2024-05-10T08:19:16.237Z

Allgemeines

Zahlen, Zauber, Zuckerpässe

Ein Blick hinter die Kulissen des Deutschen Sportclubs für Fußball-Statistiker in der Eifel

Überschäumende Aufstiegs-Euphorie und dröge Zahlenkolonnen. Nackte Abstiegsangst und zentnerschwerer Papierwust mit Ein- und Auswechselungen. Passt das zusammen, geht das? Ja! Offenbar muss das so sein, kann das eine nicht ohne das andere. Ein Blick hinter die Kulissen der Jahreshauptversammlung des Deutschen Sportclubs für Fußball-Statistiken in der Eifel.
Irrel. "Im Nebenraum tagt der Fachausschuss für internationale Beziehungen. Aber wir dürfen mal kurz stören. Ich habe vorher gefragt." Harald - oder war es doch Gerhard? - (alle tragen hier Namensschildchen) öffnet vorsichtig die Tür mit dem leicht undurchsichtigen Milchglas des Tagungshotels. Fachausschuss "für internationale Beziehungen".

Wird hier der nächste G7-Gipfel vorbereitet? Geht es darum, das globale Klima-Abkommen zu ratifizieren? Oder gar um das mögliche Eindringen Außerirdischer in unsere Hemisphären, denen der "Fachausschuss für internationale Beziehungen" auf die Schliche gekommen ist?

Nein, wichtiger. Viel wichtiger: Es geht um Fußball. Und darum, das Leben mit und um die runde Lederkugel in eine sinngebende Form, eine Struktur, in übersichtliche, untrügliche und unwiderlegbare Einzelteile zu sezieren. Denn Fußball ist nun mal in erster Linie eines: ein Ergebnissport.

Einer, bei dem es einen Sieger, einen Verlierer oder das Mittelding - ein Unentschieden - gibt, geben muss. Nie gab es bisher ein Fußballspiel ohne Ergebnis. Und wenn doch, dann wurde so lange wiederholt, relegiert, neu angesetzt, Elfmeter notfalls bis zur körperlichen Erschöpfung und zum Einbruch der Dunkelheit geschossen, bis feststand: Mannschaft X hat gewonnen und Mannschaft Y hat verloren.

Damit man das Resultat solch schweißtreibenden Tuns noch über Jahre und Jahrzehnte hinweg wird nachlesen können, gibt es sie: Menschen, denen Zahlenreihen, Mannschaftskader, Auswechslungen, Tabellen, kein Gräuel, sondern Lebenselixier sind: die Mitglieder des Deutschen Sportclubs für Fußball-Statistiken. Am Wochenende hatte es Deutschlands versierteste Datensammler in Sachen Fußball zu ihrer Hauptversammlung in die Eifel verschlagen.

Fans mit Leib und Seele

Turnusgemäß wird innerhalb der Landesverbände gewechselt. In diesem Jahr war der Südwesten an der Reihe. Wie das bei großen Konferenzen mit einem "Ausschuss für internationale Beziehungen" üblich ist, gab es ein Rahmenprogramm. Eines, bei dem die Delegierten des etwa 400 Mitglieder starken Clubs Gast im Sportzentrum des FSV Trier-Tarforst waren. Stadtrundfahrt und Einblicke in den Amateurfußball in und um Trier inklusive. Erläutert und moderiert vom Trierer Club-Mitglied Reiner Nickel. Danach wartete die Arbeit. Wahlen, Sitzungen, Ehrungen.

Was sind das für Menschen, die sich in ihrer Freizeit sinngebend mit der Frage beschäftigen, wer wann wo im Spiel des Tabellenvierzehnten gegen den Vorletzten der Landesliga Nordwest Mecklenburg-Vorpommern in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit einen Treffer erzielt hat? Sind das dröge Buchhalter-Naturen mit abgewetzten Ärmelstulpen? Männer, deren Ahnen in grauer Vorzeit den Großteil ihres Lebens damit verbrachten, in gebeugter Sitzhaltung hinter randlosen Brillen angeknabberte Gänsekiele in Tintenfässer zu tauchen? Mitnichten! Die Hobby-Statistiker sind in erster Linie eines: Fußballfans. Mit Leib und Seele.

Dirk etwa, der ein Sweat-Shirt mit Gladbach-Emblem trägt, bekennt, dass ich "die Woche ziemlich gelitten habe". Kein Wunder, gab es für seine Gladbacher bei Manchester City doch eine derbe 0:4-Klatsche in der Champions League. Dirk ist hauptberuflich Organisations-Programmierer, hat also auch beruflich mit Datenbanken zu tun. Herbert dagegen verdient seine Brötchen als Leiter eines kirchlichen Rechnungsprüfungsamtes. Gerhard ist Betriebsrat. Harald war bis zur Rente Industriekaufmann. "Bei uns findest du alles. Vom Maurer bis zum Professor."

Klar, man müsse ein Faible für Zahlen, für Strukturen haben. Aber eben immer gepaart mit der Liebe zum Fußball. "Wir betreiben klassische Recherchearbeit. Im Internet, aber auch in alten Kicker-Ausgaben, in Archiven von Kommunen oder Verbänden. Sogar in privaten Hinterlassenschaften. Viele Vereine kommen auf uns zu, wenn sie Jubiläen haben", erklärt Herbert. Dirk ergänzt: "Im Moment sind wir dabei, den gesamten Fundus zu digitalisieren."

Ein E-Archiv für Wälzer wie den jährlichen deutschen Fußball-Almanach. Oder das gesamte Werk des Nordostdeutschen Fußball-Verbandes (NOFV, Ex-DDR). Herunter von der Bundesliga bis zu den sechsten Ligen aller Landesverbände. Tonnen von Papier haben sich da angehäuft im Lauf unzähliger Spielzeiten zwischen Rügen und Rosenheim.

Auf eines legen die Männer mit dem Namensschildchen Wert, als sie sich zum Foto für den TV postieren. Das Zahlenwerk im Banne des königlichen Fußball-Zaubers und der ungezählten Zuckerpässe erstellen sie ohne Gegenleistung. Ehrenamtlich also. Doch plötzlich ruft von hinten einer. "Also richtig ehrenamtlich, meine ich." Gelächter. Wie er das wohl gemeint hat in diesen Tagen? Na ja, war ja nur einer. Aber ein unverzichtbarer: ein Fall für die Statistik nämlich!
Aufrufe: 020.9.2016, 21:40 Uhr
volksfreund.de/Jürgen C. BraunAutor