2024-06-14T14:12:32.331Z

Interview
Schaut skeptisch – und hat Grund dazu: FCG-Coach Daniyel Cimen.	Archivfoto: Ben
Schaut skeptisch – und hat Grund dazu: FCG-Coach Daniyel Cimen. Archivfoto: Ben

»Habe große Zweifel, dass das alles funktioniert«

RL SÜDWEST: +++ FC Gießen: Trainer Daniyel Cimen stellt die laufende Runde der Regionalliga Südwest infrage +++

Gießen. Schön sei es gewesen, die Mannschaft wieder komplett zu sehen. Sagt Daniyel Cimen, Trainer von Südwest-Regionalligist FC Gießen. Ein Satz, der Anfang März nicht denkbar gewesen wäre, seit Ausbruch der Corona-Pandemie jedoch zur (bitteren) Realität gehört. Kürzlich durfte der FCG erstmals nach Bekanntwerden eines infizierten Spielers am 22. September wieder in voller Teamstärke auf den Trainingsplatz. Im Gespräch bezieht Coach Cimen Stellung zu den außergewöhnlichen Herausforderungen, die diese Zeit mit sich bringt. Außerdem spricht der 35-Jährige über die aller Voraussicht nach geplatzte Verpflichtung von Ex-Zweitligaspieler Nej Daghfous.

Sie gelten als besonnener Trainer, den eine gewisse Gelassenheit auszeichnet. Inwiefern hat es an Ihnen genagt, in den vergangenen 14 Tagen nicht auf dem Trainingsplatz an der Entwicklung der Mannschaft arbeiten und die Spiele absolvieren zu können?

Natürlich hat das an mir genagt. Die Mannschaft ist noch in der Entwicklung. Wir hatten einen Umbruch, da waren diese zwei Wochen selbstredend nicht gut für uns. Allerdings haben wir der Mannschaft auch gesagt, dass wir positiv an die Sache herangehen wollen. Das heißt, wir haben jetzt Zeit, die wir für das nächste Spiel in Bahlingen nutzen wollen und können, um uns wieder an den Ball, den Platz und die fußballerischen Bewegungen zu gewöhnen. Außerdem konnten die angeschlagenen Spieler die Pause nutzen. Kamil Tyminski ist wieder voll dabei, Jure Colak ebenso. Aykut Öztürk befindet sich im Aufbau, bei ihm wird es eng für Samstag.

Was konnten Sie und die Mannschaft in der Quarantäne-Zeit trainingstechnisch überhaupt tun?

In der ersten Zeit, als noch keiner aus der Quarantäne durfte, gab es Yoga-Onlinekurse und Videos mit Stabilisierungsübungen. Die Spieler aus Gießen und aus dem Landkreis durften seit Dienstag mit einer Sondergenehmigung eine Stunde täglich laufen. Und mit anderen wie Colak, Tyminski, Nils Ellenfeld oder Nej Daghfous konnten wir in einer kleinen Gruppe auch seit Dienstag wieder auf den Platz.

Nun stehen ab dem kommenden Samstag vier Wochen mit sage und schreibe neun Spielen, darunter sechs Auswärtspartien, auf dem Programm. Was kommt da auf den FC Gießen zu und was muss bedacht werden, insbesondere möglicher Verletzungen angesichts der hohen Belastung?

Behandlung, Pflege, Schlaf, Regeneration: Das sind die Dinge, die jetzt mit am Wichtigsten sein werden. Darüber haben wir mit den Jungs gesprochen. Die müssen jetzt im wortwörtlichen Sinn für den Fußball leben. Wir wollen uns auf das erste Spiel konzentrieren und alles andere beiseiteschieben.

Der Bahlinger SC kommt ebenfalls aus einer Quarantäne und musste nach zwei Tagen Training das Spiel in Ulm bestreiten. Der Vereinsarzt hatte im Vorfeld Bedenken geäußert, da nicht klar sei, wie sich das Virus langfristig auf Herz und Lunge auswirke und vor Wiederaufnahme des Spielbetriebs eigentlich ein Belastungs-EKG durchgeführt werden müsse. Macht Fußball so noch Spaß?

Meiner Meinung nach wird mit der Gesundheit der Spieler gespielt, nicht nur in muskulärer Hinsicht. Es kann nicht gesund sein, erst gar nichts machen zu dürfen und dann dieses Programm zu haben. Und dementsprechend werden auch die Spiele sein. Höchstleistungen sind unter diesen Voraussetzungen kaum zu erwarten. Ich finde es immer noch schade, dass sich die Mehrheit der Vereine gegen die Aufteilung der Liga in zwei Staffeln entschieden hat. Damit wäre das Ganze besser zu kompensieren gewesen.

Kann die Saison zu Ende gespielt werden, wenn sich die Situation mit weiteren Quarantänemaßnahmen und Terminverlegungen nochmals verschärfen sollte?

Ich war bereits vor der Saison skeptisch. Und ich bin mir sicher, dass RW Koblenz, Bahlingen und wir, was Corona-Fälle und deren Folgen anbelangt, keine Einzelfälle bleiben werden. Die Nachholspiele werden irgendwie durchgedrückt, da wird keine großartige Rücksicht genommen. Ich habe große Zweifel, ob das alles so funktioniert.

Beim Mitte September geholten Nej Daghfous gibt es große Schwierigkeiten, die Spielgenehmigung zu bekommen, da sich der 34-Jährige im Rechtsstreit mit seinem Ex-Verein Kickers Offenbach befindet. Montagabend endet die Transferperiode. Muss der Club von Daghfous Abstand nehmen? Und wird der Club stattdessen einen anderen Spieler unter Vertrag nehmen?

Wie es aussieht, wird bei Daghfous die Berufung erst im nächsten Jahr verhandelt. Die Spielberechtigung wird er wohl nur erhalten, wenn er die Berufung zurückzieht. Bis Montag muss entschieden sein, ob er das tut. Wir sind dazu im Gespräch, aber es schaut tendenziell nicht danach aus, dass er das machen wird. Dann würde er für uns nicht zur Verfügung stehen. Ich würde mir das natürlich wünschen, obwohl ich Nejs Beweggründe verstehen kann. Wenn es mit Nej nicht klappt, würden wir sportlich gesehen gerne noch etwas machen. Es gibt auch ein, zwei Möglichkeiten, dass bis Montagabend etwas passiert. Von der Tendenz her glaube ich das aber eher nicht. Ab Dienstag würden diese Spieler, die aktuell bei ihrem Club nicht glücklich sind, aber voll im Saft stehen und somit sofort einsetzbar wären, als Option rausfallen. Dann kämen lediglich arbeitslose Spieler in Frage. Und das ist schwierig, die im Training in dieser Phase mit neun Spielen in 28 Tagen heranzuführen.

Aufrufe: 09.10.2020, 08:00 Uhr
Thomas Suer (Gießener Anzeiger)Autor