2024-04-16T09:15:35.043Z

Querpass
Nicht mehr nur Linienrichter und Schiri, sondern gleich zwei Referees: Im Fußballkreis Prignitz-Ruppin wird das Tandem-Schiri-Modell erprobt.Foto: MOZ-Archiv
Nicht mehr nur Linienrichter und Schiri, sondern gleich zwei Referees: Im Fußballkreis Prignitz-Ruppin wird das Tandem-Schiri-Modell erprobt.Foto: MOZ-Archiv

Zwei Mann an Karte und Pfeife

Der Doppelreferee ist da: Im Fußballkreis Prignitz/Ruppin schiebt der Schiedsrichter-Ausschuss ein neues Projekt an

Ein wenig irritiert das optisch schon, wenn statt der 23 Sportler 24 aufs Grün laufen. Doch der Schiri-Ausschuss im Fußballkreis (FK) schiebt ein Pilotprojekt an, das dem Hauptschiedsrichter einen zweiten an die Seite stellt. Ihr Abstand liegt im Idealfall bei fünf Metern. Bei strittigen Szenen ist das Beraten nicht nur gestattet, sondern gewollt.

Damit geht der Fußballkreis einen neuen Weg, um Jungschiedsrichter optimal an die Spielleitung heranzuführen. Das Projekt „Tandem-Schiri“, bei dem ein erfahrener und ein Neuling gemeinsam auf dem Feld stehen, soll die Sicherheit steigern und den zu befürchtenden Praxisschock reduzieren, erklärt Lehrwart Fabian Schulte. Die Tandem-Premiere in Prignitz/Ruppin gab‘s im letzten Kreisligaspiel vor Weihnachten zwischen dem Herzberger SV und der SG Linum. Debütant Christian Berger nahm zunächst auf dem hinteren Sitz Platz. Den Lenker hatte in den ersten 45 Minuten Fabian Schulte in den Händen. Er pfeift seit fast neun Jahren und schiedst Partien bis zur Landesliga. „Dass es drei Schiris sein können, ist nicht unbekannt.“ Auch vier oder gar fünf kennt man ja aus Champions-League-Spielen. „Aber zwei, und dann so nahe beieinander, ist im Fußball ungewöhnlich. Noch.“

Angelehnt an das bayerische Projekt entschloss sich der Schiri-Ausschuss im Herbst vorigen Jahres, seinen frisch ausgebildeten Referees punktuell als „Tandem“ unter die Arme zu greifen – allerdings primär bei den C- oder B-Junioren und nicht gleich in der zweithöchsten Männer-Spielklasse (von vier) des FK. Früher als gedacht, fand Schulte die Zeit, um sich als zweiter Mann zur Verfügung zu stellen. Mehr noch: „Christian Berger wusste bis kurz vorm Anpfiff in Herzberg gar nichts von unserem Plan.“ Allein schon, dass der Protzener mit einem hochklassigen Kreisliga-Spiel in seine Karriere einsteigt, überrascht. Zuvor hatte er TuS Wildberg gegen Hansa Wittstock II (1. Kreisklasse) leiten sollen. Diese Ansetzung wurde jedoch zurückgezogen. TuS Dabergotz gegen Nackel (Kreisliga) hieß der zweite Praxistest. Berger lehnte aus persönlichem Grund ab. „Die Jungs aus Nackel kenne ich ja hinreichend“, warf er einen Blick auf den Nachbarverein und seinen Freundeskreis. Das dritte Angebot: Kellerkind Linum beim Spitzenteam aus Herzberg. „Wau, das ist nicht unbedingt üblich für einen Neuling.“

Ähnliches dachten sich die Trainer, die vorm Anpfiff involviert wurden. Berger: „Wir haben aber sofort gesagt: Bei groben Verstößen greift Fabian ein.“ Sein Herz flatterte vor Nervosität dennoch, gestand der 28-Jährige, obwohl Fabian Schulte zur ersten Halbzeit anpfiff und Berger in die passive Rolle schlüpfte. „Unglaublich lehrreich“, seien diese ersten 45 Minuten gewesen. „Die Laufwege hat man einfach nicht so drauf. Wir haben viel gesprochen, allein mit der Körpersprache kann man viel erreichen. Fabi hat viel mit der Stimme gearbeitet, korrigiert und ermahnt. Das habe ich alles versucht, in der zweiten Halbzeit umzusetzen.“

Unterm Strich schätzt Christian Berger das Tandem-Projekt als sehr hilfreich ein. „Es kommt zu einem ziemlich großen Lerneffekt. Vor allem die schnelle Entscheidungsfindung ist gar nicht so leicht.“ Er gesteht, dass „man sich zunächst wie ein fünftes Rad am Wagen vorkommt“ und so manches Schmunzeln hinnehmen muss. „Will man aber Jung-Schiris unterstützen und halten, dann ist das eine sehr gute Variante.“

Genauso sieht es Fabian Schulte, der mit seinem Co. die Feinheiten bilateral auswertete. „Man hat schon die Aufregung gesehen“, zeigt sich der für TuS Wildberg Pfeifende keineswegs überrascht. „Und es war zugegeben in einigen Szenen ein Spagat, ob ich nun eingreifen muss.“ Explizit nimmt er aber den Platzverweis aus: „Selbst die Herzberger diskutierten nicht über die Rote Karte. Es war einfach ein dämlicher Kommentar vom Spieler.“ Das wäre so nicht gekommen, widerspricht Patrick Schramm. Der Trainer des HSV: „Dreimal wurde Stefan von hinten gefoult, dreimal vom selben Spieler. Das hätte geahndet werden müssen.“ Die Konsequenz für Rot zweifelt der Coach nicht an, nur der Weg dahin hätte gestoppt werden können.

Für Fabian Schulte ist das Experiment „Tandem-Schiri“ gelungen. Wo und wann 24 Akteure das nächste Mal ein Spielfeld betreten, ist das Ergebnis einer kurzfristigen Entscheidung im Schiri-Ausschuss. Am ehesten wohl im Junioren-Bereich.

Übrigens kostet der Sozius dem gastgebenden Verein unwesentlich mehr Geld: Die Auslagen und das Honorar für den zweiten Mann trägt der Fußballkreis. Einzig der zweite Tee und die zweite Bockwurst belasten die Kasse.

Die Idee zum Tandemprojekt stammt aus Bayern

Ins Leben gerufen wurde das Tandem-Projekt im bayerischen Bad Tölz. Nicht selten sind Debütanten in kritischen Situationen überfordert. Selbst wenn so genannte Schiri-Beobachter vor Ort sind, können diese nur nachträglich belehren. War der Pfiff aber ein Fehler, ist das manchmal der Auslöser für Unruhe auf dem Platz.
Nachteil auch: Zwischen Kritikpunkt und Auswertung können zwei Stunden liegen. Nicht selten kommen Jungschiris frustriert oder sogar verängstigt vom Feld. Mögliche Folge: Ihre Lust an der Schiedsrichtertätigkeit ebbt ab. Die Karriere endet, bevor sie begann. Schwerpunkte des Tandem-Schiedsrichter-Verfahrens sind Stellungsspiel, verbaler Umgang mit den Kickern, Körpersprache, das Stellen der Mauer und primär auch das Finden der idealen Laufwege. Im Normalfall pfeift der ältere Schiri zur ersten Halbzeit an, um in der zweiten ins zweite Glied zu rücken und dem jüngeren die Spielleitung zu überlassen. Tipps sind möglich, die Kompetenz persönliche Strafen zu verhängen, obliegt beiden. Die Erfahrungen nach den ersten Tandem-Spielen in Bayern sind positiv: War den Neulingen in den ersten Minuten noch die Nervosität anzumerken, wurden sie mit jeder Spielminute sicherer und selbstbewusster. Sie konnten das in der ersten Halbzeit Erlernte oftmals ohne Probleme direkt in der zweiten Halbzeit umsetzen. Bei den ersten regulären Spielleitungen fiel die Anzahl der Anfängerfehler deutlich geringer aus. Und auch das Verständnis für angesprochene Tipps und Verbesserungen durch den Betreuer war größer, da sich der Neuling wieder an das Gezeigte aus dem Tandem-Spiel erinnern konnte.
Mitentscheidend ist, dass der Erfahrene mit der Spielleitung nicht überfordert ist und Zeit findet, um im Dialog Gedanken auszutauschen.
Entsprechend positiv fällt das Fazit von Lehrwart Thomas Sonnleitner (Bad Tölz) aus: „Ich bin mir sicher, dass ohne diesen positiven Einstieg in die Schiedsrichtertätigkeit mindestens die Hälfte der Neulinge schon wieder aufgehört hätte. Die Wirksamkeit des Tandem-Pfeifens hat uns überzeugt und ist deshalb in unserer Schiedsrichtergruppe ein fester Bestandteil der Ausbildung geworden.“

Aufrufe: 04.3.2016, 14:33 Uhr
MOZ.de / Matthias HaackAutor