2024-04-24T13:20:38.835Z

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Der "Jagdkreis" des FC Wiesbaden 62 (Foto:FC Wiesbaden 62)
Der "Jagdkreis" des FC Wiesbaden 62 (Foto:FC Wiesbaden 62)

"Wir sind alle Wiesbadener"

Serie: Ethnische Vereine (zweiter Teil) +++ FC Wiesbaden 62

Wiesbaden. Egal ob aus der Türkei, Syrien, dem Irak oder Iran: Kurden kommen aus verschiedenen Ländern nach Deutschland. Denn das Siedlungsgebiet „Kurdistan“ erstreckt sich über diese vier Länder und ist flächenmäßig fast so groß wie die Bundesrepublik. In Deutschland sind es vor allem türkische Kurden, die infolge des deutsch-türkischen Anwerbevertrags von 1961 ins Land kamen. Über 9699 Türken mit türkischer Staatsangehörigkeit leben in Wiesbaden (Stand: 31.12.14), unter ihnen viele Kurden. Deshalb gibt es auch in Wiesbaden kurdische Fußballvereine: Da wäre zum Beispiel der SKC Munzur, oder aber auch der FC Wiesbaden 62. Doch während die einen aus einem Kulturverein entstanden sind, will sich Wiesbaden 62 ein anderes Image aufbauen.

Wer in seinem Verein unzufrieden ist, der kann wechseln oder hört irgendwann auf mit dem Sport. Eine dritte, sicherlich nicht für jeden infrage kommende Option: einen eigenen Verein gründen. Genau das haben Cemal Kaya, Omer Muminovic und andere aus dem Vorstand des 2012 gegründeten FC Wiesbaden 62 getan – und das mit Erfolg. Denn inzwischen ist der Verein zum zweiten Mal infolge aufgestiegen und spielt in der kommenden Saison in der Wiesbadener Kreisliga A. Doch die Truppe von 62 kam nicht etwa zusammen, um einen Fußball spielenden Kulturclub zu gründen, sondern aus der Freude am Sport: „Wir haben den Verein just-for-fun gegründet, weil wir der Meinung waren, wir könnten das auch“, erklärt Mitbegründer Kaya.

Wiesbadener mit kurdischen Wurzeln

Viele der Vereinsgründer und Mitglieder von Wiesbaden 62 haben einen langen Fußballer-Lebenslauf vorzuweisen. Die meisten haben bereits für diverse deutsche Vereine gekickt, und auch zu ausländischen Mannschaften hat es den ein oder anderen gezogen: „Ein paar von uns waren kurzzeitig im Vorstand von Munzur, aber das hat uns irgendwann nicht mehr gefallen“, sagt Kaya. Mit dem SKC Munzur verbindet den FC Wiesbaden die Herkunft: Beide Vereine wurden von Kurden gegründet. Die im Vereinsnamen integrierte Zahl 62 weist auf das Autokennzeichen der Provinz Tunceli (ursprünglich Dersim), doch „das Kurdische steht nicht im Vordergrund, sondern der Spaß am Fußball. Wir im Vorstand sind alle Wiesbadener, viele Mitglieder kommen aber aus Tunceli“, erklärt Kaya. Auch der Steinbock im Wappen verweist auf die kurdische Herkunft: „In der Bergregion gibt es viele Steinböcke, sie dürfen nicht gejagt werden“, sagt Kaya. Doch trotz der vielen Bezüge zum Heimatland gilt: Vereinssprache ist deutsch. Denn nicht nur Kurden, sondern auch Serben, Russen, Bosnier, Afghanen, Deutsche, Marokkaner oder Vietnamesen spielen bei den 62ern. Ziel sei es, jüngere Spieler dazuzugewinnen und etwas auf die Beine zu stellen: „Religion und Herkunft interessieren uns nicht, man muss bei uns nur Mensch sein“, verspricht Kaya. Auch Schweinefleisch und Bier seien erlaubt, doch gleichzeitig gibt es gläubige Moslems in der Mannschaft: „Jeder muss den anderen respektieren, wer das nicht tut, ist falsch bei uns“, sagt der 41-Jährige.

Fremdenfeindlichkeit und Neid

Doch umgekehrt hat der Verein in der Vergangenheit auch Erfahrungen mit Menschen machen müssen, die weniger tolerant waren: „Vor allem bei älteren deutschen Schiedsrichtern gab es gewisse Vorbehalte gegen den Verein, weil die Gründer Türken sind. Seit ich die Betreuung übernommen habe, verhalten sie sich uns gegenüber auch auf dem Platz anders“, sagt Thomas Krechel, Sportlicher Leiter seit diesem Jahr. Das wisse der Deutsche, weil er schon vor seinem Engagement regelmäßig die Spiele des FC Wiesbaden verfolgt habe. Doch Fremdenfeindlichkeit ist nicht das Einzige, worüber sich Vereinsführung und Spieler ärgern. Es kursieren auch Gerüchte, dass der Verein seine Mannschaft großzügig entlohnen würde. Doch Spieler Tolga Yildiz wiederspricht dem: „Wir spielen alle ohne Bezahlung und viele kommen von weit her.“ Trotzdem bekäme der junge Verein oft Anfragen von Spielern, die sich einen lukrativen Nebenverdienst erhoffen. Doch außer einem Haarschnitt oder einem Essen von Sponsoren würden die Kicker nichts bekommen: „Irgendwann ging uns das so sehr auf die Nerven, dass wir aus Spaß gesagt haben, dass wir viel verdienen“, sagt der ehemalige Spielertrainer Omer Muminovic, der inzwischen aus privaten Gründen zur SG Orlen gewechselt ist.

„Jagdkreis“ gibt Zielrichtung vor

Doch von all dem Ärger neben dem Platz scheint sich der FC Wiesbaden 62 nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, im Gegenteil: Der Verein wirkt, als würde er dadurch noch mehr angespornt. Beispielhaft dafür ist der „Jagdkreis“, der Schlachtruf der 62er, in dem nach der Partie ein Spieler oder vereinsnaher Zuschauer ausgewählt wird, und die Parole anzusagen: „Wir jagen gewissermaßen die Tabellenspitze, der Gegner soll sich immer unwohl fühlen“, erklärt das neue Trainerduo Ilhan Üc und Jasmin Gugic. Der FC Wiesbaden 62 will sportlich hoch hinaus – der Spaß am Sport soll erhalten bleiben.

Wie der "Jagdkreis" aussieht, könnt Ihr hier sehen:

https://www.facebook.com/video.php?v=706042589479934&set=vb.352044044879792&type=2&theater

Steckbrief – FC Wiesbaden 62

Gründung: 2012

Gründernationalität: Türkisch/Kurdisch

Mitglieder: ca. 30

Größter sportlicher Erfolg: Aufstieg in die A-Liga 2015/16

Sportplatz: Wiesbaden, Lahnstraße

Aktuelle Ligazugehörigkeit: Kreisliga A

Aufrufe: 01.9.2015, 08:00 Uhr
Natascha GroßAutor