2020 war ein sportlich erfolgreiches, aber sicherlich auch ein furchtbares Jahr im Corona-Hotspot Bergamo für Sie.
ROBIN GOSENS | Es war definitiv ein Jahr gespickt mit Ups and Downs – von absoluten Höhepunkten in meiner sportlichen Karriere, die ich nie vergessen werde, bis hin zu zu absoluten Tiefpunkten, die ich leider Gottes wahrscheinlich auch nicht mehr vergessen werde und die tief im Gehirn eingebrannt sind. Zum Beispiel, wenn ich an die Lkw-Konvois denke, die in Bergamo im März Leichen abtransportiert haben. Wir waren damals ein Epi-Zentrum der Corona-Krise. Das sind schon Sachen, die bleiben hängen. Von daher habe ich ein sehr ambivalentes Verhältnis zum Jahr 2020. Es gab Erfolge in der Champions League und das Debüt in der Nationalmannschaft. Ich habe aber auch hautnah sehr viel Leid miterlebt.
Also lebt man als Profi-Fußballer nicht, wie so oft gesagt wird, in Corona-Zeiten in einer Blase.
GOSENS | Wenn die Spiele laufen, kann man sich relativ sicher sein, dass einem in der Corona-Krise nichts passiert. Auf der anderen Seite hatten wir im Frühjahr hier in Bergamo aber auch einen acht Wochen langen Lockdown, wo zu Recht nicht Fußball gespielt wurde und ich nur zu Hause war. Und wenn man dann tagein, tagaus im Minutentakt Sirenen hört und weiß, dass in diesem Moment Leute um ihr Leben kämpfen, kann man nicht davon sprechen, dass man sich zu dieser Zeit von allem abschotten konnte.
Wie ist die Situation in Bergamo aktuell?
GOSENS | Im Moment ist eigentlich alles gut, soweit es gut sein kann. Bergamo ist eine der Städte, die in Italien am wenigsten betroffen sind. Wir sind auch froh, dass es relativ ruhig ist.
Fühlen Sie sich denn im Moment sicher in Ihrer Situation bei Atalanta Bergamo oder haben Sie die Sorge, dass sie sich anstecken können?
GOSENS | Im März hatte ich Angst um die eigene Gesundheit und die meiner Freundin. Das war krass. Auch jetzt habe ich immer noch einen Riesenrespekt vor dem Virus und sicher auch eine gewisse Angst davor, sich anzustecken.
Dürfen Sie denn als Profi von Atalanta ganz normal in Bergamo aus dem Haus gehen oder müssen Sie sich vom Verein her in einer Art Quarantäne bewegen.
GOSENS | Bis vor wenigen Tagen war Bergamo noch Zona Rossa, rote Zone also. Das bedeutete, dass wir unser Haus nur verlassen durften, wenn es einen triftigen Grund dafür gab. Da waren wir eigentlich nur im Park, um mit unserem Hund eine Runde zu drehen. Ansonsten waren wir zu Hause.
Sie hatten vor kurzem einen positiven Corona-Test, der sich im Nachhinein als falsch erwiesen hat. Wie groß war der Schreckmoment?
GOSENS | Da ist mir zuerst einmal die Kinnlade heruntergefallen, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wo ich mich angesteckt haben könnte, da ich zu dem Zeitpunkt keine sozialen Kontakte hatte. Ich hatte dann innerhalb von 48 Stunden vier weitere Test, die zum Glück alle negativ waren.
Hatten Sie über die Weihnachts-Feiertage länger frei, um einmal durchzuschnaufen?
GOSENS | Nein. Nach dem letzten Spiel des Jahres gegen Bologna am 23. Dezember haben wir genau drei Tage frei bekommen. Das Programm, das wir mit Atalanta Bergamo haben, weil wir auch in der Champions League dabei sind, ist schon wahnsinnig und sehr grenzwertig.
Wann waren Sie das letzte Mal zu Hause bei ihren Eltern in Elten?
GOSENS | Ich war zwar wegen der Länderspiele in diesem Jahr dreimal in Deutschland, aber habe die Familie da nicht gesehen. Das letzte größere Treffen ist gut vier Monate her.
Macht Ihnen der Fußball, so wie er aktuell wegen der Pandemie stattfinden muss, eigentlich noch richtig Spaß?
GOSENS | Auf keinen Fall. Und das ist schade. Durch die ganzen Spiele im Drei-Tages-Rhythmus sieht man den Fußball im Moment eher als Arbeit an, der Spaß geht verloren. Aber es ist aktuell halt nicht anders möglich. Und natürlich fehlen die Fans, die Emotionen, die einen nach vorne pushen. Deshalb ist es aktuell nicht der Fußball, den ich kenne und liebe.
Trotzdem war Ihr Geisterspiel mit Atalanta Bergamo beim FC Liverpool, bei dem Sie beim 2:0-Sieg einen Treffer an der Anfield Road erzielt haben, ein besonderes Erlebnis für Sie.
GOSENS | Es ist schon bedauerlich, wenn man einmal in einem so heiligen Fußball-Tempel spielen darf und es sind keine Fans da. Man hat trotzdem das Magische der Anfield Road gespürt. Deshalb war die Partie nicht nur wegen meines Tores ein Höhepunkt für mich.
Wie müde fühlen Sie sich nach den vielen Wochen mit Spielen im Drei-Tages-Rhythmus?
GOSENS | Der Körper ist müde und an der Belastungsgrenze. Doch wir haben ein ganzes Jahr darum gekämpft, in der Champions League zu spielen. Dann darf man sich jetzt auch nicht beschweren, wenn das Pensum derzeit sehr hoch und gesundheitlich eventuell bedenklich ist. Das ist diesmal sicherlich auch noch extremer, weil es keine richtige Sommerpause gab.
Anfang Januar geht es weiter – und dann wartet im Achtelfinale der Champions League im Februar mit den Spielen gegen Real Madrid schon der nächste Höhepunkt.
GOSENS | Wir werden mit den Partien gegen Real wieder ein Stück Vereinsgeschichte schreiben. Darauf freut sich natürlich jeder im Klub.
Sehen Sie Ihre sportliche Zukunft weiter bei Atalanta?
GOSENS | Erst einmal will ich den Rest der Saison das Niveau bestätigen, das ich in der vergangenen Saison gezeigt habe. Das ist mein persönlicher Antrieb. Und im optimalen Fall bin ich dann bei der Europameisterschaft dabei, was ich mir unheimlich wünschen würde und mein großes Ziel ist. Was dann passiert, muss man abwarten. Ich habe immer gesagt, dass ich gerne einmal den Schritt nach Deutschland zu einem Top-Verein machen würde. Wenn da eine Tür aufgehen würde, dann würde ich sicherlich meine Chance suchen. Es ist aber nicht so, dass ich hier bei Atalanta gegen meinen Willen festsitze. Es drängt nicht, dass ich unbedingt aus Bergamo weg muss.
Wie sehen Sie Ihre Chancen, von Bundestrainer Joachim Löw für die EM nominiert zu werden.
GOSENS | Ich glaube, dass ich mich in den Lehrgängen mit der Nationalmannschaft, an denen ich teilgenommen habe, schon gut etabliert habe. Und ich habe auch durch Leistung gezeigt, dass ich durchaus meine Berechtigung habe, dabei zu sein. Doch die Konkurrenz auf meiner Position schläft nicht. Es geht nur darüber, dass ich Woche für Woche bei Atalanta Bergamo gute Leistungen zeige.
Gibt es derzeit bei diesem Pensum eigentlich ein Privatleben für Sie?
GOSENS | Ein Privatleben ist seit September eigentlich nicht vorhanden. Wir hatten seitdem nur englische Wochen. Und das geht im Januar und Februar so weiter. Man ist einen Tag zu Hause – und dann geht es wieder mit dem Flugzeug, Bus oder Zug zum nächsten Spiel.
Bleibt da noch genügend Zeit für Ihr Psychologie-Fernstudium?
GOSENS | Das läuft sehr gut. Ich blicke in Sachen Studium auf ein sehr erfolgreiches Jahr zurück. Dazu hat der Lockdown sicherlich seinen Teil beigetragen. Wenn ich etwas Positives über das Corona-Jahr 2020 angeben sollte, dann ist es sicherlich der Fortschritt, den ich in meinem Studium gemacht habe. Mein Traum ist es, den Master in Sportpsychologie zu machen.
Um dann dem Fußball als Sportpsychologe verbunden zu bleiben?
GOSENS | Dem Sport schon, dem Fußball aber sicherlich nicht. Ich möchte später Menschen helfen, besser mit Drucksituationen umgehen zu können.
Und warum wollen Sie das nicht im Fußball machen?
GOSENS | Ich liebe den Fußball, aber das Fußball-Business ist von Anfang an nicht meins gewesen. Deshalb werde ich sicherlich nach meiner Karriere nicht in irgendeiner Funktion im Fußball weitermachen.
Was stört Sie am Fußball-Business?
GOSENS | Ich kann mich mit vielen Aspekten in diesem Geschäft nicht identifizieren. Da geht es vor allem um das Thema Menschlichkeit, um Empathie. Ich habe oft das Gefühl, dass wir Spieler nicht als Menschen, sondern als Objekte mit Preisschild gesehen werden. Damit habe ich von Anfang an einige Probleme gehabt.
Haben Sie noch Kontakt zu ehemaligen Mitspielern in Emmerich, Bocholt oder Rhede, die ja hier am Niederrhein wieder in der Corona-Zwangspause sind?
GOSENS | Ich spreche regelmäßig mit ihnen. Alle sagen, dass sie richtig Bock darauf haben, bald wieder zu kicken. Ich glaube, dass Sport, und der besteht ja nicht nur aus Fußball, generell wie jede Freizeitaktivität für die Menschen als Ausgleich Gold wert ist. Das Schlimme ist, dass im Moment keine Besserung für den Amateursport in Sicht ist.
Können Sie sich vorstellen, irgendwann noch einmal bei einem Amateurverein hier in der Region zu spielen?
GOSENS | Das ist der Plan. Ich möchte mit den Jungs, die ich seit meiner Kindheit kenne, später noch einmal in einer Mannschaft spielen. Das wäre in einigen Jahren sicherlich der krönende Abschluss meiner Laufbahn.