be­trof­fen sind. Wir sind auch froh, dass es re­la­tiv ru­hig ist.

Füh­len Sie sich denn im Mo­ment si­cher in Ih­rer Si­tua­ti­on bei Ata­lan­ta Ber­ga­mo oder ha­ben Sie die Sor­ge, dass sie sich an­ste­cken kön­nen?

GO­SENS | Im März hat­te ich Angst um die ei­ge­ne Ge­sund­heit und die mei­ner Freun­din. Das war krass. Auch jetzt ha­be ich im­mer noch ei­nen Rie­sen­re­spekt vor dem Vi­rus und si­cher auch ei­ne ge­wis­se Angst da­vor, sich an­zu­ste­cken.

Dür­fen Sie denn als Pro­fi von Ata­lan­ta ganz nor­mal in Ber­ga­mo aus dem Haus ge­hen oder müs­sen Sie sich vom Ver­ein her in ei­ner Art Qua­ran­tä­ne be­we­gen.

GO­SENS | Bis vor we­ni­gen Ta­gen war Ber­ga­mo noch Zo­na Ros­sa, ro­te Zo­ne al­so. Das be­deu­te­te, dass wir un­ser Haus nur ver­las­sen durf­ten, wenn es ei­nen trif­ti­gen Grund da­für gab. Da wa­ren wir ei­gent­lich nur im Park, um mit un­se­rem Hund ei­ne Run­de zu dre­hen. An­sons­ten wa­ren wir zu Hau­se.

Sie hat­ten vor kur­zem ei­nen po­si­ti­ven Co­ro­na-Test, der sich im Nach­hin­ein als falsch er­wie­sen hat. Wie groß war der Schreck­mo­ment?

GO­SENS | Da ist mir zu­erst ein­mal die Kinn­la­de her­un­ter­ge­fal­len, weil ich mir nicht vor­stel­len konn­te, wo ich mich an­ge­steckt ha­ben könn­te, da ich zu dem Zeit­punkt kei­ne so­zia­len Kon­tak­te hat­te. Ich hat­te dann in­ner­halb von 48 Stun­den vier wei­te­re Test, die zum Glück al­le ne­ga­tiv wa­ren.

Hat­ten Sie über die Weih­nachts-Fei­er­ta­ge län­ger frei, um ein­mal durch­zu­schnau­fen?

GO­SENS | Nein. Nach dem letz­ten Spiel des Jah­res ge­gen Bo­lo­gna am 23. De­zem­ber ha­ben wir ge­nau drei Ta­ge frei be­kom­men. Das Pro­gramm, das wir mit Ata­lan­ta Ber­ga­mo ha­ben, weil wir auch in der Cham­pi­ons Le­ague da­bei sind, ist schon wahn­sin­nig und sehr grenz­wer­tig.

Wann wa­ren Sie das letz­te Mal zu Hau­se bei ih­ren El­tern in El­ten?

GO­SENS | Ich war zwar we­gen der Län­der­spie­le in die­sem Jahr drei­mal in Deutsch­land, aber ha­be die Fa­mi­lie da nicht ge­se­hen. Das letz­te grö­ße­re Tref­fen ist gut vier Mo­na­te her.

Macht Ih­nen der Fuß­ball, so wie er ak­tu­ell we­gen der Pan­de­mie statt­fin­den muss, ei­gent­lich noch rich­tig Spaß?

GO­SENS | Auf kei­nen Fall. Und das ist scha­de. Durch die gan­zen Spie­le im Drei-Ta­ges-Rhyth­mus sieht man den Fuß­ball im Mo­ment eher als Ar­beit an, der Spaß geht ver­lo­ren. Aber es ist ak­tu­ell halt nicht an­ders mög­lich. Und na­tür­lich feh­len die Fans, die Emo­tio­nen, die ei­nen nach vor­ne pus­hen. Des­halb ist es ak­tu­ell nicht der Fuß­ball, den ich ken­ne und lie­be.

Trotz­dem war Ihr Geis­ter­spiel mit Ata­lan­ta Ber­ga­mo beim FC Liver­pool, bei dem Sie beim 2:0-Sieg ei­nen Tref­fer an der An­field Road er­zielt ha­ben, ein be­son­de­res Er­leb­nis für Sie.

GO­SENS | Es ist schon be­dau­er­lich, wenn man ein­mal in ei­nem so hei­li­gen Fuß­ball-Tem­pel spie­len darf und es sind kei­ne Fans da. Man hat trotz­dem das Ma­gi­sche der An­field Road ge­spürt. Des­halb war die Par­tie nicht nur we­gen mei­nes To­res ein Hö­he­punkt für mich.

Wie mü­de füh­len Sie sich nach den vie­len Wo­chen mit Spie­len im Drei-Ta­ges-Rhyth­mus?

GO­SENS | Der Kör­per ist mü­de und an der Be­las­tungs­gren­ze. Doch wir ha­ben ein gan­zes Jahr dar­um ge­kämpft, in der Cham­pi­ons Le­ague zu spie­len. Dann darf man sich jetzt auch nicht be­schwe­ren, wenn das Pen­sum der­zeit sehr hoch und ge­sund­heit­lich even­tu­ell be­denk­lich ist. Das ist dies­mal si­cher­lich auch noch ex­tre­mer, weil es kei­ne rich­ti­ge Som­mer­pau­se gab.

An­fang Ja­nu­ar geht es wei­ter – und dann war­tet im Ach­tel­fi­na­le der Cham­pi­ons Le­ague im Fe­bru­ar mit den Spie­len ge­gen Re­al Ma­drid schon der nächs­te Hö­he­punkt.

GO­SENS | Wir wer­den mit den Par­ti­en ge­gen Re­al wie­der ein Stück Ver­eins­ge­schich­te schrei­ben. Dar­auf freut sich na­tür­lich je­der im Klub.

Se­hen Sie Ih­re sport­li­che Zu­kunft wei­ter bei Ata­lan­ta?

GO­SENS | Erst ein­mal will ich den Rest der Sai­son das Ni­veau be­stä­ti­gen, das ich in der ver­gan­ge­nen Sai­son ge­zeigt ha­be. Das ist mein per­sön­li­cher An­trieb. Und im op­ti­ma­len Fall bin ich dann bei der Eu­ro­pa­meis­ter­schaft da­bei, was ich mir un­heim­lich wün­schen wür­de und mein gro­ßes Ziel ist. Was dann pas­siert, muss man ab­war­ten. Ich ha­be im­mer ge­sagt, dass ich ger­ne ein­mal den Schritt nach Deutsch­land zu ei­nem Top-Ver­ein ma­chen wür­de. Wenn da ei­ne Tür auf­ge­hen wür­de, dann wür­de ich si­cher­lich mei­ne Chan­ce su­chen. Es ist aber nicht so, dass ich hier bei Ata­lan­ta ge­gen mei­nen Wil­len fest­sit­ze. Es drängt nicht, dass ich un­be­dingt aus Ber­ga­mo weg muss.

Wie se­hen Sie Ih­re Chan­cen, von Bun­des­trai­ner Joa­chim Löw für die EM no­mi­niert zu wer­den.

GO­SENS | Ich glau­be, dass ich mich in den Lehr­gän­gen mit der Na­tio­nal­mann­schaft, an de­nen ich teil­ge­nom­men ha­be, schon gut eta­bliert ha­be. Und ich ha­be auch durch Leis­tung ge­zeigt, dass ich durch­aus mei­ne Be­rech­ti­gung ha­be, da­bei zu sein. Doch die Kon­kur­renz auf mei­ner Po­si­ti­on schläft nicht. Es geht nur dar­über, dass ich Wo­che für Wo­che bei Ata­lan­ta Ber­ga­mo gu­te Leis­tun­gen zei­ge.

Gibt es der­zeit bei die­sem Pen­sum ei­gent­lich ein Pri­vat­le­ben für Sie?

GO­SENS | Ein Pri­vat­le­ben ist seit Sep­tem­ber ei­gent­lich nicht vor­han­den. Wir hat­ten seit­dem nur eng­li­sche Wo­chen. Und das geht im Ja­nu­ar und Fe­bru­ar so wei­ter. Man ist ei­nen Tag zu Hau­se – und dann geht es wie­der mit dem Flug­zeug, Bus oder Zug zum nächs­ten Spiel.

Bleibt da noch ge­nü­gend Zeit für Ihr Psy­cho­lo­gie-Fern­stu­di­um?

GO­SENS | Das läuft sehr gut. Ich bli­cke in Sa­chen Stu­di­um auf ein sehr er­folg­rei­ches Jahr zu­rück. Da­zu hat der Lock­down si­cher­lich sei­nen Teil bei­ge­tra­gen. Wenn ich et­was Po­si­ti­ves über das Co­ro­na-Jahr 2020 an­ge­ben soll­te, dann ist es si­cher­lich der Fort­schritt, den ich in mei­nem Stu­di­um ge­macht ha­be. Mein Traum ist es, den Mas­ter in Sport­psy­cho­lo­gie zu ma­chen.

Um dann dem Fuß­ball als Sport­psy­cho­lo­ge ver­bun­den zu blei­ben?

GO­SENS | Dem Sport schon, dem Fuß­ball aber si­cher­lich nicht. Ich möch­te spä­ter Men­schen hel­fen, bes­ser mit Druck­si­tua­tio­nen um­ge­hen zu kön­nen.

Und war­um wol­len Sie das nicht im Fuß­ball ma­chen?

GO­SENS | Ich lie­be den Fuß­ball, aber das Fuß­ball-Busi­ness ist von An­fang an nicht meins ge­we­sen. Des­halb wer­de ich si­cher­lich nach mei­ner Kar­rie­re nicht in ir­gend­ei­ner Funk­ti­on im Fuß­ball wei­ter­ma­chen.

Was stört Sie am Fuß­ball-Busi­ness?

GO­SENS | Ich kann mich mit vie­len As­pek­ten in die­sem Ge­schäft nicht iden­ti­fi­zie­ren. Da geht es vor al­lem um das The­ma Mensch­lich­keit, um Em­pa­thie. Ich ha­be oft das Ge­fühl, dass wir Spie­ler nicht als Men­schen, son­dern als Ob­jek­te mit Preis­schild ge­se­hen wer­den. Da­mit ha­be ich von An­fang an ei­ni­ge Pro­ble­me ge­habt.

Ha­ben Sie noch Kon­takt zu ehe­ma­li­gen Mit­spie­lern in Em­me­rich, Bo­cholt oder Rhe­de, die ja hier am Nie­der­rhein wie­der in der Co­ro­na-Zwangs­pau­se sind?

GO­SENS | Ich spre­che re­gel­mä­ßig mit ih­nen. Al­le sa­gen, dass sie rich­tig Bock dar­auf ha­ben, bald wie­der zu ki­cken. Ich glau­be, dass Sport, und der be­steht ja nicht nur aus Fuß­ball, ge­ne­rell wie je­de Frei­zeit­ak­ti­vi­tät für die Men­schen als Aus­gleich Gold wert ist. Das Schlim­me ist, dass im Mo­ment kei­ne Bes­se­rung für den Ama­teur­sport in Sicht ist.

Kön­nen Sie sich vor­stel­len, ir­gend­wann noch ein­mal bei ei­nem Ama­teur­ver­ein hier in der Re­gi­on zu spie­len?

GO­SENS | Das ist der Plan. Ich möch­te mit den Jungs, die ich seit mei­ner Kind­heit ken­ne, spä­ter noch ein­mal in ei­ner Mann­schaft spie­len. Das wä­re in ei­ni­gen Jah­ren si­cher­lich der krö­nen­de Ab­schluss mei­ner Lauf­bahn.

Aufrufe: 02.1.2021, 08:00 Uhr
RP / Joachim Schwenk und Hans SterbenkAutor