2024-05-02T16:12:49.858Z

Allgemeines
– Foto: Harneit

Fußball-Klassiker: Wahnsinn auf dem Bätjerplatz

7 Tore in 12 Minuten +++ Bokel holt 0:4-Rückstand auf +++ Erzählt von euren schönsten Spielen

In loser Reihenfolge wollen wir euch von unseren verrücktesten, spektakulärsten und dramatischsten Spielen berichten, die wir besucht haben. Heute geht es um eine Kreisligapartie im Dezember 2015.
Der MTV Bokel und die SG Schiffdorf/Sellstedt/Bramel trennten sich 6:6.


Fragt mich jemand nach den schönsten oder emotionalsten Spielen die ich jemals gesehen habe, dann antworte ich wahlweise mit einem „Wunder von der Weser“ oder das 7:1 der deutschen Nationalmannschaft im WM-Halbfinale gegen Brasilien. Das absolut verrückteste Spiel habe ich dagegen in Bokel auf dem Bätjerplatz erlebt. Kreisliga Cuxhaven: MTV Bokel gegen die SG Schiffdorf/Sellstedt/Bramel.

Am Nikolaustag 2015 machte ich mich auf dem Weg nach Bokel. Mein Heimatverein war schon vier Wochen in der Winterpause und die Auswahl an Amateurspielen ohnehin begrenzt. Nur einige wenige Nachholspiele waren überhaupt noch in der Umgebung angesetzt. Der Bätjerplatz liegt nur wenige Kilometer entfernt, man trifft viele bekannte Gesichter und die Verpflegung ist gut. Schnell noch einmal bei einer guten Wurst ein Kreisligaspiel schauen, bevor es in die lange Winterpause ging. FuPa Cuxhaven steckte noch in den Kinderschuhen und so zog ich noch ohne Kamera los. Das sollte ich hinterher bereuen. FuPa war zwar tatsächlich mit einer Videokamera an diesem Tag unterwegs, aber leider in Stotel. Dort verlor der TSV im Heimspiel gegen die SG Wehden/Debstedt und die Zuschauer dürften nicht annähernd soviel Spaß gehabt haben wie in Bokel.

Die Anlage ist in die Jahre gekommen, versprüht aber dennoch ein gewisses Flair. Ich kenne den Bätjerplatz seit der Jugend und habe den einen oder anderen Krimi dort erlebt, doch was mich an diesem Tag erwarten sollte, werde ich nie wieder vergessen.

Die Bokeler spielten bereits die dritte Saison in Folge nur noch auf Kreisebene und hatten die Rückkehr in die Bezirksliga anvisiert. Zu Gast war die SG Schiffdorf/Sellstedt/Bramel. Gute Truppe, solider Mittelfeldplatz. Der MTV ging trotzdem als klarer Favorit ins Spiel. Was ich dann erleben sollte, werde ich nie wieder vergessen.


Tulke: „Wir waren eine stabile Truppe“
Bereits im Vorfeld Partie schaukelte sich die Stimmung in den sozialen Medien hoch und es war sofort Feuer im Spiel. Nach einem Standard gab es in der 4. Minute die kalte Dusche für die Heimelf. Gianluca Tulke, damals bei der SG SSB aktiv, erinnert sich: „Das war ein starkes Kopfballtor von Jan „der schöne Jan“ Hosberg.“ Nach einem Eckball nickte er ein.
„Wir waren damals eine stabile Truppe, haben bestimmt nicht den besten Fußball gespielt, aber konnten jeder Mannschaft mit unseren schnellen Kontern weh tun.“ Das taten sie dann auch. Tulke selbst erhöhte noch vor der Pause auf 2:0 für die Gäste. Es wurde hitzig und der Unparteiische verteilte vor dem Gang in die Kabine die ersten drei Verwarnungen.

Trommeln auf der Trikotkiste
Soweit ein ganz normales Fußballspiel mit überraschender Führung für die Gäste. Als neutraler Zuschauer freute ich mich auf die zweite Halbzeit. Für mich war klar was nun folgt: Bokel gelingt der Anschlusstreffer, die Tribüne kommt langsam in Stimmung und es wird spannend bis zur letzten Minute. So ähnlich kam es dann auch. Nur viel verrückter.
„Wir wussten, dass man diese Führung auch schnell verspielen kann und wollten konzentriert bleiben. Es wurde sehr laut, aber positiv laut. Wir hatten damals immer eine Trikotkiste aus Metall dabei, auf der haben wir vorm Spiel immer getrommelt. In der Halbzeit haben wir dann nochmal angestimmt und das Teil richtig zerlegt“, sagt der Torschütze des zweiten Gästetreffers.

Tulke macht den Deckel drauf
Direkt nach dem Wiederanpfiff erhöhte Jonah Fahlbusch sogar auf 3:0 für die SG und der MTV reagierte mit zwei Wechsel. Volle Offensive war nun angesagt, wenn es denn noch mit einem Punktgewinn klappen sollte. Mit zunehmender Spielzeit wurden die Bokeler nervöser. Sie versuchten mit langen Bällen ihren Spielertrainer Christian Holldorf oder Torjäger Sascha Schneider in Aktion zu bringen, doch der Anschlusstreffer wollte einfach nicht fallen.
Im Gegenteil – nun wurde es richtig bitter. Sie liefen erneut in einen Konter, den Tulke erfolgreich abschloss (64.). Das sollte die Entscheidung sein.
So sah es auch Claus Mangels, der für die Bokeler den FuPa-Liveticker mit Leben füllte:


Acht Minuten später trifft Björn Bedürftig zum 1:4. Hoffnung hat da aber kaum ein Bokeler Anhänger. Es läuft die 78. Spielminute. Der MTV bekommet einen Strafstoß zugesprochen und Sascha Schneider verwandelte sicher zum 2:4. Es wurde lauter und lauter. Die Zuschauer verlegten ihr Hauptaugenmerk von der Theke weg, hin zum Platz. Die Protagonisten der Partie spielten alle Trümpfe aus.


„Ihr glaubt doch nicht, dass ihr hier gewinnt“

Die Scharmützel zwischen den Spielern wurden nun auch außerhalb des Platzes deutlich wahrgenommen. Als Tulke den Bokeler Schlußmann Thomas Dubiel ganz frech überlupfen wollte, roch der Keeper den Braten und kommentierte die Szene: „Sowas kannst du mit mir nicht machen.“
Er sollte nicht recht behalten und außerdem noch selbst maßgeblich an der Geschichte des Spiels mitschreiben.

Volker Wendelken erinnerte sich an einen Satz von Sascha Schneider. Er rief einem Sellstedter Spieler zu: „Ihr glaubt doch nicht, dass ihr hier heute gewinnt“. Gepusht durch den Treffer lief Bokel sofort hoch an, alle Zuschauer spürten, dass dieser Strafstoß nicht der letzte Treffer bleiben sollte. 120 Sekunden hofften alle MTVer doch noch auf einen Punkt.
Doch Gianluca Tulke durchkreuzte den Plan und brachte den Bokeler Anhang wieder zum Schweigen . In der 80. Minute überlupft er Thomas Dubiel doch noch und trifft zum 2:5. „Da hast du den Mund zu voll genommen“, kommentierte der Angreifer sein Tor und zog jubelnd ab.
Das Ding ist nun wirklich durch, denke ich und schaue in enttäuschte Bokeler Gesichter. Ich sollte mich erneut irren.

Holldorf läuft zur Höchstform auf

Es waren 83 Minuten gespielt und Spielertrainer Christian Holldorf lief langsam heiß. Innerhalb von 60 Sekunden traf er doppelt, verkürzte auf 4:5 und trieb seine Mannschaft noch einmal ordentlich an. Die Stimmung zog erneut an, auf dem Platz wurde es immer hitziger. Beide Mannschaften lieferten sich ein Match mit offenem Visier.
Eine Zeigerumdrehung später treffen die Gäste nur das Lattenkreuz und verpassen es, die Zwei-Tore-Führung wiederherzustellen. Im Gegenzug brachte Volker Wendelken die Kugel über die Linie und erzielte den nicht mehr für möglich gehaltenen Ausgleich für den MTV. Fassungslosigkeit auf der Sellstedter Bank.

SSB-Trainer Roman Opalka reagierte und brachte Albert Schäfer ins Spiel. Gianluca Tulke erinnert sich an die Szene in der 88. Minute: „Das 5:6 von Albert Schäfer war ein sehr kurioses Tor. Er wurde gerade eingewechselt, etwas übermotiviert und hatte seine erste Aktion. Während er aus 30 Metern zum Schuss ausholte, riefen noch alle: Spielt das aus, nicht schießen!
Ich stand quasi neben ihm und sein Schuss verhungerte auf dem Weg zum Tor, aber der Bätjerplatz war an diesem Tag unser Freund und sehr uneben. Der Ball wurde also gefährlicher als gedacht, der Torwart ließ ihn passieren und er holperte ins Netz. Unfassbar!“
Bokels Keeper Dubiel tauschte bis zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon die eine oder andere Nettigkeit aus und sah nach einem Gerangel die rote Karte. Der Bätjerplatz bebte.

Die Mannschaft von Christian Holldorf sollte dennoch den verdienten Lohn für diese Aufholjagd ernten. In der Nachspielzeit trifft Holldorf selbst im Nachsetzen zum 6:6 und eines der denkwürdigsten Spiele, die ich miterleben durfte, hatte keinen Sieger. Wendelken sah die Szene so: „Ich meine dann war noch eine Ecke für uns, ich köpfe mit dem Hinterkopf an die Latte und Christian Holldorf brachte dann den zurückspringenden Ball über die Linie.“


Riesenjubel bei der Heimelf, für die es im Kampf um die Meisterschaft sogar eher zwei verlorene Punkte waren. Der TSV Stotel holte sich am Ende der Saison den Titel. Die Bokeler schafften trotzdem den Aufstieg in die Bezirksliga nach einem Sieg im Relegationsspiel gegen Eiche Bargstedt.
Die Gäste verließen gefrustet den Platz. „Wir waren natürlich enttäuscht, nach einer 4:0-Führung noch 6:6 zu spielen. Das darfst du dann nicht mehr aus der Hand geben. Im Nachhinein war es ein super Spiel, wenn nicht sogar das ereignisreichste Spiel, welches der Bätjerplatz bisher erlebt hat.“
Volker Wendelken ist sich sogar sicher, dass „wenn das Spiel zwei Minuten länger gedauert hätte, dann hätten wir sogar noch gewonnen.“

An welche Spiele müsst ihr immer wieder denken? Welches waren eure verrücktesten Partien, die ihr als Spieler, Trainer, Schiedsrichter oder Zuschauer auf den Plätzen unserer Region erlebt habt? Schreibt uns per Mail an lueneburg@fupa.net oder kontaktiert uns auf einer unserer Facebookseiten.

Aufrufe: 020.3.2020, 14:00 Uhr
FuPa Cuxhaven / HarneitAutor