2024-05-14T11:23:26.213Z

Allgemeines

Heimatgefühle am Geißbockheim

Serie - Teil 32: Der 38-jährige Kostheimer wechselte ins Internet des 1.FC Köln und kickte dort mit Lukas Podolski +++ "Fußball ist ein Haifischbecken" +++ Heute Trainer bei Nieder-Olm

Kostheim/Nieder-Olm. Das neue Jahrtausend begann für Christian Lang beim 1. FC Köln. Als Jugendlicher, dann als junger Erwachsener. Eine prägende Zeit in jeder Biografie, emotional, die Weichen für das weitere Leben werden gestellt. Aber besonders beim aktuellen Trainer von Bezirksligist FSV Nieder-Olm. Noch heute, bald 18 Jahre nach seinem Abgang aus der Domstadt, kommen sehr akute Heimatgefühle auf. Und eine Ahnung, was in seiner Karriere bei optimalem Verlauf möglich gewesen wäre.

Der 38-jährige Kostheimer hatte als kleiner Bub bei Kastel 06 begonnen, wechselte dann zur TSG 1846. „Drei Heimspiele haben uns zum Eintrag ins Guinessbuch gefehlt, unsere Serie ohne Niederlage hielt mehr als drei Jahre“, erzählt Lang. Der SV Wehen wurde aufmerksam, als C-Jugendlicher kickte Lang schon in der B1. So landete er in der Hessenauswahl, auch dort als Jungjahrgang unter lauter Älteren.
Das rief die Nachwuchszentren auf den Plan, die damals gerade im Aufbau befindlich waren. Schalke, Gladbach, Mainz, Frankfurt, Stuttgart, sie alle fragten an. „Und sie hatten alle nur das Internat, die ersten Züge dessen, was man jetzt NLZ nennt“, erinnert sich Lang.

Zuhause im Jagdschloss

Einzig beim 1. FC Köln bestand seinerzeit die Option, auch in eine Gastfamilie zu gehen. „Ich bin sehr familiengebunden und habe mich dafür entschieden.“ Bald landete Lang in einem riesigen ehemaligen Jagdschloss, unter dem Dach eines noch riesigeren FC-Fans, den wohl jeder kennt, ohne ihn zu kennen. „Er hat Thomas Gottschalk mit seinen Samt-Anzügen ausgestattet.“

Dort lernte Lang Tobias Nickenig kennen, der später in der Bundesliga zum Einsatz kommen sollte – und bis heute ein guter Freund geblieben ist. „Als Eintracht-Fan nach Köln, und man hört, dass ich Hesse bin.“ Ein mutiger Schritt. „Ich wurde eines Besseren belehrt.“ Doch einfach war es nicht. „Ich war schon immer relativ selbstbewusst. Aber das war eine ruppige Zeit. Da kam einer aus Hessen, der einem den Platz wegnehmen will. Ich habe mich durchgebissen. Die Zeit in Köln war die beste Fußballzeit meines Lebens.“

Köln ist "ein anderer Schlag Menschen"

Eine Zeit, in der Lang viel erlebt hat und besonders gepackt wurde. „Der Kölner Slogan ist 'Spürbar anders', und das ist wirklich so. Wenn die Menschen dort, egal ob im Rewe oder bei Kentucky, am Heimspieltag einen im Trikot sehen, heißt es: 'Das schaffen wir heute!' Das habe ich in dieser Gemütslage bei keinem anderen Verein festgestellt. Total emotional, oft drüber, das ist ein anderer Schlag Menschen.“

Lang muss schmunzeln. „Bis zu meinem 22. Lebensjahr wusste ich nicht, wie man eine Reise bucht.“ Er kam in den Kreis der Jugendnationalmannschaft, unter Horst Hrubesch, gemeinsam mit Patrick Ochs, der heute im Nachwuchs von Hessen Dreieich für seinen Sohn Luca verantwortlich ist. Mit der Mittelrheinauswahl ging es auf interessante Reisen nach Kasachstan, die USA oder Südafrika, im Vuvuzela-Lärm gegen Ernst Middendorps Kaizer Chiefs.

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„Wir haben dreimal den Länderpokal in Duisburg gewonnen, das hat nacheinander bis heute kein anderer Verband geschafft.“ René Adler, Jan-Ingwer Callsen-Bracker und Umut Kekilli spielten dort, und von Kölner Seite Lukas Sinkiewicz, Enis Alushi, Lang und Nickenig. Sowie Lukas Podolski.

„Poldi“ war ein Mitspieler, der schon früh hat erkennen lassen, dass ihn seine Karriere weit führen wird. Noch lange hielt der Kontakt, „auch wenn er irgendwann in anderen Sphären unterwegs war“. Doch der Name ist auch mit einem ersten Karriereknick verbunden. Lang riss sich im Trainingslager auf Gran Canaria den Quadrizeps, Podolski wurde nachnominiert. „Durch die Verletzung habe ich an Geschwindigkeit eingebüßt.“

Nur Odonkor war schneller

Apropos. Die U16 des DFB, interner Quervergleich. Lang war eigentlich Linksaußen, sollte aber ob seines Tempos als Außenverteidiger spielen. „Der Trainer wusste, dass ich sehr schnell bin. Er meinte zu mir: Sei direkt eng dran oder halte Abstand, sonst überläuft er dich. Ich habe gesagt: Trainer, mich überläuft niemand. Das hat dann vielleicht acht Minuten gedauert, dann wusste ich es besser.“ Der einzige, der noch schneller war, hieß David Odonkor.

Ein Länderspiel fehlt in Langs Vita, auch wenn er bei Hrubesch und Klaus Sammer im erweiterten Kader stand. „Vor der EM-Quali, in Wehen auf dem Hartplatz, es stand fünf oder sechs zu null, da wollte mich der Trainer deshalb rausnehmen“, erzählt Lang. „Aber ich war heiß, wollte drauf bleiben und bin kurz vor Schluss aufs Steißbein gefallen. Angebrochen. Ich war nie wieder so dicht an Einsätzen für Deutschland dran, was mir bis heute weh tut.“
Talent ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Karriere, auch Mentalität. Und sehr oft Glück oder zumindest das Ausbleiben von Unglück in Schlüsselmomenten, sowie die Entscheidungen, die man trifft. Lang würde sie im Rückblick nicht alle wieder so treffen.

"Zum ersten Mal im Leben mein Wort gebrochen"

Nach B- und A-Jugend ging es in die zweite Mannschaft, in die damals drittklassige Regionalliga. „Ich hatte eine Anfrage von Eintracht Frankfurt – und habe zum ersten Mal in meinem Leben mein Wort gebrochen.“
Gemeinsam mit Namen wie Patrick Ochs, Marco Russ, Daniyel Cimen und Baldo Di Gregorio sollte Lang einen Profivertrag unterschreiben und bei den Amateuren spielen. „Ich habe zugesagt, bin nach Köln zurückgefahren, und Andreas Rettig hat gezeigt, warum er im Profifußball Manager geworden ist. Er hat mich so bezirzt, gesagt: Du bist bei uns den Weg angefangen, jetzt setze ihn auch fort. Also bin ich beim FC geblieben, und es war vielleicht ein Zeichen des Himmels, dass ich mich zweimal schwer verletzt habe.“

Zweiter Fehler: Koblenzer Angebot abgelehnt

Eine Regionalliga-Minute gegen Dynamo Dresden ist aus der Saison 2003/04 vermerkt. Unter Ex-FC-Profi Andrzej Rudy folgte ein Jahr in der Oberliga beim Bonner SC und ein weiteres bei Eintracht II, nun, nach zwei in diesem Alter sehr entscheidenden Jahren, nur noch als Amateur. Parallel lag Lang ein Angebot von TuS Koblenz vor. „Mein Berater hat gesagt: Geh da nicht hin, die sind kurz vor der Insolvenz. Ich habe vom und für den Fußball gelebt.“ Statt das Risiko einzugehen, ging Lang zur Eintracht. Koblenz war seither häufiger in wirtschaftlichen Turbulenzen, in dieser Saison aber stieg die TuS unter Milan Sasic in die Zweite Bundesliga auf. Fehlentscheidung Nummer zwei.

"Hätte noch mal ins Ausland gehen sollen"

Auch das Jahr mit Alexander Schur bei der SGE hallt bis heute nach, im Positiven. Doch der Weg im Profisport war zu Ende. „Vielleicht hätte ich noch mal ins Ausland gehen sollen“, blickt Lang zurück, „aber Fußball ist ein Haifischbecken. Der Grund, warum ich einst angefangen hatte, war, weil mir das Spiel Spaß macht. Und nicht der Kampf um Plätze, Geld, Image, die Politik.“ Also entschied er sich zur Ausbildung bei der Sparkassen-Versicherung. „Das mache ich bis heute noch.“

Kapitän bei Biebrich, von Lüllig gelernt

Seine Laufbahn trudelte im Amateurbereich aus, bei Biebrich 02 für drei Jahre als Kapitän in der Verbandsliga, mit Kastel 06 als Aufsteiger in die Verbandsliga. Mit seinem Kollegen bei der TSG Wörsdorf, Christian Lüllig, hat Lang gemeinsam die U21 von Wehen Wiesbaden trainiert. „Von ihm habe ich viel mitgenommen.“ Doch den Traum loszulassen dauerte.
„Ich bin die ersten zwei Jahre in kein Bundesligastadion mehr gegangen“, erzählt Lang, „mit ein bisschen mehr Cleverness und Wissen hätte ich schon die Chance gehabt, zweite oder dritte Liga zu spielen. Nur ein paar Zweitligaspiele hätten als Reputation genügt, trotz der Verletzungen noch oben unterzukommen. Es hat mir sehr zu schaffen gemacht, ich hatte sehr viel darauf ausgelegt. Und von den 1984ern und 1985ern haben es sehr viele ja auch geschafft.“

"Eigentlich gab es nur Schule und Training"

Gut war, dass der FC damals schon viel Wert auf die schulische Laufbahn seiner Talente legte. „Eigentlich gab es nur Schule und Training“, blickt Lang auf seine Teenagerzeit zurück. „Eine richtige Jugend hatte ich eigentlich nicht.“ Der Sport brachte viele schöne Erinnerungen mit sich. „Heute würde ich es mehr genießen und wertschätzen.“ Der Amateurfußball war unbeschwerter, „auch wenn ich im ersten Jahr extra auf die Socken bekommen habe. Erst Köln, dann Frankfurt, jetzt tut's weh, der Spruch kam öfters. Ich habe mir deshalb auch eine Rote Karte mit relativ langer Sperre eingehandelt. Da wurde ein wunder Punkt getroffen, ich musste damit umzugehen lernen.“

Sein Bruder Dennis Lang hatte, als A- und B-Junior beim SVWW und Eintracht Frankfurt, ebenfalls das Zeug zu Höherem, aber die Eltern wollten nicht auch noch ihren zweiten Sohn weit weg ziehen lassen. „Ich bin sehr verwurzelt in Kostheim“, erzählt Christian Lang, „wenn ich heim gefahren bin, hatte ich am Ortsschild immer Heimatgefühle. Aber dasselbe spüre ich heute noch am Geißbockheim.“

Zur Serie: In dieser Reihe porträtieren wir ehemalige NLZ-Spieler, die den Sprung zum Profi nicht gepackt haben und nun bei Amateurteams aus der Region spielen. Sie erzählen uns, wie nah dran sie wirklich am großen Traum Profifußball waren und welche Ambitionen sie jetzt haben – sowohl auf als auch neben dem Platz.

Die bisher erschienen Texte der Serie:

- Teil 1: Linus Wimmer (SV Eintracht Trier)
- Teil 2: Lukas Fischer (TSG Bretzenheim)
- Teil 3: Lars Hermann (TSV Schott Mainz)
- Teil 4: Nik Rosenbaum (SV Alemannia Waldalgesheim)
- Teil 5: Joshua Iten (SG Hüffelsheim)
- Teil 6: Bilal Marzouki (FC Maroc Wiesbaden)
- Teil 7: Kevin Frey (VfB Bodenheim/TSG Mainz Futsal)
- Teil 8: Giorgio del Vecchio (TSV Schott Mainz)
- Teil 9: Marco Waldraff (SV Niedernhausen)
- Teil 10: Manuel Konaté-Lueken (RW Walldorf)
- Teil 11: Sandro Loechelt (Wormatia Worms)
- Teil 12: Marvin Esser (SG Walluf)
- Teil 13: Patrick Huth (TSG Pfeddersheim)
- Teil 14: Ilker Yüksel (Hassia Bingen)
- Teil 15: Tim Burghold (SV Niedernhausen)
- Teil 16: Noel Wembacher (RW Darmstadt)
- Teil 17: Tobias Schneider (RWO Alzey)
- Teil 18: Noah Michel (Türkgücü Friedberg)
- Teil 19: Marleen Schimmer (San Diego Waves)
- Teil 20: Deniz Darcan (SG Eintracht Bad Kreuznach)
- Teil 21: Max Pflücke (FC Basara Mainz)
- Teil 22: Jann Bangert (SV Rot-Weiß Hadamar)
- Teil 23: Aleksandar Biedermann (Wormatia Worms)
- Teil 24: Volkan Tekin (SV Dersim Rüsselsheim)
- Teil 25: Ilias Tzimanis (SV Unter-Flockenbach)
- Teil 26: Lukas Lazar (TSV Gau-Odernheim)
- Teil 27: Dimosthenis Papazois (SG Eintracht Bad Kreuznach)
- Teil 28: Sammy Kittel (SV Rot-Weiß Hadamar)
- Teil 29: Burak Bilgin (VfR Groß-Gerau)
- Teil 30: Luis Majrchzak (Hassia Bingen)
- Teil 31: Noah Schmitt (FC Eddersheim)

Aufrufe: 07.4.2022, 10:00 Uhr
Torben SchröderAutor