2024-04-25T14:35:39.956Z

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FIFA-Schiedsrichter Guido Kleve wohnt in Hoffnungsthal. Sein Sohn spielt Fußball beim TV Hoffnungsthal. Nun stand er im Vereinsheim Rede und Antwort zu seinen Erfahrungen als Referee. Foto: Bucco
FIFA-Schiedsrichter Guido Kleve wohnt in Hoffnungsthal. Sein Sohn spielt Fußball beim TV Hoffnungsthal. Nun stand er im Vereinsheim Rede und Antwort zu seinen Erfahrungen als Referee. Foto: Bucco

"Wir Schiedsrichter sind auch Sportler"

FIFA-Schiedsrichter Guido Kleve aus Hoffnungsthal schafft den Spagat zwischen Kanzlei und Seitenlinie

Er stand einem aufbrausenden Jürgen Klopp Auge in Auge gegenüber. Er war als vierter Offizieller dabei, als Leverkusens Ex-Trainer Roger Schmidt im ersten Spiel nach seiner „Ich-geh-nicht-vom-Platz-Sperre” seinen Job wieder aufnahm. Er rannte Spaniens Nationaltrainer Vincente del Bosque an der Seitenlinie über den Haufen. Jetzt stand Guido Kleve im Jugendheim des TV Hoffnungsthal vor Sponsoren, Trainern und Jungschiedsrichtern. Der Rechtsanwalt spricht über Führung, Wahrnehmung, Verantwortung und Entscheidungen, die in Sekundenbruchteilen im höchsten Stress gefällt werden.

Herr Kleve, Sie waren damals beim Spiel zwischen Frankfurt und Dortmund 2012 als Vierter Offizieller ein „Wut-Opfer” von Jürgen Klopp. Die Bilder wanderten um die Welt . . .

Guido Kleve:… dabei ging es um eine ganz banale Entscheidung, einen Freistoß im Mittelfeld, glaube ich. Aber er stand so unter Druck und musste diesen entladen. Ich war derjenige, der in der Nähe war.

Wie konnten Sie dabei selber so ruhig bleiben?

Kleve: Es ist erst mal wichtig, dass man vom eigenen Gemüt eine ausgeglichene Person ist und die Rolle als vierter Offizieller auch so wahrnimmt. Da wir uns vor den Begegnungen auf die Mannschaften einstellen, war ich zwar überrascht, aber zumindest reaktionsfähig. Dann geht es darum, Aggressivitäten nicht widerzuspiegeln, sondern sich selber unter Kontrolle zu haben, Ruhe aufzunehmen und eine Entscheidung zu treffen, die dann auch richtig und nachvollziehbar ist.

Im Fall Klopp. . .

Kleve: . .halfen leider keine beruhigenden Worte mehr, sondern auch in der Nachspielzeit nur ein Verweis auf die Tribüne. Denn diese Szene sah ganz Fußball-Deutschland. Es musste ein klares Zeichen gesetzt werden. Bis hierhin und nicht weiter. Mir war klar: Wenn ich hier nicht eingreife, haben wir das demnächst in jedem anderen Stadion oder, noch schlimmer, auf den Amateurspielplätzen.

Roger Schmidt war nach seiner Sperre auch kurz davor, bei ihnen einen „Auftritt” zu haben. Sie haben diesen verhindert. Wie gehen Sie damit um?

Kleve: Ich wusste, dass er unter Druck stand und hatte volles Verständnis für die Situation. Ich habe zu ihm gesagt: Alle Kameras schauen jetzt auf uns. Kommen Sie, wir gehen drei Meter zurück und reden in Ruhe. Das hat er gemacht, und alles war gut. Das war eine schützende Funktion, die ich eingenommen habe.

Sie stehen als Schiedsrichterassistent mit dem Rücken zum Publikum. Bekommen Sie alles mit?

Kleve: Natürlich bekommt man die Stimmung mit. Ist sie positiv, oder aufgeheizt. Man hat eine Hintergrundkulisse, die man dann aber abstellen muss und sich auf den Platz konzentriert. Das läuft wie im Tunnel ab.

Wie läuft die Entscheidungsfindung bei kniffligen Situationen ab?

Kleve: Ein großer Faktor ist die Erfahrung, die ich habe. Wir Schiedsrichter kennen die Laufwege der Spieler wie zum Beispiel von Aubameyang oder Robben, können so vorausahnen, was passiert. Damit ich einen Wimpernschlag mehr Zeit zum Verarbeiten habe, führe ich die Fahne in der linken Hand, damit ich sie nicht spontan mit rechts hochreiße. Der Wechsel gibt mir einen kleinen Moment zum Nachdenken.

Sie waren 2015 beim EM-Qualifikationsspiel zwischen Montenegro und Russland dabei, das wegen Zuschauerausschreitungen abgebrochen werden musste. Wurden Sie schon einmal zur Zielscheibe von Wurfgeschossen?

Kleve: Ich hatte das Glück, dass ich bisher nie getroffen worden bin. Es gibt Kollegen und Spieler, die schon verletzt worden sind. Und daher können wir immer nur warnen: So etwas ist höchst verwerflich und wird als Körperverletzung gewertet. Die bedauerlichen Szenen beim Relegationsspiel bei 1860 München dienen als warnendes Beispiel. Sie schaden dem Ansehen des Fußballs.

Hören Sie, was einzelne Fans von draußen reinbrüllen?

Kleve: Eigentlich nicht, weil ich mich auf die Kommunikation mit dem Schiedsrichter konzentrieren muss und das Spiel beobachte.

Dabei haben Sie sogar einmal Spaniens Nationaltrainer del Bosque umgerannt.

Kleve: Ja, er stand zu nah am Spielfeldrand. Aber es war nichts passiert. Wir haben uns abgeklatscht und konnten beide sofort weitermachen.

Wenn Sie selber Fußball spielen, haben Sie sich schon einmal über den Schiri aufgeregt?

Kleve: Ich spiele selber nur noch in der Hobby-Mannschaft unserer Kanzlei, kann aber verstehen, dass Zuschauer und Spieler sich emotionalisieren lassen. Das gehört auch dazu, aber es muss in einem Rahmen bleiben. Solange Respekt und Fairplay im Vordergrund stehen, akzeptiere ich auch Kritik, selbst wenn sie schelmisch ist.

Passt das zusammen: Anwalt und Schiedsrichter?

Kleve: Ja, weil ein Stück weit dieser Gerechtigkeitssinn in beiden Welten eine große Rolle spielt. So war es vielleicht kein Zufall, dass ich Jura studiert habe. Jetzt hilft mir die Erfahrung aus den Spielen, in meiner beratenden Tätigkeit als Anwalt für meine Mandanten in Krisensituationen den Druck abfedern zu können oder wirtschaftlich bedeutende Entscheidungen zu begleiten. Zudem berate ich im Sportrecht, das ist eine ganz gute Kombination.

Kleve: Sie trainieren wie ein Leistungssportler. Wie sieht es mit der mentalen Fitness aus?

Es gibt Schulungsprogramme, auch multimedial. Wir trainieren unsere Sichtfelder und Reaktionsfähigkeit am Computer. Es gibt wöchentlich eine Video-Darstellung des DFB, wo bestimmte Situationen gezeigt werden. Wir haben mittlerweile sogar sportpsychologische Betreuung. Wir sind dem Leistungssport schon sehr nahe. Es läuft sehr professionell ab.

Warum setzen Sie sich dem Stress neben Ihrem Beruf aus?

Kleve: Wir Schiedsrichter sind auch Sportler. Da gilt auch: Höher, schneller, weiter. Da ist dann der Ehrgeiz, in möglichst hohe sportliche Regionen vorzudringen oder bedeutende Spiele leiten zu dürfen.

Und am Saison-Ende gibt es ein Zeugnis?

Kleve: Ja, das kann man so ausdrücken. Bei jedem Spiel ist ein Schiri-Beobachter, der direkt nach Abpfiff mit uns die Szenen durchgeht und auch bewertet. Es werden regelmäßig Leistungstests durchgeführt. Wir treffen uns mehrmals im Jahr mit allen Schiedsrichtern. Das nächste Mal in wenigen Wochen am Chiemsee, um uns auf die neue Saison vorzubereiten.

Aufrufe: 021.6.2017, 12:00 Uhr
KSTA-KR/Christian Knop und Sven KrämerAutor