2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Gerd Jennewein nahm die letzten 35 Jahre regelmäßig auf den Trainerbänken der Region Platz. Die nächste Aufgabe kommt bestimmt. Archivbild: Haas
Gerd Jennewein nahm die letzten 35 Jahre regelmäßig auf den Trainerbänken der Region Platz. Die nächste Aufgabe kommt bestimmt. Archivbild: Haas

Jennewein ohne Mannschaft? "Eine Ausnahmesituation"

Gerd Jennewein spricht im FuPa-Interview über hohe Erwartungen im Dorffußball, respektvolle Gastspiele und die Sehnsucht nach dem nächsten Trainerjob

Bechtolsheim. Anfang der Rückrunde zog es Gerd Jennewein, das Mainzer Trainerurgestein, zum Fußball-B-Ligisten SV Bechtolsheim. Beim Dorfverein endete die Beziehung mit einem Abstieg ziemlich abrupt. Jennewein blickt zurück.

Wie haben Sie ihr halbes Jahr Dorffußball erlebt?

Wenn ich gewusst hätte, wie sich das entwickelt, dann wäre ich das Abenteuer nicht eingegangen. Rückblickend war es eine verlorene Zeit. Ich bin ein Stück weit ins kalte Wasser gesprungen, weil ich mich im Kreis Alzey Worms schlicht nicht auskannte. Ich bin aber niemand, der im Nachgang dreckige Wäsche wäscht. Bei Abteilungsleiter Mathias Webler möchte ich mich auch nochmal ausdrücklich bedanken, die Unterstützung war super. Das einzige, was ich dem Verein ein Stück weit vorhalte, ist, dass schon bei meiner Verpflichtung allen klar sein musste, dass ich ein ambitionierter Trainer bin. So wie sich die Mannschaft präsentiert hat, von ihrem Ehrgeiz und ihrem Trainingseifer, passt das nicht zu einem Trainer wie mir, der etwas bewegen will.

Mit welcher Erwartung haben Sie in Bechtolsheim angeheuert?

Wir waren zwar zur Winterpause Vorletzter, aber ich habe geglaubt, dass wir mit drei, vier Siegen schnell die Abstiegszone verlassen. Am Anfang war die Begeisterung auch riesig groß. Vielleicht haben wir uns alle davon ein wenig blenden lassen. Spieler denken, dass ich mit Handauflegen den Erfolg bringe. Zum Rückrundenauftakt war das Team supermotiviert und unternehmungslustig. Da war richtig Musik drin. Wir siegen in meinem ersten Spiel in Sulzheim, nicht weil wir besser waren, sondern weil wir eine breite Brust hatten.

Nach dem Auftaktsieg zur Rückrunde konnte kein einziger Zähler mehr eingefahren werden.

Sie müssen nur die Abschlusstabelle lesen, dafür müssen sie kein Experte sein. B-Klasse Alzey-Nord: Bechtolsheim I. Tabellenletzter. C-Klasse Alzey-Nord: Bechtolsheim II. Tabellenletzter. In 28 Spielen hat die Mannschaft 19 Tore geschossen. Ach du lieber Gott, wie willst du da die Klasse halten? Das sind im letzten Saisondrittel Dinge passiert, die dürfen nicht auftreten.

Was konkret fehlte der Mannschaft?

Wenn du in dieser Liga Erfolg haben willst, dann ist regelmäßiges Training das A und O. Und bei uns ist da die Beteiligung extrem zusammengeschrumpft. Auch die Kritikfähigkeit war bei vielen schlicht nicht vorhanden. Stattdessen waren Spieler mehrere Wochen unentschuldigt verschwunden. So kannst du keine Spiele gewinnen. Du musst 90 Minuten auf dem Platz brummen können, die gesamte Spielzeit Vollgas geben. Wir hatten aber nur Luft für eine Stunde. Dann sind wir wie eine Nuss geknackt und haben trotz anständigem Auftritts noch die Spiele aus der Hand gegeben.

Fehlten an der Stelle die Teamleader?

Ja. Ich brauche eine Mannschaft, die sich gegen Rückstände stemmt und wehrt. Da darf auch mal gegen den Tisch getreten werden in der Kabine. Da muss auch mal ein Abfalleimer durch den Raum fliegen. So Signale kamen aber nicht. Ich hätte auch schon vor Punktspielstart merken müssen, dass etwas im Argen liegt. Wir hatten im Winter sieben oder acht Vorbereitungsspiele angesetzt. Von denen haben wir sechs abgesagt, weil wir nicht ausreichend Spieler hatten.

Wo sind Sie auf den Dorfplätzen besonders nett empfangen worden?

Mich hat jeder in der Region gekannt. Das war beeindruckend und lief alles sehr respektvoll ab. Bei einem der ersten Gastspiele kam die Frau vom Trainer auf mich zu und meinte „Ach, Sie sind der neue Trainer der Bechtolsheimer. Kommen Sie her. Ich lade Sie auf einen Kaffee ein.“ Auch das Vereinsheim in Nieder-Wiesen ist klasse und wirklich gemütlich. Aber auch unser Vereinsheim, zusammen mit dem Rasenplatz, dem Hartplatz als Ausweichplatz und einer Sporthalle als Notnagel bilden sehr gute äußere Bedingungen.

Und spielerisch. Was sind Unterschiede zwischen den Mainzer-Amateurklassen und dem Fußball im Raum Alzey-Worms?

Die Leistungsdichte ist in Mainz mit gleich zwei B-Klassen und 30 Vereinen höher. Da hat sich etwas angesiedelt. Wenn es zum direkten Duell kommen würde, dann entscheiden die Mainzer Vereine die Partie gegen die Alzeyer B-Klassisten mehrheitlich für sich. Aber, wie gesagt: Dafür sind die Plätze in der Region Alzey deutlich besser, als ich es erwartet habe. Und anders als in Mainz, wo Spieler zwischen dutzend Vereinen vor ihrer Haustüre wählen können, halten Spieler hier ihrem Verein länger die Treue.

Was haben Sie selbst über sich in den letzten Monaten gelernt?

Ich werde nie wieder eine Mannschaft übernehmen, die ich vorher nicht im Training oder Spiel gesehen habe. Im Mainzer Raum kenne ich die Teams alle. Da gehe ich mal eben zum Training und beobachte oder schaue mir im Spiel an, wie die Mannschaft tickt. In Bechtolsheim habe ich mich allein auf Erzählungen verlassen.

Wie geht es für Sie weiter?

Momentan sitze ich zuhause ganz unruhig rum. 35 Jahre lang habe ich jeden zweiten Tag in der Woche auf dem Fußballplatz gestanden. Das ist aktuell eine Ausnahmesituation. Ich war noch nie in meinem Trainerleben ohne Mannschaft. Jetzt schaue ich viel mehr Fernsehen. Nicht nur Fußball, sondern auch Rosenheim Cops und so ein Mist. Ich will im Raum Mainz aber nochmal eine Mannschaft übernehmen. Ich bin motiviert und schon morgen bereit, wieder an der Linie zu stehen.

Das Interview führte Hendrik Rampe

Aufrufe: 08.6.2019, 12:00 Uhr
Henrik RampeAutor