2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Nach Stationen bei 1860 München, Jahn Regensburg und dem FC Augsburg ist Johannes Stingl (re.) nun wieder für seinen Jugendverein Deggendorf aktiv.
Nach Stationen bei 1860 München, Jahn Regensburg und dem FC Augsburg ist Johannes Stingl (re.) nun wieder für seinen Jugendverein Deggendorf aktiv. – Foto: Klaus Rainer Krieger

Joe Stingl: »Das, was man keinem wünscht, ist bei mir eingetreten«

Von der Regional- in die Bezirksliga: Der Profi-Traum von Johannes Stingl ist ausgeträumt. Dennoch ist der 23-Jährige, der nun für die SpVgg Grün-Weiß Deggendorf aufläuft, durchaus zufrieden mit der aktuellen Situation.

Eigentlich, möchte man meinen, müsste Johannes "Joe" Stingl mit den Entwicklungen in letzter Zeit hadern. Der 23-Jährige aus Winzer spielte Junioren-Bundesliga für die Löwen, gehörte zum Profikader des SSV Jahn Regensburg und lief zuletzt für den FC Augsburg in der Regionalliga auf. Und nun Bezirksliga mit der SpVgg Grün-Weiß Deggendorf. Der Profi-Traum ist vordergründig wegen vieler Verletzungen ausgeträumt. Nichtsdestotrotz wirkt der Mittelfeldspieler im FuPa-Interview alles andere als niedergeschlagen. Im Gegenteil. Der angehende Physiotherapeut zeigt sich aufgeräumt, selbstbewusst und bodenständig. Ein Gespräch über Glück und Pech, über Hoffnung und Verzweiflung, Hobby und Beruf...

Johannes, was fällt Dir zu den Namen Felix Udoukhai und Marco Richter ein?
Ich habe mit beiden bereits zusammengespielt - hauptsächlich mit Felix Udoukhai, der meinem Jahrgang bei Sechzig angehörte und mit dem ich heute noch in Kontakt stehe. Ich habe mich sowohl mit Felix als auch mit Marco echt gut verstanden. Das sind vernünftige Kerle.

Beide haben den Sprung in die Bundesliga geschafft und sogar schon das Nationaltrikot getragen. Bist Du neidisch ob ihrer Karrieren?
Nein, eigentlich nicht. Beide haben es sich absolut verdient, den Sprung in die Bundesliga zu schaffen. Ich gönne es jedem, mit dem ich in irgendeiner Mannschaft bei 1860, dem Jahn oder Augsburg gespielt habe. Wir haben alle enorm viel investiert. Bei dem einen hat es dann geklappt - bei dem andere nicht.

Hättest Du es Dir nicht verdient gehabt, es ganz nach oben zu schaffen?
Doch, schon. Aber bei mir hat es einfach nicht sollen sein.

»Leider hatte ich einfach kein Glück«


Warum?
Vordergründig wegen unglücklichen Zeitpunkten von Verletzungen. Zudem hatte ich etwas Pech, dass in den entscheidenden Momenten die jeweiligen Trainer nicht komplett von mir überzeugt waren. Heiko Herrlich beim Jahn hat damals auf mich gesetzt. Sein Nachfolger nicht. Und schon bin ich ins Hintertreffen geraten.

Auch wenn es vielleicht hart klingen mag, aber: Ist Dein Körper einfach nicht für den Leistungssport gemacht?
Natürlich macht man sich Gedanken in diesem Zusammenhang. All meine Verletzungen sind aber durch gegnerische Einwirkung entstanden, was doppelt bitter ist. Ich denke sehr wohl, dass mein Körper den Anforderungen des Leistungssport entsprochen hat. Und auch die Psyche wäre bereit gewesen. Aber ich hatte einfach Pech. Das, was man den Mitspielern auf keinen Fall wünscht, ist eben genau bei mir eingetreten.

Zum zweiten Mal nimmst Du das Wort "Pech" in den Mund. Neben dem Talent, das man zweifelsohne haben muss, und der richtigen Einstellung ist also auch das Gegenteil, also Glück, maßgeblich, um sich durchsetzen zu können?
Absolut. Man muss Glück haben, dass man gesund bleibt. Man muss Glück haben, dass der jeweilige Trainer auf einem setzt. Leider hatte ich dieses Glück nicht.



Haderst Du oft mit Deinem Schicksal?
Anfangs, ja. Es ist nicht leicht, wenn man den großen Traum aufgeben muss. Ich habe aber gelernt, dass es im Leben noch andere Dinge gibt außer Fußball und Leistungssport. Mittlerweile habe ich mich damit arrangiert, dass es eben nicht geklappt hat.

Du wirkst sehr aufgeräumt.
So bin ich auch. Ich habe mit meiner Vergangenheit abgeschlossen, wobei das etwas negativ klingt. Die schönen Erinnerungen sind durchaus geblieben. Ich verfolge nach wie vor meine Ex-Teams und meine ehemaligen Mitspieler - aber halt nun mehr als Fan.

Als Physiotherapeut, bei Euch in der Familie scheinbar eine berufliche Tradition, setzt Du Dich regelmäßig intensiv mit dem menschlichen Körper auseinander. Hilft Dir hier Dein eigener Leidensweg, vielleicht sogar als negatives Beispiel?
Meine Erfahrungen helfen mir unglaublich viel. Ich kann mich deutlich besser in die Patienten hineinversetzen. Und ich merke täglich zudem, wie gering meine eigenen Probleme eigentlich waren. Es gibt Leute, die sind viel, viel schlechter dran als ich. Was das Fachliche betrifft konnte ich vom Leistungssport einiges für den Beruf mitnehmen, vor allem wenn es um Reha-Phasen geht.

Bei Grün-Weiß Deggendorf ist er gleich der Star...



Themawechsel: Dein fußballerischer Karriereweg hat Dich nun zur SpVgg Grün-Weiß Deggendorf geführt. Warum ausgerechnet dieser Verein?
Es ist ja nicht so, dass die Spielvereinigung absolutes Neuland ist für mich. Ich habe ja bereits in der D- und C-Jugend für Grün-Weiß gespielt. Die Physioschule, die ich aktuell besuche, ist in Deggendorf. Ich bin Stützpunkttrainer in Deggendorf. Der erste Kontakt mit den Verantwortlichen Andi Schäfer und Tom Seidl war sehr gut und erfreulich. Es hat einfach gepasst, vom ersten Moment an. Und ich habe mich nicht getäuscht.

Für Dich war also klar, dass Du trotz der Verletzungen wieder auf dem Platz zurückkehren wirst?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe es nicht forciert, wieder Fußball zu spielen. Aber ich habe das Spiel an sich und vor allem das Miteinander in einem Team einfach vermisst. Ich habe dem Spaß an diesem Sport wiedergefunden, den ich wegen den Verletzungen verloren hatte. Alles in allem bin ich mit der aktuellen Situation echt glücklich.

Wie gehst Du damit um, gleich als ehemaliger Junioren-Bundesliga-Spieler sowas wie der "Star" der Grün-Weißen zu sein?
Mir war es von vorneherein klar, dass es so sein wird. Ich nehme das deshalb so an, wie es ist. Vielleicht hilft mir hier meine Bodenständigkeit. Ich bin normal - und das habe ich den Jungs auch gleich zu verstehen gegeben. Dass aufgrund meiner Vergangenheit mehr auf mich geschaut wird, macht mir eigentlich nichts aus. Das ist halt so.

Im Trikot der Oberpfälzer durfte der 23-Jährige sogar Profiluft schnuppern.
Im Trikot der Oberpfälzer durfte der 23-Jährige sogar Profiluft schnuppern. – Foto: Florian Würthele


Mit Deinen gerade einmal 23 Jahren bist Du einer der ältesten Spieler im Kader des Bezirksligisten. Wie gehst Du damit um, praktisch sofort eine Führungsrolle übernehmen zu müssen?
Ich bin es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen, weil ich eigentlich in jeder Mannschaft, in der ich bisher gespielt habe, eine Führungsrolle inne hatte. Und das ist nun eben auch der Fall. Das Team ist jung, muss noch einiges lernen, aber das Potenzial ist da.

"Wir müssen uns erst noch aneinander gewöhnen. Es wäre aber schlimm, wenn er uns mit seiner Klasse nicht weiterhelfen könnte. Johannes hat vor allem bereits eine sehr ausgeprägte Persönlichkeit" - wie interpretierst Du diese Aussage Deines neuen Trainers Thomas Seidl?
Nachdem ich erst im September so richtig eingestiegen bin dort, bin ich etwas ins kalte Wasser geworfen worden. Und ich muss schon zugegeben, am Anfang war Bezirksliga-Fußball vom Niveau her eine Umstellung für mich. Es passiert mir heute noch, dass ich mich dabei ertappe, einen Schritt weiter zu sein als meine Mitspieler - beispielsweise, wenn es um das Direktspiel geht. Auch das Tempo ist insgesamt etwas langsamer. Aber das ist gar nicht schlimm. Ich bin mit Freude dabei, das ist das Wichtigste.

Du scheint eine geborene Persönlichkeit zu sein.
Ja, das stimmt wohl. Ich verstecke mich nicht. Warum auch. Ich bin ja inzwischen, wie vorher angesprochen, im Trainergeschäft tätig - und da schadet es nicht, diese Eigenschaft zu haben.

»Man wächst bekanntlich an seinen Aufgaben«



Hast Du in den bisherigen Spielen für Deggendorf Sonderbewacher auf die Füße gestellt bekommen, weil Du ein vergleichsweise großer Name bist?
Eher nicht, nein. Was ich wahrgenommen habe, ist, dass ich doch etwas schneller bin - geistig und physisch. Nach einem Foul hat mir ein Gegenspieler lapidar gesagt, ich sei einfach zu schnell.

Sowohl Seidl als auch Sepp Steinberger, Dein Coach in der Löwen-Jugend, betonen beide Deine ausgeprägte, bereits sehr erwachsene Persönlichkeit. Du seist ein Typ mit Ecken und Kanten, der dazwischenhaut und mitreißt, beschreibt Dich Letztgenannter. Bist Du reifer als Gleichaltrige, weil Du fußballerisch schon soviel erlebt hast?
Ja. Natürlich muss das immer ein bisschen von einem selber kommen. Aber allein dadurch, dass ich mit 14 schon von Zuhause ausgezogen bin, war ich sehr früh auf mich alleine gestellt und musste mich eben schneller entwickeln. Ich habe so bereits in der Pubertät mitbekommen, dass ich für mich selber verantwortlich bin. Und bekanntlich wächst man an seinen Aufgaben.

Das Deggendorfer Führungsduo Thomas Seidl (v.l.) und Andreas Schäfer freuen sich über einen unerwarteten Hochkaräter.
Das Deggendorfer Führungsduo Thomas Seidl (v.l.) und Andreas Schäfer freuen sich über einen unerwarteten Hochkaräter. – Foto: Charly Becherer


Dein Vater Manfred und Dein Bruder Matthias sind ebenso überregional bekannter Fußballer wie Du. Das Talent scheint in Eurer Familie in den Genen zu liegen. Ist das doppelter Druck?
Überhaupt nicht. Wir haben schon immer Fußball gespielt und waren schon immer besser als viele andere in unserer Region. Natürlich wurden wir auch von unserem Papa dementsprechend gefördert. Aber ganz ohne Druck, das möchte ich besonders betonen. So ab der D-Jugend konnte man schon abschätzen, wohin unser Weg führt.

Bleibt also nur der Münchener Farbenkonflikt.
Ja, das stimmt. Matthias bei Bayern, ich bei 1860 - das war schon immer ein heikles Thema (schmunzelt).

Abschließend der obligatorische Blick in die Zukunft. Erzähl doch mal...
Abseits des Fußballplatzes möchte ich in dem Beruf, den ich zurzeit erlerne, Fuß fassen. Ich genieße es regelrecht, dass es für mein Leben keinen absolut konkreten Plan mehr gibt. Ich warte alles ab - vor allem was den Fußball betrifft. Ich möchte weitere Trainerlizenzen machen und vielleicht etwas höher schnuppern. Als Aktiver möchte ich einfach Spaß haben - egal in welcher Liga.

Johannes, Danke für das Gespräch, alles Gute für die Zukunft - und ganz wichtig: Gesund bleiben

Aufrufe: 027.11.2020, 10:30 Uhr
Helmut WeigerstorferAutor