2024-06-13T13:28:56.339Z

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Erfolgscoach: Seit Gerd Jennewein (Mitte) Türkgücü Mainz trainiert, geht es mit dem Klub steil bergauf. Die Chemie zwischen ihm und den Spielern stimmt.	Foto: hbz/Wallerius
Erfolgscoach: Seit Gerd Jennewein (Mitte) Türkgücü Mainz trainiert, geht es mit dem Klub steil bergauf. Die Chemie zwischen ihm und den Spielern stimmt. Foto: hbz/Wallerius

,,Das Beste, was ich bisher erlebt habe"

Trainerfuchs Gerd Jennewein schwimmt auch mit Türkgücü in der A-Klasse auf der Erfolgswelle / Ans Aufhören denkt der 66-Jährige nicht

MAINZ. Trainerfuchs Gerd Jennewein schwimmt mit Türkgücü Mainz in der Fußball-A-Klasse Mainz-Bingen auf der Erfolgswelle. Der 66-Jährige ist mit dem Aufsteiger souveräner Tabellenführer, der Durchmarsch in die Bezirksliga erscheint absolut im Bereich des Möglichen. Im AZ-Interview spricht Jennewein über seine besondere Verbindung zu den Türken, das Geheimnis des sportlichen Höhenflugs und über Probleme auf der Mombacher Bezirkssportanlage.

Herr Jennewein, Türkgücü hat in der vergangenen Saison die B-Klasse West nach Belieben dominiert und ist jetzt auch eine Liga höher wieder das Maß aller Dinge. Wie haben Sie das hinbekommen?

Mir war es ein Anliegen, in meinen letzten Jahren als Trainer einen türkischen Verein zu trainieren. Das hat mich wahnsinnig interessiert. Bei all meinen Vereinen zuvor hatte ich mit Türken zu tun, denen ja häufig kein allzu guter Ruf vorauseilt in Sachen Disziplin. Ich wollte schauen, ob ich es hinbekomme. Alle Türken können Fußball spielen, das ist bekannt. Genauso bekannt ist, dass ich auf eine gewisse Strenge Wert lege. Als ich hierher kam, war mir nach drei bis vier Wochen klar, dass das Experiment mit mir und dem Verein funktionieren wird. Ich war regelrecht begeistert.

Wie meinen Sie das konkret?

Natürlich fällt es mir heute noch recht schwer, zu akzeptieren, wenn jemand zu lässig ist, nicht pünktlich erscheint oder ein gewisses Phlegma hat. Ich musste lernen, damit umzugehen, dass die Uhren bei Türkgücü anders ticken, dass die Türken eben eine andere Mentalität haben als die Deutschen. Für sie zählt die Familie mehr als alles andere, da kann dann auch mal ein Training oder Spiel nicht mitgemacht werden. Aber entscheidend ist für mich, dass die Jungs und der Verein mir alles zurückzahlen: In Sachen Kameradschaft und Zusammenhalt sind sie den Deutschen weit überlegen, das ist absolut begeisternd. Dass dann noch der sportliche Erfolg dazukommt, ist überragend.

Was sind die Eckpfeiler dieses Erfolgs?

Mein Kapitän Erol Genc ist mein verlängerter Arm auf dem Platz, ich kenne ihn noch aus meinen Hechtsheimer und Mombacher Zeiten. Er denkt und agiert genau wie ich, führt das Team. Der Vorstand von Türkgücü ist großartig, wir haben einen besonderen Draht zueinander. Hinzu kommt, dass ich den Fußball in der Region seit Jahr und Tag kenne und genau beobachte. Ich weiß, wo die Stärken und Schwächen der Gegner liegen, auch in der A-Klasse. Ich bin über jeden Verein informiert, kenne die Systeme der Mannschaften. Das war schon immer so. Wenn man dann selbst eine tolle Truppe zusammen hat, funktioniert es eben.

Für viele Außenstehende wirkt es überraschend, dass die Verbindung Jennewein - Türkgücü so gut passt...

Ich wusste, dass es so kommen wird und wir auch in der A-Klasse sofort vorne dabei sind. Die Kunst ist es, dieses Gebilde so voranzutreiben, dass es dauerhaft erfolgreich ist. Früher wäre ich bei manchen Dingen sofort explodiert und an die Decke gegangen. Ich bin gelassener geworden. Das hilft sicher sehr.

Wo kann die Reise für Türkgücü hingehen - nach dem bisherigen Saisonverlauf kann doch nur die Bezirksliga das Ziel sein, oder?

Zunächst freut mich einfach, dass wir in der Klasse angekommen sind, akzeptiert werden und als Team vorbildlich auftreten. Es gibt keine Schlägereien, keine Ausschreitungen, einfach gar nichts. Wir wollen oben dranbleiben und werden jetzt sicher nicht überheblich. Aber klar ist auch, dass wir in unserer Zielstrebigkeit nicht nachlassen werden und bis zum Ende ein Wörtchen bei der Vergabe der Aufstiegsplätze mitreden wollen. Da braucht man beim Blick auf die Tabelle kein Prophet sein.

Mit dem SV Italclub spielt ein weiterer Aufsteiger vorne mit, der mit zahlreichen namhaften Kickern besetzt ist und große Ambitionen hat. Wie sehen Sie diesen Verein?

Spieler wie Ex-Profi Abdelaziz Ahanfouf oder Fatmir Pupalovic spielen sicher nicht umsonst für den Italclub. Da fließt viel Geld. Aber das interessiert mich alles nicht. Bei uns gibt es nicht einen Cent, nicht einen Euro Siegprämie. Das ist das allererste Mal, dass ich sowas bei einem von mir trainierten Verein erlebe. Davor ziehe ich den Hut. Auch davor, wie hier im Verein miteinander umgegangen wird. Ich habe schon verschiedene höherklassige Mannschaften trainiert, aber vom Umfeld und vom Menschlichen her ist das hier das Beste, was ich bisher erlebt habe. Ich bin stolz, Trainer von Türkgücü zu sein. Das ist ein tolles Gefühl.

Drückt denn trotzdem irgendwo der Schuh bei Türkgücü?

Ja, unsere Trainingsmöglichkeiten sind extrem schlecht. Donnerstags haben wir nur einen halben Platz in Mombach auf der Bezirkssportanlage zur Verfügung. Wenn dann die Fortuna mit ihrem Training mal fertig ist, dürfen wir runter auf den großen Platz. Da müssen wir uns dann aber extrem beeilen, sonst können wir nicht mehr duschen, weil der Platzwart alles abschließt. Selbst neugegründete C-Ligisten haben Vorrang vor uns als A-Klassist. Unter diesen Bedingungen Tabellenführer zu sein, ist eine große Leistung. Es gibt in Mainz viel zu wenig brauchbare Trainingsplätze, da müssen sich die Stadt und der Sportdezernent schleunigst was überlegen.

Wird Türkgücü die letzte Trainerstation von Gerd Jennewein sein?

Wenn ich fit bleibe, mache ich sicher noch ein bisschen weiter. Ich bin mein ganzes Leben lang Trainer gewesen. Türkgücü würde mich am liebsten behalten, bis ich aus den Fußballschuhen falle. Ich habe gar kein Interesse, woanders zu arbeiten.

Das Interview führte Andreas Riechert.




Aufrufe: 029.10.2015, 08:00 Uhr
Andreas RiechertAutor