2024-05-08T14:46:11.570Z

Ligabericht
Schwer beizukommen war den „Martin-Brüdern“ in jener Zeit. Nicht zuletzt darauf gründete sich der Erfolg der Regental-Kicker.  Foto: MZ-Archiv
Schwer beizukommen war den „Martin-Brüdern“ in jener Zeit. Nicht zuletzt darauf gründete sich der Erfolg der Regental-Kicker. Foto: MZ-Archiv

„Wir sind gerannt wie der Teufel“

So wie die Fußballer Franz und Ludwig Martin den FC Miltach geprägt hatten, so weit weg sind sie vom Irrsinn des Geschäftes.

Der Abend beginnt beschaulich in der „Alten Post“, als höre man das Ticken der Uhr an der Wand. Ein Tischtennis-Spieler mit der Tasche über der Schulter kommt herein, lässt sich vom Wirt ein Pils ziehen, ein kurzes Fachgespräch entwickelt sich im Stehen. Dass man die anderen eigentlich schon sicher im Griff gehabt hätte und so. Ludwig Martin weiß, wovon er spricht. Als ehemaliger Top-Fußballer kann er mit 55 auch noch manchen TTlern etwas vorführen, in puncto Kampfgeist, Biss und Einstellung. Wie früher als fußballerische Leitfigur.

Langsam füllt sich die gute Stube, Info-Zentrum des Dorfes, es ist Freitagabend und der „Luwerl“ („Posterer“) hat ordentlich zu tun. Die Kartenrunde, der Stammtisch, vier Halbe, ein Weizen. Niemand muss erklären, was Ludwig Martin mit Franz Martin weiland bewegt hat. Derweil ist es inzwischen gar nicht mehr so einfach, die beiden zusammen zu bringen. Nicht weil sie sich nicht mögen würden. Weil sie beide so weit weg sind vom Geschäft Fußball. Am Ende kommt er doch: Franz Martin, gertenschlank wie früher und leicht überrascht, dass nach zwei Jahrzehnten Abstinenz die fußballerische Vergangenheit noch einmal Thema sein soll.

Zweites Comeback war ein Fehler

Ludwig Martin hat ein wenig Verschnaufpause hinterm Tresen, weil auch die Schafkopfer versorgt sind, Ehefrau Barbie ist da als Verstärkung. Der klingelnde Sarkasmus des „Luwerl“ bricht sich Bahn beim Vergleich gestern und heute. „Ich muss ein System spielen lassen, das auf die Spieler zugeschnitten ist, stark im Zweikampf und Kopfball, mit Blick für den Raum“, schaut der ehemalige Kurzzeit-Profi aber nur noch selten Spiele an. Hätte früher schon angeeckt mit seiner These, jede gut durchtrainierte AH würde heute locker noch manche unterklassige „Erste“ schlagen.

Der „Luwerl“ kehrt zurück an den Tisch mit einer Tasse Cappuccino, schleckt den Schaum, ohne solche Erfrischung nötig zu haben, so austrainiert wirkt die ehemalige Ikone jener Miltacher Erfolgsepoche. Franz Martin wählt wie früher jedes Wort mit Bedacht, muss freilich längst auf nichts mehr Rücksicht nehmen. Nimmt einen Zug aus der Halben und vertraut der kleinen Runde an, es sei ein Fehler gewesen, ein zweites Mal noch einmal anzufangen. Als der erste Miltacher Landesliga-Abstieg 1997 Formen anzunehmen begonnen, ihn der damalige Trainer Walter „Just“ Wanninger händeringend gebeten hatte, noch einmal anzupacken nach dem Winter an der Seite seines Großcousins. „Welche Position soll ich dann spielen?“, wollte Franz Martin wissen – „Such dir was aus“ sei ihm geantwortet worden. Also Zeiten waren das ...

Die passende Gelegenheit, um Nicht-Insidern nochmals zu erklären, dass Heinz Zollner, Ludwig und Franz Martin, drei Säulen jener Übermannschaft damals, Großcousins seien, „Kindskinder, wie wir sagen, die Opas waren Brüder“, erklärt Franz Martin. Was hatten wir gelacht, wenn in den Nürnberger Zeitungen von den „Martin-Brüdern“ zu lesen gewesen war. „Wir waren alle Straßenfußballer“, erklärt uns der blonde Franz, mit 54 der jüngere, die Ursprünge jener Zeit, als dieser FC Miltach nicht nur den Fußball-Landkreis elektrisierte. Mit allen Kriegsschauplätzen nebenher. Seine Kopfball-Stärke habe er mit 15 Jahren entdeckt, röten sich Franz Martins Wangen leicht, beim Bezirksfinale der Schulen in Neutraubling: „Dann habe ich das ganz intensiv trainiert“, schmunzelt der „Franze“ heute. Alle wissen, was sich daraus entwickelt hat. Natürlich war „der Kreis seiner Zeit voraus als Trainer“: Eine hungrige Mannschaft, die ihren Zenit noch nicht erreicht hatte, spielerische Leichtigkeit mit unbändiger Kraft paarte. „Wir sind gerannt wie der Teufel“, rollt der „Bräu-Franze“ die Augen unter der Brille, nicht nur, weil der Kreis auch noch das damals revolutionäre Vitamintränkchen mit reingeworfen hatte. Spätestens der in diesen Breiten damals noch nicht gängige Laktattest hatte es ans Licht gebracht.

Revolutionärer Laktattest

Der „Luwa“ sitzt wieder da, hört ebenso andächtig wie feixend zu. Natürlich würden sie es auch über zwei Jahrzehnte danach noch bedauern, dass das mit der Bayernliga 1988 nicht geklappt hatte. Franz Martin hakt ein, es sei schade, dass immer nur dieser wunde Punkt Erwähnung finde, wenn die Rede auf damals käme. „Wir wären sicher Meister geworden“, grätscht der „Luwa“ mit erhobener Stimme dazwischen, wenn er sich damals nicht gegen Weiden am Oberschenkel verletzt hätte, der Schwarz-Tom nicht beim Joggen im Park ausgerutscht wäre, wenn jenes Heimspiel gegen Ansbach gewonnen worden wäre ... Dann hätte es Kelheim nicht gegeben, alles längst vorbei.

Die Geschichte musste damals schließlich weitergehen. „Wir waren die einzigen beiden Landesliga-Spieler, die in die Bayernauswahl berufen worden sind“, witzelt Franz Martin heute, dass er sich damals verletzt hatte und Top-Stürmer Thomas Schwarz deswegen absagte, weil er nicht alleine nach München fahren wollte. Ludwig Martin fügt mit breitem Grinsen jene Anekdote an, warum er nach der Landesliga-Vizemeisterschaft erst in die weiß-blaue Auswahl für den Länderpokal berufen worden war: „Auswahltrainer Klante hat mich gar nicht gekannt. Ich war nur in der Sportschule Grünwald, weil ich einen Trainerschein gemacht habe. Nachher haben wir abseits noch etwas gekickt und der Klante hat zugeschaut“. Ludwig Martin feixt: „Ich brauche einen Linksfuß“, soll Klante gesagt haben. „Okay, Zeit habe ich“, habe Ludwig Martin geantwortet. Damals ging das.


Als Amateur bei den Profis

Wenngleich die Früchte des Erfolgs auch für Franz Martin zum Pflücken nahe gewesen wären. Nur das engste Umfeld wusste damals, dass beide Martins eigentlich beim 1. FC Nürnberg hätten wirken sollen. War Ludwig Martin Mitglied des Profikaders unter Heinz Höher, hätte Martin der jüngere einen Amateurvertrag unterschreiben sollen, aber bei den Profis mittrainieren. Eine seltsame Konstellation, die Club-Meisterspieler Fritz Popp vorgesehen hatte für das Miltacher Kopfball-Ungeheuer. In einer WG mit den Profi-Lehrlingen Reuter und Grahammer. Wie doch die Zeit vergeht. Franz Martin sagte ab: „Ich spiele doch nicht vor 80 Zuschauern“. Im sich steigernden Trubel der vollen Wirtsstube kaum hörbar, jenes Bedauern des Franz Martin, es nicht doch versucht zu haben. Vielleicht aus Treue zum Verein, der durch seine bodenständige Besetzung und seine bis dato nicht gekannte Spielweise die Liebhaber und Hasser gleichermaßen auf den Plan gerufen hatte. Oder wegen der Familienbande, weil Trainer Kreis dann seine Protagonisten verloren hätte. Heute findet es Franz Martin schade, dass „mir keiner in der Verwandtschaft dazu geraten hat, ich solle es machen ...“ Denn es war nicht der Club allein. Dem FC Augsburg als Bayernligisten sagte Martin ebenso ab wie dem FC Amberg. Da wäre der Schritt nicht weit gewesen zur SpVgg Weiden. Wie hatten sich Mäzen „Gustl“ Hegner und Manager „Charly“ Aldermann bemüht. Der Münchner Hans Greben wurde Trainer am Wasserwerk, ließ verlauten, er wolle so einen Spielertypen wie Franz Martin unbedingt. „Ich bin dennoch als junger Kerl in die Rötzer Wutzschleife gefahren und habe den Weidenern abgesagt“. Alles Schlechte hat sein Gutes.

Es sei ein Fehler gewesen, ein zweites Mal noch einmal anzufangen, sieht Franz Martin heute die Dinge von damals differenzierter.  Foto: MZ-Archiv
Es sei ein Fehler gewesen, ein zweites Mal noch einmal anzufangen, sieht Franz Martin heute die Dinge von damals differenzierter. Foto: MZ-Archiv

„Wir waren alle Straßenfußballer.“ Franz Martin

Die medialen Dampfplauderer

Sein Großcousin Ludwig hatte nach verpasstem Bayernliga-Aufstieg und Kreuzbandriss bald berufliche Verantwortung in der elterlichen Metzgerei. Radfahren, Tennis und Tischtennis ließen sich leichter vereinen als das auch im Landkreis aufkommende knallharte Fußball-Geschäft. Gefragt ist sein Urteil dennoch immer, Ungerechtigkeiten bringen Ludwig Martin immer noch in die Höhe, wie er bekennt („Vielleicht ist das italienisches Blut in mir, ich weiß es nicht“). Wie viele andere steht Ludwig Martin den Eigenheiten moderner Spielergenerationen kritisch gegenüber, kann mit medialen Dampfplauderern so gar nichts anfangen: „Das ist alles nur noch Show“. Reizüberflutet durchs Geschäft Fußball sind die Martins nicht, in dieser Hinsicht jedenfalls entschleunigt. Franz plaudert bei der zweiten gemütlichen Halben, wie bei einem Prominentenkick zu Blaibacher Festivitäten beim ersten Schuss der Oberschenkel blockierte, die Achillessehne rebellierte. Ludwig grinst wissend in seinen Dreitagesbart nach der nächsten vollführten Runde im Lokal. Mental raus gewesen, so Franz Martin, sei er aber schon zum Ende seiner aktiven Zeit. Heute empfinde er im Rückblick den Endspurt seiner Karriere eher als Stress.

„Das ist alles nur noch Show.“ Ludwig Martin

Als die Führung des Erzrivalen FC Kötzting auf die Schnelle im Sommer einen neuen Trainer brauchte, nach Kohlhäufl, vor Kittel, wäre es der absolute Pestige-Knaller gewesen, einen Franz Martin zu verpflichten. Ernst war‘s ihm nicht, versichert Franz Martin, er wollte aber in Scheinverhandlungen die damaligen Tarife eruieren. Doch die Gegenseite ließ sich nichts entlocken. So war das Thema ganz schnell durch. Nach dem schief gegangen Trainer-Engagement in Steinbühl „habe ich die Sporttasche ins Eck gefeuert und habe gesagt, das war‘s, nie mehr“ – und weil Querdenker konsequent sind, war die Abkehr radikal: „Ich habe in einem Preisausschreiben ein Sky-Abo gewonnen und es dann wieder abbestellt, schaue kaum Fußball im Fernsehen. Am Montag suche ich mir in der Zeitung die Ergebnisse meiner Lieblingsvereine und -sportarten“, so die Martinsche Distanz zum täglichen Wahnsinn des modernen Sport-Business. Und: „Ich mag nicht mehr Bus fahren“, schaut Franz Martin auch keine Sportschau am Samstagabend.



Keinen einzigen gekannt von Chelsea

Dennoch hatte er sich ab und an nach Vilzing verirrt und war vom Wanninger-Kare spätabends heimgefahren worden. Bekanntlich hätte Miltach damals Vilzing werden können, „der Verein wollte sich aber nicht in die Hände eines Unternehmers begeben“, so Martins kurzer Excurs in diese Art der Vergangenheit. Mit dem Bruder von Hansi Dorfner war er in London, Chelsea gegen irgendwen. Es war kein Genuss: „Ich habe keinen einzigen Spieler gekannt“.Macht fast gar nichts ...

„Ich habe in einem Preisausschreiben ein Sky-Abo gewonnen und es dann wieder abbestellt.“ Franz Martin

Mancher mag ihn beneiden: Beruflich gefestigt als Versicherungsmakler, Pferdehalter, Vize-Vorstand des Trachtenvereins, zuvorderst beim Martiniritt, Jäger, Naturschützer, mit klarer Ansage: „Die Kritik an uns Jägern ist vollkommen überzogen, wir schießen die Tiere nur, wenn der Bestand zu groß wird“, sieht sich Franz Martin mehr denn je der Natur verbunden: „Wenn ich mich entspannen will, dann gehe ich in den Wald und genieße das“. Er selbst nennt sich dazu einen Familienmenschen, die beiden erwachsenen Töchter, die ausgerechnet an diesen Abend heimkommen, haben als Volleyballerinnen vom Vater eine klare Ansage bekommen: „Lasst euch durch den Sport nicht vom Beruf aufhalten“, wirkt es, als habe der blonde Hüne wirklich alles satt und hätte sich dennoch eine Karriere als Handballer sehr gut vorstellen können. Nicht nur der Größe wegen. Der „Luwa“ sitzt wieder am Tisch mit lachendem Vergnügen in den Zügen, erzählt uns von seinen post-fußballerischen Freuden. Dass Sohn und Tochter nach diversen beruflichen Erfahrungen ihren Weg gefunden haben, wenngleich Metzgerei und Wirtshaus vollen Einsatz verlangten. Seit fast 15 Jahren habe er nicht mehr gegen einen Ball getreten, irgendwann bist du einfach aus dem Geschäft, sagt der Körper „Nein“ zu Fußball: „Das muss man rechtzeitig erkennen und akzeptieren“. Tennis, Radfahren und Tischtennis sind trotzdem nicht ohne Ausflüsse des Wettbewerbs, denen man sich auch auf unterster Ebene nicht gänzlich entziehen könne.


Kleine Hallen, kalte Duschen

In seinem speziellen Humor erzählt der Hausherr von Hallen, in denen die Duschen eine halbe Stunde vorher aufgedreht werden müssen, um warmes Wasser zu haben, ehe allerlei Körperbeherrschung nötig sei, um auch vom Strahl erfasst zu werden. Oder wenn es menschelt zwischen Tischtennislern und Volleyballern, die etwas Zeit brauchen, um praktischen und zeitlichen Konsens zu finden bei Auf- und Abbau der Trainingsfläche. Dann wummert Franz Martins Smartphone leise, „eigentlich wollte ich nach einer Stunde wieder daheim sein“, suchen Franz Martins zwei Meter Körpergröße freien Blick zur Uhr an der Wand hinterm Tresen. Drei Stunden sind es geworden. Nur um darüber zu reden, dass alles längst vorbei ist.
Aufrufe: 06.1.2017, 16:30 Uhr
Von Markus GüntherAutor