2024-06-03T07:54:05.519Z

Interview
Einmal werden wir noch wach (sein müssen): Daniyel Cimen sagt Cem Kara, was zu tun ist. Und zieht vor dem OFC-Spiel ein erstes Fazit der bisherigen Saison.	Foto: Ben
Einmal werden wir noch wach (sein müssen): Daniyel Cimen sagt Cem Kara, was zu tun ist. Und zieht vor dem OFC-Spiel ein erstes Fazit der bisherigen Saison. Foto: Ben

»Es wird sehr zeitnah Gespräche geben«

RL SÜDWEST: +++ Daniyel Cimen über fehlende Konstanz, unschöne Nebengeräusche, die Überraschungen der Liga und seine Gelassenheit +++

giessen. Mit dem Hessen-Pokal-Viertelfinale gegen Kickers Offenbach endet das Fußballjahr des FC Gießen. Dominant sicherte sich der Club im Mai vorzeitig den Hessenliga-Titel und stieg in die Regionalliga Südwest auf. Sowohl sportlich als auch wirtschaftlich ging es seitdem turbulent zu beim FCG, der als Tabellen-15. hart um den Klassenerhalt kämpft und darüber hinaus angesichts der geplanten Ausgliederung der Profimannschaft in eine Kapitalgesellschaft vor eminent wichtigen Wochen steht. Im Interview zieht Trainer Daniyel Cimen Bilanz und wagt einen Ausblick auf die Restrunde.

Herr Cimen, tabellarisch stellt sich vieles so dar, wie es vor der Runde zu erwarten gewesen war. Gab es für Sie dennoch Überraschungen?

Das Abschneiden von Bayern Alzenau (als Aufsteiger 13., Anm. d. Red.) und Astoria Walldorf (als einer von wenigen Amateurklubs Achter) hätte ich so nicht erwartet. Wobei mich Walldorf noch mehr überrascht hat, denn Alzenau hatte sich qualitativ mit Firat, Hodja, Endres und Schick verstärkt – vier top Regionalliga-Spieler. Im Gegensatz dazu hatte Walldorf einiges an Qualität abgegeben und viele junge Leute wie Torjäger Becker geholt. Und ein Team wie Offenbach hat auf Platz zehn nichts verloren.

Wodurch zeichnet sich die Regionalliga aus, was sind die wesentlichen Unterschiede zur Hessenliga?

Es sind einige Vollprofimannschaften dabei, das steht für extrem viel Qualität. Offenbach, Saarbrücken, Steinbach und Homburg haben Spieler dabei, die über Dritt- und Zweitligaerfahrung verfügen. Ansonsten geht es in der Regionalliga viel schneller und körperbetonter zu. Die Physis ist ein enormer Faktor, außerdem ist es eine sehr „abgewichste“ Liga.

Sie haben als Profi in der 1. und 2. Liga gespielt, als Trainer ist die Regionalliga Neuland für Sie. Haben Sie alles so erwartet?

In meinen letzten beiden Jahren als Spieler bei der U 23 der Eintracht habe ich die Regionalliga schon kennengelernt. Damals waren die Vereine, die heute in der Regionalliga Bayern spielen, noch mit dabei. Es gab es nicht so viele Vollprofimannschaften. Überrascht hat mich eigentlich nichts.

Warum weist der FCG aus Ihrer Sicht aktuell vier Punkte Rückstand, bei einer Partie mehr, auf den vermutlich ersten Abstiegsplatz auf?

Uns hat die Konstanz gefehlt. Die problematische Kaderplanung und die Vorbereitung hat vieles erschwert. In den letzten drei, vier Wochen waren wir in den Leistungen konstanter, wir haben nicht mehr die Ausschläge nach unten wie zuvor gehabt.

Sie sagen, die zwei in letzter Sekunde gegen Pirmasens durch den Ausgleichstreffer aus der Hand gegebenen Punkte eingerechnet, könnte man von einem guten Jahr 2019 sprechen. Was entgegnen Sie den Stimmen, die diese Sichtweise zu positiv finden?

Ich sehe das große Ganze. Ansonsten wäre ich sicherlich nicht zufrieden. Aber die Kaderplanung und auch die Vorbereitung waren eben nicht zufriedenstellend. Das muss berücksichtigt werden, irgendwann muss sich eine Mannschaft auch finden. Bei uns kamen im Lauf der Runde immer noch Spieler hinzu. Jake Hirst als Beispiel, auch Samir Benamar. Außerdem konnten wir die Abgänge nicht kompensieren. Mit Michael Fink haben wir den Kopf der Mannschaft verloren. Viele von außen haben gemeint, er sei ein in die Jahre gekommener Spieler. Aber er hatte die meisten Spielminuten. Ihn als Charakter zu ersetzen, das auf mehrere Schultern zu verteilen, das ist uns nicht so gut gelungen.

Welchen Einfluss hatten die verspätet gezahlten Gehälter?

Das ist natürlich ein Thema, das die Jungs sehr mitgenommen hat. Auch wenn du es schaffst, das auf dem Platz auszublenden, bleibt es ein Thema in der Kabine. Wir hatten insgesamt kaum Ruhe, die Nebengeräusche waren permanent da und die Mannschaft ist damit immer wieder in Berührung gekommen. Dass Franz Gerber zum Beispiel plötzlich nicht mehr Sportlicher Leiter ist, sondern nur noch Berater und das bei gleich zwei Vereinen (Gerber ist bei RW Erfurt als Investor eingestiegen, Anm. d. Red.). Das sind Themen, die nicht um das Wesentliche gehen und es schwierig machen, den Fokus beizubehalten.

Haben Sie selbst auch Fehler gemacht?

Für uns im Trainerteam war die Saison mit der Kaderplanung und der Vorbereitung eine Herausforderung, die wir so auch noch nicht erlebt haben. Ich und wir als Trainerteam reflektieren uns nach jedem Spiel. Da war sicher nicht alles perfekt: In dem einen oder anderen Spiel eine andere Ausrichtung oder bei den Ein- und Auswechslungen. Ich stelle mich nicht hin und sage, ich habe alles richtig gemacht. Trotzdem denke ich, gibt es nicht so viele Sachen, die wir anders hätten machen müssen.

Zuletzt stand der Rücktritt Jörg Fischers und die finanzielle Situation im Blickpunkt. Wie nehmen Sie die Stimmung um den Verein wahr?

Es ist nicht einfach, wenn solche Dinge in der Presse auftauchen, denn es entstehen auch viele Gerüchte. Bis hin zur Insolvenz, dem schlimmsten möglichen Fall. Man wird auf die Situation in der Stadt beim Essen angesprochen, das ist keine schöne Situation und nicht angenehm. Da tauchen auch solche Gedanken auf: Sind wir gefährdet? Aber ich habe Vertrauen in den Verein, dass es weiterläuft.

Nach dem Abpfiff wirken Sie stets sehr aufgeräumt und zugänglich. Selbst nach bitteren Ergebnissen wie gegen Pirmasens. Wie verarbeiten Sie diese Rückschläge, von denen es ja einige gab im bisherigen Saisonverlauf?

Ich bin als Typ so. Es ist meine Art, sachlich und ruhig zu analysieren und das so auch an die Jungs weiterzugeben. Ich bin kein Freund davon, aus der Emotion heraus zu entscheiden, wobei ich natürlich auch das eine oder andere Mal lauter geworden bin. Natürlich gibt es Spiele, nach denen ich aufgewühlt bin.

Können Sie abschalten, wenn Sie zu Hause bei Ihrer Familie sind?

Wenn ich bei den Kindern bin, schalte ich sofort ab. Die nehmen sofort alles vom Fußball weg. Sie sind das Wichtigste, da ist es egal, was sonst ist. Wenn die Kinder im Bett sind und ich mir noch einmal ein Spiel wie das in Freiburg anschaue, das wir nie hätten verlieren dürfen, kann es allerdings schon passieren, dass ich wieder sauer werde.

Sie haben angekündigt, den derzeit 28 Spieler fassenden Kader reduzieren zu wollen. Wie weit sind die Planungen, wer den Club verlassen soll?

Da sind wir noch nicht sehr weit. Erstmal gilt die volle Konzentration dem Pokalspiel gegen Offenbach. Danach wird es sehr zeitnah Gespräche mit dem Verein über die aktuelle Situation geben. Die sind zunächst auch wichtiger als die Gespräche mit den Spielern.

Ein kreativer, torgefährlicher Mittelfeldspieler als Neuzugang wäre wünschenswert, um die Chancen auf den Ligaverbleib zu erhöhen. Gab es da bis jetzt Signale, ob in dieser Hinsicht in der Winterpause finanziell etwas möglich ist? Oder ist zu befürchten, dass der eine oder andere Leistungsträger den Verein verlässt, um Einsparungen vorzunehmen?

Was passieren wird, ist abhängig von den Gesprächen mit dem Verein. Ich kann nicht sagen, da brauchen wir noch einen Neuzugang oder wir wollen diese drei, vier Spieler abgeben. Das ist im Moment reine Spekulation. Es muss besprochen werden, ob wir Spieler abgeben müssen. Alle haben einen Vertrag und auch das Recht, darauf zu pochen.

Was stimmt Sie zuversichtlich, den Ligaverbleib noch schaffen zu können?

Zunächst stimmen mich die letzten Wochen positiv. Dann hoffe ich auf eine komplett gemeinsame und gesunde Vorbereitung. Wenn alles so läuft und wir den Kader mit ein, zwei Qualitätsspielern vielleicht optimieren können, bin ich überzeugt vom Klassenerhalt.

Für die Spieler ist nach dem Offenbach-Match bis zum 13. Januar Winterpause. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Ich bin auf wenig Urlaub eingestellt, über die Feiertage wird es in den ersten ein, zwei Wochen eine wichtige Phase mit vielen Gesprächen geben. Vielleicht fliege ich spontan im neuen Jahr noch mit der Familie weg.



Aufrufe: 014.12.2019, 08:00 Uhr
Thomas Suer (Gießener Anzeiger)Autor