Der Abend beginnt beschaulich in der „Alten Post“, als höre man das Ticken der Uhr an der Wand. Ein Tischtennis-Spieler mit der Tasche über der Schulter kommt herein, lässt sich vom Wirt ein Pils ziehen, ein kurzes Fachgespräch entwickelt sich im Stehen. Dass man die anderen eigentlich schon sicher im Griff gehabt hätte und so. Ludwig Martin weiß, wovon er spricht. Als ehemaliger Top-Fußballer kann er mit 55 auch noch manchen TTlern etwas vorführen, in puncto Kampfgeist, Biss und Einstellung. Wie früher als fußballerische Leitfigur.
Langsam füllt sich die gute Stube, Info-Zentrum des Dorfes, es ist Freitagabend und der „Luwerl“ („Posterer“) hat ordentlich zu tun. Die Kartenrunde, der Stammtisch, vier Halbe, ein Weizen. Niemand muss erklären, was Ludwig Martin mit Franz Martin weiland bewegt hat. Derweil ist es inzwischen gar nicht mehr so einfach, die beiden zusammen zu bringen. Nicht weil sie sich nicht mögen würden. Weil sie beide so weit weg sind vom Geschäft Fußball. Am Ende kommt er doch: Franz Martin, gertenschlank wie früher und leicht überrascht, dass nach zwei Jahrzehnten Abstinenz die fußballerische Vergangenheit noch einmal Thema sein soll.
Der „Luwerl“ kehrt zurück an den Tisch mit einer Tasse Cappuccino, schleckt den Schaum, ohne solche Erfrischung nötig zu haben, so austrainiert wirkt die ehemalige Ikone jener Miltacher Erfolgsepoche. Franz Martin wählt wie früher jedes Wort mit Bedacht, muss freilich längst auf nichts mehr Rücksicht nehmen. Nimmt einen Zug aus der Halben und vertraut der kleinen Runde an, es sei ein Fehler gewesen, ein zweites Mal noch einmal anzufangen. Als der erste Miltacher Landesliga-Abstieg 1997 Formen anzunehmen begonnen, ihn der damalige Trainer Walter „Just“ Wanninger händeringend gebeten hatte, noch einmal anzupacken nach dem Winter an der Seite seines Großcousins. „Welche Position soll ich dann spielen?“, wollte Franz Martin wissen – „Such dir was aus“ sei ihm geantwortet worden. Also Zeiten waren das ...
Die passende Gelegenheit, um Nicht-Insidern nochmals zu erklären, dass Heinz Zollner, Ludwig und Franz Martin, drei Säulen jener Übermannschaft damals, Großcousins seien, „Kindskinder, wie wir sagen, die Opas waren Brüder“, erklärt Franz Martin. Was hatten wir gelacht, wenn in den Nürnberger Zeitungen von den „Martin-Brüdern“ zu lesen gewesen war. „Wir waren alle Straßenfußballer“, erklärt uns der blonde Franz, mit 54 der jüngere, die Ursprünge jener Zeit, als dieser FC Miltach nicht nur den Fußball-Landkreis elektrisierte. Mit allen Kriegsschauplätzen nebenher. Seine Kopfball-Stärke habe er mit 15 Jahren entdeckt, röten sich Franz Martins Wangen leicht, beim Bezirksfinale der Schulen in Neutraubling: „Dann habe ich das ganz intensiv trainiert“, schmunzelt der „Franze“ heute. Alle wissen, was sich daraus entwickelt hat. Natürlich war „der Kreis seiner Zeit voraus als Trainer“: Eine hungrige Mannschaft, die ihren Zenit noch nicht erreicht hatte, spielerische Leichtigkeit mit unbändiger Kraft paarte. „Wir sind gerannt wie der Teufel“, rollt der „Bräu-Franze“ die Augen unter der Brille, nicht nur, weil der Kreis auch noch das damals revolutionäre Vitamintränkchen mit reingeworfen hatte. Spätestens der in diesen Breiten damals noch nicht gängige Laktattest hatte es ans Licht gebracht.
Der „Luwa“ sitzt wieder da, hört ebenso andächtig wie feixend zu. Natürlich würden sie es auch über zwei Jahrzehnte danach noch bedauern, dass das mit der Bayernliga 1988 nicht geklappt hatte. Franz Martin hakt ein, es sei schade, dass immer nur dieser wunde Punkt Erwähnung finde, wenn die Rede auf damals käme. „Wir wären sicher Meister geworden“, grätscht der „Luwa“ mit erhobener Stimme dazwischen, wenn er sich damals nicht gegen Weiden am Oberschenkel verletzt hätte, der Schwarz-Tom nicht beim Joggen im Park ausgerutscht wäre, wenn jenes Heimspiel gegen Ansbach gewonnen worden wäre ... Dann hätte es Kelheim nicht gegeben, alles längst vorbei.
Die Geschichte musste damals schließlich weitergehen. „Wir waren die einzigen beiden Landesliga-Spieler, die in die Bayernauswahl berufen worden sind“, witzelt Franz Martin heute, dass er sich damals verletzt hatte und Top-Stürmer Thomas Schwarz deswegen absagte, weil er nicht alleine nach München fahren wollte. Ludwig Martin fügt mit breitem Grinsen jene Anekdote an, warum er nach der Landesliga-Vizemeisterschaft erst in die weiß-blaue Auswahl für den Länderpokal berufen worden war: „Auswahltrainer Klante hat mich gar nicht gekannt. Ich war nur in der Sportschule Grünwald, weil ich einen Trainerschein gemacht habe. Nachher haben wir abseits noch etwas gekickt und der Klante hat zugeschaut“. Ludwig Martin feixt: „Ich brauche einen Linksfuß“, soll Klante gesagt haben. „Okay, Zeit habe ich“, habe Ludwig Martin geantwortet. Damals ging das.
„Wir waren alle Straßenfußballer.“ Franz Martin
„Das ist alles nur noch Show.“ Ludwig Martin
Als die Führung des Erzrivalen FC Kötzting auf die Schnelle im Sommer einen neuen Trainer brauchte, nach Kohlhäufl, vor Kittel, wäre es der absolute Pestige-Knaller gewesen, einen Franz Martin zu verpflichten. Ernst war‘s ihm nicht, versichert Franz Martin, er wollte aber in Scheinverhandlungen die damaligen Tarife eruieren. Doch die Gegenseite ließ sich nichts entlocken. So war das Thema ganz schnell durch. Nach dem schief gegangen Trainer-Engagement in Steinbühl „habe ich die Sporttasche ins Eck gefeuert und habe gesagt, das war‘s, nie mehr“ – und weil Querdenker konsequent sind, war die Abkehr radikal: „Ich habe in einem Preisausschreiben ein Sky-Abo gewonnen und es dann wieder abbestellt, schaue kaum Fußball im Fernsehen. Am Montag suche ich mir in der Zeitung die Ergebnisse meiner Lieblingsvereine und -sportarten“, so die Martinsche Distanz zum täglichen Wahnsinn des modernen Sport-Business. Und: „Ich mag nicht mehr Bus fahren“, schaut Franz Martin auch keine Sportschau am Samstagabend.
„Ich habe in einem Preisausschreiben ein Sky-Abo gewonnen und es dann wieder abbestellt.“ Franz Martin
Mancher mag ihn beneiden: Beruflich gefestigt als Versicherungsmakler, Pferdehalter, Vize-Vorstand des Trachtenvereins, zuvorderst beim Martiniritt, Jäger, Naturschützer, mit klarer Ansage: „Die Kritik an uns Jägern ist vollkommen überzogen, wir schießen die Tiere nur, wenn der Bestand zu groß wird“, sieht sich Franz Martin mehr denn je der Natur verbunden: „Wenn ich mich entspannen will, dann gehe ich in den Wald und genieße das“. Er selbst nennt sich dazu einen Familienmenschen, die beiden erwachsenen Töchter, die ausgerechnet an diesen Abend heimkommen, haben als Volleyballerinnen vom Vater eine klare Ansage bekommen: „Lasst euch durch den Sport nicht vom Beruf aufhalten“, wirkt es, als habe der blonde Hüne wirklich alles satt und hätte sich dennoch eine Karriere als Handballer sehr gut vorstellen können. Nicht nur der Größe wegen. Der „Luwa“ sitzt wieder am Tisch mit lachendem Vergnügen in den Zügen, erzählt uns von seinen post-fußballerischen Freuden. Dass Sohn und Tochter nach diversen beruflichen Erfahrungen ihren Weg gefunden haben, wenngleich Metzgerei und Wirtshaus vollen Einsatz verlangten. Seit fast 15 Jahren habe er nicht mehr gegen einen Ball getreten, irgendwann bist du einfach aus dem Geschäft, sagt der Körper „Nein“ zu Fußball: „Das muss man rechtzeitig erkennen und akzeptieren“. Tennis, Radfahren und Tischtennis sind trotzdem nicht ohne Ausflüsse des Wettbewerbs, denen man sich auch auf unterster Ebene nicht gänzlich entziehen könne.