2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Cenk Tosun ist in der Türkei ein Superstar. Foto: Imago / Montage: FuPa
Cenk Tosun ist in der Türkei ein Superstar. Foto: Imago / Montage: FuPa

20 Millionen Ablöse? "Wieso nicht?"

Interview: Stürmer Cenk Tosun aus Raunheim macht mit 24 Toren für Besiktas auf sich aufmerksam / „Beste Saison meiner Karriere“

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Der aus Raunheim stammende Cenk Tosun hat in der Saison 2016/17 in der türkischen Süper Lig den Durchbruch geschafft. Mit Besiktas Istanbul feierte der 26 Jahre alte Stürmer den zweiten Meistertitel in Folge, scheiterte unglücklich in der Gruppenphase der Champions League und im Viertelfinale der Europa League. Mit 20 Toren war Tosun zweitbester Torjäger in der Türkei, außerdem traf er viermal im Europacup. Im FuPa-Interview zieht der türkische Nationalspieler Bilanz und blickt nach vorne.

FuPa: Herr Tosun, die Saison begann für Sie mit einem Doppelpack beim 4:1 gegen Alanyaspor und endete mit einem beim 4:0 gegen Osmanlispor. Dazwischen lagen Highlights wie der Seitfallzieher im Spiel gegen Benfica Lissabon, der zum „Tor des Jahres“ in der Champions League gewählt wurde. An welche Szenen der Saison denken Sie am liebsten zurück?

Cenk Tosun: Das Benfica-Spiel war das Highlight, ein unbeschreiblich schöner Tag. Ich bin zur Halbzeit beim Stand von 0:3 reingekommen, dann hat sich irgendwie alles geändert. Ich habe das 1:3 erzielt und wir haben noch das 3:3 geschafft. Wenn das Spiel etwas länger gedauert hätte, hätten wir auch noch gewonnen. An meine drei Tore gegen Konyaspor denke ich gerne zurück und an meinen Doppelpack im WM-Qualifikationsspiel gegen Finnland.

FuPa: Und was war die größte Enttäuschung?

Tosun: Das Aus in der Champions League war schlimm. Wir hätten mit einem Remis gegen Dynamo Kiew zum Abschluss der Gruppenphase die nächste Runde erreicht. Und dann hat uns der schlechte Schiedsrichter mit dem lächerlichen Platzverweis gegen Andreas Beck und dem Foulelfmeter das Spiel versaut. In Unterzahl hatten wir keine Chance und verloren 0:6.

Das Ausscheiden im Europa League-Viertelfinale gegen Lyon hat mich aber noch mehr getroffen, danach war ich zwei, drei Tage sehr geknickt. Wir haben zwei Superspiele gegen eine der besten Mannschaften des Wettbewerbs abgeliefert. Am Ende hat uns im Elfmeterschießen, wo ich getroffen habe, das Quäntchen Glück gefehlt.

FuPa: Wie fällt Ihre Saisonbilanz als zweitbester Torjäger der Liga und als Nationalspieler aus?

Tosun: Das war die beste Saison meiner Karriere. 20 Tore in der Liga, vier im Europacup, dazu vier Assists: Für einen türkischen Spieler in der Türkei ist das eine gute Bilanz, da die großen Vereine dort eher auf Stars aus dem Ausland setzen, gerade in der Offensive. In der Nationalelf habe ich in den Partien, in denen ich eine Chance bekam, auch relativ gut gespielt. Die EM hätte besser laufen können, da sind wir unglücklich ausgeschieden, aber die Qualispiele liefen gut für mich.

FuPa: Nach dem 4:0-Sieg zum Saisonabschuss freuten Sie sich neben dem Meisterpokal sitzend wie ein kleiner Junge über den Titelgewinn. War die zweite Meisterschaft mit Besiktas also nicht weniger schön als die erste?

Tosun: Die waren beide wunderschön. Das Gefühl, zum ersten Mal Meister zu werden, ist natürlich ganz anders. Aber durch den zweiten Titelgewinn haben wir jetzt den dritten Stern auf dem Trikot bekommen, da es die 15. Meisterschaft war. Das war auch ein ganz tolles Gefühl.

FuPa: Im vergangenen Jahr hatten Sie acht Tore in der Liga erzielt, jetzt 20. Wie wichtig war der Abgang von Torjäger Mario Gomez nach Wolfsburg?

Tosun: Ich habe sehr viel von Mario gelernt, das ist eine große Persönlichkeit und ein Superfußballer. Meist kam ich für ihn rein, wenn er müde war, und habe auch viele Spiele gedreht. Sein Abgang war schade, aber gut für mich, denn sonst wäre ich sicher Stürmer Nummer zwei geblieben. So habe ich mich schon in der Vorbereitung und in den Testspielen als Stürmer Nummer eins angeboten. Trotz vieler Transfers habe ich dann 47 Spiele gemacht, davon 34 von Anfang an, das ist schon super.

FuPa: Sie haben vor einem Jahr geheiratet. Inwieweit war diese private Veränderung leistungsfördernd?

Tosun: Ich habe meine Frau bis dahin im Monat nur ein-, zweimal sehen können, weil sie in Offenbach gelebt und gearbeitet hat. Das war relativ schwer. Nach der Hochzeit sind wir zusammengezogen. Das war ein wichtiger Schritt für mich. Es ist ein gutes Gefühl, so einen Rückhalt zu haben, und sicher auch leistungsfördernd.

FuPa: In der Türkei sind Sie ein Star. Können Sie sich in Istanbul privat überhaupt noch ansatzweise frei bewegen?

Tosun: Eigentlich nicht. Das ist ganz schwer. Ich war jetzt mit meiner Frau in Amerika, da haben wir es richtig genossen, nicht so oft erkannt zu werden. Aber selbst in New York, wo es viele Türken gibt, bin ich angesprochen und um Fotos gebeten worden. Schön finde ich aber, dass sich auch Fans anderer Vereine mit mir fotografieren lassen wollen. Das spricht wohl für meinen Charakter und macht mich stolz.

FuPa: Zwei Meistertitel in drei Jahren bei Besiktas: Ist die Zeit gekommen für den nächsten Schritt? Ihr Ziel war es ja, einmal bei einem großen europäischen Klub zu spielen...

Tosun: Die Zukunft ist offen. Ich mache keine Pläne und schaue mal, wie es kommt. Ich habe noch zwei Jahre Vertrag und bin sehr glücklich bei Besiktas. Aber wenn sich ein großer Klub mit dem Präsidenten einigt und es auch ein guter Deal für Besiktas wäre, würde ich natürlich gerne in Europa bei einem Topverein spielen. Ich könnte mir aber auch vorstellen, den Vertrag zu verlängern.

FuPa: Angeblich sind Arsenal, Leverkusen, Tottenham und chinesische Klubs interessiert. Allerdings hat Besiktas im Frühjahr verkündet, dass Sie für eine Ablöse unter 20 Millionen Euro nicht abgegeben werden. Ist das eine hohe Hürde?

Tosun: Die Ablösen, die heutzutage bezahlt werden, sind relativ hoch. Ich bin 26 Jahre alt, habe 24 Tore in einer Saison geschossen, wieso also nicht? Es können viele Klubs solche Summen bezahlen, gerade die Engländer und die Chinesen. Aber nach China möchte ich nicht mit 26 Jahren.

FuPa: Seit Sie in der Türkei spielen, haben Sie im Schnitt in jedem dritten Spiel getroffen. Stürmer mit dieser Torquote sind auch in Deutschland begehrt. Inwieweit reizt Sie ein Wechsel in die Heimat?

Tosun: Deutschland ist eine Top-Liga, für mich die zweitbeste direkt hinter England. Natürlich würde mich die Bundesliga reizen.

FuPa: Sie haben vor sechseinhalb Jahren die Frankfurter Eintracht gen Türkei verlassen. Wenn Sie den Cenk Tosun von damals mit dem von heute vergleichen: Wie haben Sie sich als Sportler und Mensch verändert?

Tosun: Als Mensch fast gar nicht. Ich bin immer noch der gleiche Cenk, vor allem bodenständig. Das Größte, was mir meine Eltern beigebracht haben, ist bodenständig zu bleiben. Ich war jetzt bei einer türkischen Hochzeit in Deutschland, da waren 500 Leute. Ich habe bestimmt mit der Hälfte im Saal Fotos geschossen. Ich kann da einfach nicht Nein sagen, denn ich war früher auch Fan und fußballverrückt. Als Sportler habe ich mich sehr entwickelt. Ich habe viel dazu gelernt, auch weil ich viele Extraeinheiten trainiert habe, um noch besser zu werden.

FuPa: Wo sehen Sie heute Ihre Stärken und an welchen Schwächen haben Sie noch zu arbeiten?

Tosun: Im Sechzehner habe ich den Vorteil, dass ich mit rechts und links gleich stark schießen kann, hart und präzise. Ich habe aus der Ferne einen guten Schuss und erziele auch viele Kopfballtore. Ich muss noch an meiner Ausdauer arbeiten, sodass ich länger pressen kann. Den Ball könnte ich noch besser halten und den Körper noch besser einsetzen.

FuPa: Sie waren jetzt gerade wieder in Deutschland. Wie eng ist der Kontakt noch zu ihrer Heimat Raunheim, zur Familie und zu alten Weggefährten?

Tosun: Immer noch eng. Ich habe viele Freunde und Bekannte dort, die ich sehr vermisse. Ich lebe gerne in Istanbul, es ist wunderschön, aber es zieht mich auch regelmäßig in die Heimat zurück. Am meisten vermisse ich die Familie. Meine Mutter lebt jetzt meist bei mir, aber mein Vater arbeitet noch am Flughafen und pendelt.

FuPa: Zum Abschluss noch ein Blick in die nächste Saison: Was sind Ihre Ziele mit dem Verein und der Nationalelf?

Tosun: Topziel ist die Meisterschaft mit Besiktas. An zweiter Stelle kommt für mich die WM-Teilnahme mit der Nationalmannschaft. Drittes Ziel ist es, dieses Mal mit Besiktas die Gruppenphase in der Champions League zu überstehen. Und da ich in dieser Saison bis vier Wochen vor Saisonende die Torjägerliste in der Türkei angeführt habe und dann noch von Vágner Love überholt wurde, wäre die Torjägerkanone noch ein großes Ziel für mich.

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Zur Person

Cenk Tosun, geboren am 7. Juni 1991 in Wetzlar, ist in Raunheim aufgewachsen, wo er bis zu seinem Wechsel zum türkischen Erstligisten Gaziantepspor im Januar 2011 lebte. Mit dem Fußball begann er als Fünfjähriger beim SV 07 Raunheim, ehe er mit sechs Jahren zu Eintracht Frankfurt kam. Als der ehemalige Fachabiturient der Rüsselsheimer Heisenbergschule beim Bundesligisten keine Chance auf Einsätze in der ersten Mannschaft sah, wechselte er mit 19 für dreieinhalb Jahre zu Gaziantepspor. Seit Sommer 2014 geht der Stürmer für Besiktas Istanbul auf Torejagd und feierte in dieser Saison die zweite Meisterschaft in Folge mit seinem Team.

In den Jugend-Nationalteams für Deutschland am Ball und mit 14 Toren in 29 Partien sehr erfolgreich, entschied sich Tosun später, international für das Heimatland seiner Eltern anzutreten. In 19 A-Länderspielen für die Türkei (zwölf in der Startelf) erzielte er fünf Tore.

Aufrufe: 06.7.2017, 16:05 Uhr
Heiko WeissingerAutor