2024-05-02T16:12:49.858Z

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Ein niederbayernweit bekannter Spielgestalter: Giuseppe Cafariello lenkte in seiner Glanzzeit das Bayernliga-Spiel der Spvgg Landshut.
Ein niederbayernweit bekannter Spielgestalter: Giuseppe Cafariello lenkte in seiner Glanzzeit das Bayernliga-Spiel der Spvgg Landshut. – Foto: Norbert Herrmann

Der klassische Spielmacher - eine aussterbende Gattung?!

Die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einer sagenumwobenen Position +++ Bernhard Robl und Giuseppe Cafariello erzählen von früher +++ Und wie spielen Niederbayern Topteams heute?

Spieler auf dieser Position waren oft das Eintrittsgeld alleine Wert. An guten Tagen haben sie auf der Kippe stehende Partien durch einen Geistesblitz im Alleingang entschieden, über den dann noch Tage später gesprochen worden ist. Regisseur, Spielmacher, Spielgestalter, Zehner - die Liste an Synonymen für eine der sagenumwobensten Positionen auf dem Spielfeld überhaupt ließe sich ohne Weiteres verlängern. Doch ist das überhaupt noch nötig? Ist der kreative Freigeist im inzwischen auch auf Amateurebene oft in ein starres Taktik-Korsett gepressten Fußball noch gewünscht? FuPa hat sich auf Spurensuche begeben...

... diese führt uns zunächst nach Fürstenstein, und somit in die Vergangenheit des niederbayerischen Fußballs. Dort lebt Bernhard Robl, der nicht nur wegen seiner erfolgreichen Trainer- und Funktionärslaufbahn vielen ein Begriff ist - sondern auch, weil er eben einer derjenigen Mittelfeldspieler war, auf die die Schablone eines klassischen Spielmachers passte. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere, die von Mitte der Siebziger bis hinein in die Neunziger andauerte, führte der heute 66-Jährige Regie beim FC Vilshofen, der damals in der drittklassigen Bayernliga spielte. Als einer, der den Fußball über Jahrzehnte hinweg begleitet hat, hat er die Entwicklung des Spieles an sich, das immer mehr von Taktik geprägt ist, hautnah miterlebt.

"Der Fußball hat viel von dem verloren, was ihn früher ausgemacht hat", stellt Bernhard Robl fest und wirkt bei diesen Worten fast etwas traurig. "Inzwischen liegt das Hauptaugenmerk auf Taktik. Die Folge ist eine Gleichmacherei aller Spieler, die schon etwas übertrieben ist. Die Individualität ist verloren gegangen - und somit auch der klassische Spielmacher." Nicht nur bei den Profis, sondern auch auf Verbands-, Bezirks- und Kreisebene sei ein Angriff inzwischen von vorne bis hinten durchorganisiert. Typen, die die Rolle eines Zehners ausfüllen könnten, gibt es nach wie vor, davon ist der Fürstensteiner überzeugt. "Aber ihre Position gibt es praktisch nicht mehr. Es gibt noch Anspielstationen wie früher den Regisseur, aber dieser interpretiert seine Aufgaben inzwischen anders."

Früher hieß es oft: »Dea muas varamt wean«



Die technische Qualität jedes einzelnen Spielers - egal ob Bayernliga oder A-Klasse - hätte in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, was an der besseren fußballerischen Ausbildung liegen würde. Die Ballan- und mitnahme werde heute bereits von Kindesbeinen an geschult - alles nach ausgearbeiteten Trainingsmustern. Das gewisse etwas, das Überraschende, das man früher auf den Bolzplätzen gelernt hat, ginge aufgrund dessen verloren. "Neben den eigenen Fähigkeiten, die ein Spielmacher haben musste, kam sein Status innerhalb des Teams hinzu. Diesen musste man sich aber über Jahre hinweg erarbeiten. Doch das ist bei den vielen Spielerwechseln heutzutage gar nicht mehr möglich", weiß Robl. "Damals wurden die Stärken noch gestärkt, und Schwächen akzeptiert. So hatte ich meine Arbeiter, was keinesfalls despektierlich gemeint ist, um mich frei entfalten zu können. Ich habe alle Freiheiten genossen."

Ähnliche Fähigkeiten wie Robl wurden bzw. werden auch Giuseppe Cafariello nachgesagt. "Bebbo" gehört allerdings einer anderen Generation an und hatte deshalb für sein Spiel andere Voraussetzungen. "Ein Trainer wollte unbedingt, dass ich mit nach hinten arbeite. Bei einem anderen wiederum wurde ich im Defensivverhalten zum zweiten Stürmer und musste nur etwas anlaufen", erklärt der 44-Jährige angesprochen auf das Klischee, dass Verteidigung für Spielmacher ein Fremdwort ist. Der moderne Fußball hätte den angenehmen Vorteil mit sich gebracht, dass Einzelkönner wie er nicht mehr so angegangen werden wir früher. "Zu Beginn meiner Karriere hieß es oft: Dea muas varamt wean".



Die flächendeckende Einführung der Raumdeckung hätten seine Aktionen aber auch deutlich schwieriger gemacht. "Früher musste ich nur einen ausspielen und hatte dann viel Platz. Heute ist das nicht mehr so einfach", berichtet Cafariello, der zu Landshuter Bayernliga-Zeiten im Mittelfeld der "Spiele" der Chef war und noch heute in der Kreisklassen-Reserve des FC Ergolding aufläuft. Der 44-Jährige ist übrigens berühmt für seine brandgefährlichen Standards, ebenfalls ein Talent, das irgendwie zum Mythos Zehner gehört.

Auch wenn der Deutsch-Italiener, ähnlich wie Bernhard Robl feststellt, dass die Position des Spielgestalters immer mehr ausstirbt, ist er davon überzeugt, dass derartige Schlüsselfiguren weiterhin wichtig sein werden. Als Trainer sorgt Cafariello selbst dafür, dass "richtige Straßenkicker, die immer weniger werden, auch entsprechend gefördert werden". Mit der Oberliga-U17 des FC Ergolding bevorzugt er ein 4-2-3-1, im dem der Mann hinter den Spitzen praktisch ein Freigeist ist - so wie Raumdeuter Thomas Müller bei Bayern München. "Ich versuche immer mit Zehner zu spielen, das gehört für mich einfach dazu. Fußball ist für mich Ästhetik - und das geht nur mit einem Spielmacher."

Bernhard Robl war nicht nur auf dem Platz einer, der vorangeht - sondern auch als Trainer und Funktionär.
Bernhard Robl war nicht nur auf dem Platz einer, der vorangeht - sondern auch als Trainer und Funktionär. – Foto: Robert Geisler


Cafariello und Robl, zwei legendäre niederbayerische Regisseure, die natürlich wollen, dass ihr Erbe Vorbild für viele Jugendliche ist. Fest steht allerdings, und das haben auch die beiden Urgesteine bestätigt, dass der Spielermacher, wie der früher agiert hat, im heutigen Fußball nicht mehr gefragt ist. "Die Spielweise hat sich einfach geändert", bestätigt Anton Autengruber, Vorsitzender der Trainergemeinschaft Niederbayern. In dieser Funktion spricht der 52-Jährige oft mit den Übungsleiter des Bezirkes über taktische Veränderungen, Positionsspiel und Spielausrichtungen. "Straßenköter mit Überraschungseffekt" gebe es auch heute noch, so der Jandelsbrunner, der Landesligist Waldkirchen anweist. "Und diese Fähigkeiten lassen sich auch mit einem taktischen Konzept vereinbaren, wenn auch nicht mehr so wie früher, als der Zehner machen konnte, was er wollte. Heute heißt das nicht mehr Spielmacher, sondern vielleicht Entscheider - Martin Krieg ist bei uns so ein Spielertyp, obwohl er Stürmer ist."

Eine Charaktereigenschaft, die klassischen Spielmachern nachgesagt worden ist, war das Talent, Spiele alleine zu entscheiden. Im Umkehrschluss waren die Mannschaften damals aber auch von der Leistung ihres Anführers abhängig. Erwischte die Schlüsselfigur in der Offensive einen schwachen Tag, rückte ein Sieg in weite Ferne. Diese Abhängigkeit möchten die heutigen niederbayerischen Topvereine so weit wie möglich verhindern. Durch gewachsene Strukturen, durch Verteilung der Verantwortung auf mehreren Schultern sollen Ausreißer nach unten vermieden werden. Konstanz ist die Grundvoraussetzung, um Erfolg zu haben.

Hankofen hätte drei potenzielle Spielmacher



"Die Fixierung eines Systems auf einen Spieler, wie es früher beim Spielmacher war, ist zu ausrechenbar und deshalb überholt", macht Stefan Köck, Trainer von Regionalligist SV Schalding-Heining, deutlich. Gleichzeitig betont der 35-Jährige jedoch, dass es auch in der 4. Liga noch Teams gibt, die mit einem Regisseur früherer Prägung agieren. Niederbayerns Aushängeschild verzichtet aber ganz bewusst auf einen Zehner, was aber nicht heißen soll, das Individualität verpönt ist. "Die Spielereröffnung hat sich nach hinten verschoben und geschieht durch die Innenverteidiger. Es gibt aber kein starres Muster. Durch die Aufstellungsform, also durch das Sammeln beispielsweise auf einer Seite, kann die Offensive bestimmen, wie ein Angriff durchgeführt wird."

Ähnliches berichtet Heribert Ketterl, Verantwortlicher bei Süd-Bayernligist Spvgg Hankofen-Hailing. Für das 60-jährige Trainerurgestein steht fest: "Spielmacher gibt es nicht mehr. Es sind Zwei-Wege-Spieler gefragt." Die Forcierung des schnelles Umschaltspieles in offensive wie defensive Richtung hätten dazu geführt, dass jeder Spieler alles können muss. "Der Fußball ist athletischer geworden. Kein Team, selbst in der A-Klasse, kann es sich erlauben, dass einer bei der Verteidigung nicht mitzumachen braucht."

Laut seinem Trainer Heribert Ketterl hätte Hankofens Mateusz Krawiec alles, um ein klassischer Zehner sein zu können.
Laut seinem Trainer Heribert Ketterl hätte Hankofens Mateusz Krawiec alles, um ein klassischer Zehner sein zu können. – Foto: Paul Hofer


Die Position eines Zehners gibt es also nicht mehr, so Ketterl. Der Spielertypus, der diese traditionelle Rolle ausfüllen kann, sei aber nach wie vor verfügbar. In seinen Reihen sieht Hankofens Coach mit Tobias Beck, Tobias Richter und Mateusz Krawiec sogar drei Akteure, die in dieses Raster passen würden - vor allem Letztgenannter. "Mateusz hat immer wieder kreative Ideen, die auch sehr risikobehaftet sind. Das erinnert mich schon sehr an frühere Zeiten."

Aufrufe: 022.11.2020, 08:00 Uhr
Helmut WeigerstorferAutor