2024-04-30T13:48:59.170Z

FuPa Portrait
Balanceakt: Nicu Rafael Burgheim, als Romina Burgheim früher in der Bundesliga am Ball, geht immer noch das Herz auf, wenn er Kontakt mit dem Spielgerät hat. Künftig will der 31-Jährige, der sich erkennbar zum Mann gewandelt hat, wieder auf Torejagd gehen. Foto: Henrik Martinschledde
Balanceakt: Nicu Rafael Burgheim, als Romina Burgheim früher in der Bundesliga am Ball, geht immer noch das Herz auf, wenn er Kontakt mit dem Spielgerät hat. Künftig will der 31-Jährige, der sich erkennbar zum Mann gewandelt hat, wieder auf Torejagd gehen. Foto: Henrik Martinschledde

Der Unvollendete: Der lange Weg von Nicu Burgheim

Frühere Bundesligaspielerin ist offiziell zum Mann geworden und hat mit geschlechtsangleichenden Operationen begonnen. Der 31-Jährige will eine zweite Karriere in der Bezirksliga starten. Beim FSV Gütersloh schreibt er für das Stadionheft.

Zum Abschied vor einem Lokal in Bielefeld umarmen wir uns. Unter Männern darf man das doch wohl. Drei Stunden hatten wir uns über ihn und seinen Weg unterhalten, intensiv und ja, durchaus intim. Hätten wir uns auch umarmt, wenn wir zwei Jahre vorher über einen Wechsel zum FSV Gütersloh gesprochen hätten? Wohl kaum. Ehrlich gesagt, hätten wir uns darüber gar nicht großartig unterhalten, schon gar nicht drei Stunden lang und natürlich längst nicht so persönlich. Doch jetzt hat sich viel geändert. Die Offenheit auf der einen Seite ist so groß wie das Interesse auf der anderen. Die Scheu vor Fragen ist hier wie da ebenso gering wie die Scheu vor Antworten. Vertrauen hat sich aufgebaut. Und da darf man sich doch wohl mal umarmen, unter Männern.

Früher war Nicu Burgheim eine Frau. „Ich hatte eine glückliche Kindheit“, sagt er, was schon erstaunlich ist. Die ersten drei Jahre nach seiner Geburt in Baia Mare verbrachte Romina als uneheliche Tochter eines Regierungsbeamten in einem rumänischen Kinderheim. 1991 wurde er von der Familie Burgheim adoptiert und kam mit einem Wortschatz von kaum mehr als hundert rumänischen Wörtern nach Deutschland. Von Ravensburg aus ging es 1997 nach Görlitz und 2002 nach Gelsenkirchen, immer der beruflichen Karriere seines Vaters folgend, einem Professor für Psychologie. Die Wechsel von Ort, Schule und Freundeskreis fielen meist leicht. Nur der Weggang aus dem Osten war hart: „Der Fußball hat mich damals aufgefangen“, blickt er dankbar zurück auf seine Zeit beim SSV Buer und Viktoria Resse. Dass etwas falsch daran sein könnte, dort in den Mädchenteams zu spielen, kam ihm zunächst nicht in den Sinn.


Im Moccaklatsch, einer kleinen Cafebar im Bielefelder Zentrum, sitzt mir ein 31-jähriger, deutlich jünger aussehender Mann gegenüber. Der lässige Hut verbirgt volles, dunkles Haar. Darunter zieht sich Bartwuchs über Wangen und Kinn, die Stimme erinnert ein wenig an pubertierende Jungs. Unweigerlich entstehen Gedanken an Balian Buschbaum. Tatsächlich spielt die frühere Leichtathletin, die als Yvonne Buschbaum deutsche Meisterin im Stabhochsprung wurde und sich 2007 als „Transmann“ outete, eine wichtige Rolle im Leben von Nicu Burgheim. Er, damals noch Sie, las die 2010 erschienene Biographie Buschbaums und stellte fest: „Das, was ich empfinde, existiert und hat einen Namen.“ Längst hatte Romina Burgheim bei sich selbst die Diskrepanz zwischen Äußerem und Innerem gespürt. „Aber ich hatte keine Begrifflichkeit dafür, bin auf wenig Verständnis gestoßen und habe mich geschämt.“ Selbstbewusst trägt er heute ein Shirt, das den Blick freigibt auf sein Tattoo auf den Oberarm, der nicht nur vom täglichen Schwimmen muskulös geworden ist.


„Du bist wie ich – nur als Frau“


Früher waren schnelle Beine und Füße Rominas Markenzeichen. Als Stürmerin liebte die „rasante Romina“, wie sie gelegentlich bezeichnet wurde, die eigenwillige Verspieltheit auf dem Weg zum Tor. Wirbelwind, Dribbelkönig oder auch LiLZizou, waren Spitznamen, die Weggefährten und Gegenspielerinnen ihr gaben. Die Bezeichnung, über die sich Romina am meisten freute, kam von Ansgar Brinkmann, damals liiert mit ihrer Mitspielerin Deniz Harbert: „Du bist wie ich – nur als Frau“, erinnert sich Nicu. „Und damit meinte er nicht nur die Aktivitäten auf dem Platz“, fügt er schmunzelnd hinzu.


Rückblende: Als Stürmerin des Herforder SV stieg Romina Burgheim 2014 in die Frauen-Bundesliga auf. Foto: Yvonne Gottschlich


Rominas Karriere begann 2007 beim Westfalenligisten TuS Saxonia Münster und führte über den FFC Heike Rheine und Germania Hauenhorst 2011 zum Zweitligisten SV Meppen. Dort erkannte Jürgen Prüfer die Klasse der Angreiferin und holte sie 2013 zum Herforder SV. Mit ihr stieg der HSV 2014 in die Bundesliga auf. Mit dem Aufstieg kamen personelle Veränderungen, und das Referendariat nahm sie so in Beschlag, dass sie sich der Konkurrenz nicht mehr gewachsen sah. „Der Aufwand stand in keinem gesunden Verhältnis mehr zum Ertrag.“ In Absprache mit Prüfer wechselte sie in der Winterpause zum Westfalenligisten Arminia Bielefeld vor. Dort verlebte sie eine erfolgreiche Zeit, die jedoch jäh endete. Nach dem Durchmarsch in die 2. Liga überwarf sie sich mit Trainer Markus Wuckel und löste im November 2016 ihren Vertrag auf. Der angedachte Wechsel zum FSV Gütersloh kam nicht zustande, so dass die Karriere ohne runden Abschluss auslief. „Ich hätte mir das anders gewünscht“, bedauert Nicu immer noch. Klar war allen Beteiligten zu diesem Zeitpunkt schon, dass spätestens im Sommer 2017 ihre Laufbahn als Fußballerin enden sollte. Längst war die Entscheidung gereift, dem Gefühl nachzugeben und die äußere Angleichung zum Mann in Angriff zu nehmen: „Ich hatte ein glückliche Zeit, aber sie war immer geprägt von einer heimlichen Sehnsucht.“


Diese Sehnsucht wurde auch nur bedingt in Liebesbeziehungen zu Frauen gestillt, zu denen sich die Fußballerin stets hingezogen fühlte. Damit begann die Konfusion: „Ich war ja nicht lesbisch, aber die Frauen haben in mir keinen Mann gesehen.“ Deswegen endeten die Beziehungen stets auch „an einem bestimmten Punkt.“ Es war ein befreiender Mosaikstein in der langen Entwicklung, dass die letzte Partnerin erkannte (und dies auch aussprach), dass sie einen Mann und nicht eine Frau als Freundin hatte. Das war im März 2016. Im November dieses Jahres vertraute sie sich mit all den Plänen ihrer Mutter an, eine Sozialarbeiterin. Deren Reaktion tat Romina Burgheim gut: „Auf diesen Tag habe ich gewartet, war ihr erster Satz.“


Und dann ging alles ganz schnell. Im Januar 2017 begann die Begutachtung durch einen Psychiater. Schon nach sechs Monaten bescheinigte der die notwendige Indikation, so dass die Krankenversicherung die Kostenzusage für die Therapie gab. „Ich war so klar, meine Entscheidung war unumstößlich – der hatte nicht viel zu untersuchen“, erklärt Burgheim die Kürze des ansonsten auch schon mal 18 Monate dauernden Prozesses.


Es folgte der biologische Prozess. Erst trug sie sechs Wochen lang Testosteron-Gel auf Unterarmen und Bauch, dann bekam sie die erste Depotspritze, die alle drei Monate erneuert wird. Sofort blieb die Menstruation aus, nach sechs Wochen setzten Bartwuchs und „Stimmbruch“ ein. „Die Vorfreude auf all das hat mich elektrisiert“, fühlte sich der nun „frisch geborene“ Transmann im absoluten Stimmungshoch.


„Ich habe das Privileg, mich neu zu erschaffen“


Ein weiteres, selbst zu bezahlendes psychiatrisches Gutachten war nötig, um das Geschlecht auch in den Akten offiziell zu wechseln. Am 20. Oktober 2017 erhielt Nicu Rafael Burgheim seinen neuen Ausweis. Den Namen wählte er, um an seine rumänischen Wurzeln zu erinnern: „Nicu heißt: Sieg des Volkes, und Rafael bedeutet: Von Gott geheilt.“ Burgheim bezeichnet sich als „absoluter Atheist“, aber er liebt das Spiel mit Worten und Bildern: „Ich habe ja das unfassbare Privileg, mich – quasi gottgleich – neu zu erschaffen.“ Mehr als ein Jahr dauerte es, bis auch der Studentenausweis, der beim Bahnfahren vorzuzeigen ist, auf den neuen Namen lautete. So lange gab es kuriose Situationen mit verwirrten Schaffnern: „Da kam öfters die Frage, ob ich Er, Sie oder Es bin.“


Vergangene Woche erledigte Nicu Burgheim den Verwaltungsvorgang in Münster höchstpersönlich. Er ist noch immer an der Universität eingeschrieben, an der er als Romina im Jahr 2007 das Lehramtsstudium für die Fächer Deutsch und Philosophie aufnahm und 2014 abschloss. Nach dem Referendariat am Königin-Mathilde-Gymnasium in Herford hatte sie an der Realschule in Brackwede die erste Anstellung. Schon durch ihr Äußeres setzte sie sich ab, der gelegentlich unkonventionelle Umgang mit den Schülern tat ein Übriges: „Die Schüler haben mein deviantes Wesen auf Anhieb mit Begeisterung und viel Neugier angenommen“, erinnert er sich. Und er weiß aus vielen späteren Gesprächen, dass die Schüler sie ohnehin eher als Mann, denn als Frau gesehen hatten.


Aufstieg mit Arminia: Nicu Burgheim (am Ball) zu einer Zeit, als er noch Romina hieß. Foto: Andreas Zobe


Auch das ermutigte ihn zum „Outing“ am 14. Juli 2017. Positiv begleitet von der Schulleitung und unter sofortiger Akzeptanz durch das Lehrerkollegium unterrichtete er fortan als Nicu Burgheim. Es folgte ein „sehr intensives, bewegtes und bewegendes Jahr“ der Transformation – all das unter den wachsamen Augen der Schülerschaft. Die zahlreichen Begegnungen und ungewöhnlichen Gespräche kosteten aber auch viel Kraft. Das Auslaufen der Vertretungsstelle im August 2018 kam Burgheim deswegen „nicht ungelegen.“ Der Wechsel an die Bielefelder Sekundarschule Gellershagen barg die Chance eines radikalen Neuanfangs.


Über die spezielle Vergangenheit ihres Lehrers wissen die Fünftklässler bis heute nichts – und sie werden es auch nicht mehr von ihm persönlich erfahren. Das Engagement endete vor wenigen Tagen. „Ich stelle mich neuen beruflichen Herausforderungen“, sagt Nicu Burgheim. Neben diversen anderen Interessen ist das Schreiben eine seiner Leidenschaften. „Ich überlege, ein Buch über meine Erfahrungen als Trans-Teacher herauszugeben.“ Am Herzen liegt ihm dabei auch, die Schwere von dem Thema zu nehmen: „Trotz aller grenzwertigen, belastenden Situationen, die aber mit der Zeit nachlassen, gibt es viele schöne, lustige und komische Momente. Der Umgang damit war typische Burgheim: „Mit Humor, Offenheit und großem Abstand zu sich selbst.“


Dazu gehört auch die Benutzung von Männertoilette und Männerdusche, wozu er sich voller Selbstbewusstsein schon vor Beginn der Hormontherapie entschloss. Noch selbstverständlicher tut er das nach dem ersten operativen Eingriff, der Mastektomie. Im Oktober 2018 wurde die weibliche Brustdrüse entnommen. Schon in Kürze soll der nächste Schritt erfolgen, die Hysterektomie, bei der Gebärmutter, Eierstöcke und Eileiter entfernt werden. „Das soll nochmal einen enormen Virilisierungsschub geben.“ Schon jetzt kann er die Veränderungen tagtäglich im Spiegel beobachten. „Das ist spannend und aufregend zugleich. Alles liegt nun gefühlt in meinen Händen“, sagt Nicu Burgheim.
„Teilweise bin ich sensibler geworden“

Die Vorfreude ist umso größer, als ihn bereits die bisherigen Maßnahmen beflügelten. „Ich war glücklich, jetzt bin ich überglücklich“, lautet eine seiner Euphorien. Manche Veränderung der Wesenszüge hat ihn sogar überrascht, weil sie so gar nicht dem männlichen Klischee entsprechen: „Ich war immer schon offen, aber jetzt bin ich noch offener geworden. Und teilweise bin ich sogar sensibler geworden.“ Insgesamt ist die Erleichterung riesig: „Früher hatten die Menschen Macht über mich, weil ich etwas verbergen musste. Das ist jetzt nicht mehr der Fall.“


Deswegen ist Nicu Burgheim auch fest entschlossen, den letzten Schritt auf dem Weg zum Transmann zu gehen, dem operativen Aufbau von männlich erscheinenden Genitalien. „Manche brauchen das nicht, aber ich brauche das, glaube ich. Erst dann fühle ich mich komplett“, sagt er. Allerdings will er sich mit diesem diffizilen und komplikationsreichen Eingriff Zeit lassen.


Was die frühere Bundesliga-Fußballerin Romina Burgheim aber kaum abwarten kann, ist das Comeback auf dem Rasen. „Ich muss und will wieder Fußball spielen. Denn immer wenn ich einen Ball am Fuß habe, geht in meinem Herzen die Sonne auf“, schwärmt Nicu von der Sportart, die ihm so sehr geholfen hat, den Leidensdruck früherer Jahre zu kanalisieren. „Ich werde mir einen Bezirksligaverein suchen und lasse mich überraschen, was ich als Fußball-Opa mit 31 Jahren noch reißen an“, kündigt er augenzwinkernd sportliche Ambitionen an. Bis dahin besteht die Verbindung zum Fußball in der Unterstützung des FSV Gütersloh, für den er Texte zum Saisonjournal verfasst und das Stadionheft bereichert.


Zum Fotoshooting treffen wir uns wieder. Idee ist es, die Balance abzubilden, die ihm der Fußball gegeben hat. Gar nicht so einfach: Fast immer rutscht der angedrehte Ball vom Zeigefinger vor dem „Schuss“ des Fotografen herunter. Und da kommt sie wieder zum Vorschein, die Selbstironie des von einer Frau zum Mann geworden Nicu Burgheim: „Ich bin halt noch der Unvollendete.“

Aufrufe: 028.2.2019, 10:10 Uhr
Wolfgang Temme / FuPaAutor