2024-04-23T13:35:06.289Z

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Martin Schneider ud Belá Réthy.
Martin Schneider ud Belá Réthy.

Wie ein altes Ehepaar

Das WM-Tagebuch von Martin Schneider (ZDF) in der Wuppertaler Rundschau

Letzte Meldung vom Zuckerhut: Béla Réthy, ZDF-Kommentator bei Deutschlands Sensationssieg gegen Brasilien, zieht im Gespräch unter Freunden sein WM-Fazit – und ist sich ganz sicher: Deutschland wird Weltmeister!

Seit fast fünf Wochen sind wir nun gemeinsam in Brasilien unterwegs. Wir reisen durch ein Land, in dem Béla Réthy als Sohn ungarischer Auswanderer die ersten zehn Jahre seines Lebens verbracht hat. Es ist unser zehntes großes Fußballturnier – und so kommen einem die Gewohnheiten und Macken des Anderen manchmal genauso vertraut vor wie die eines Ehepartners. Das Gespräch führen wir beim Abendessen in Belo Horizonte, einen Tag nach dem unglaublichen 7:1 von Deutschland gegen Brasilien, das Béla für das ZDF mit mir an seiner Seite kommentiert hat.

Ist das Spiel für Dich nun mit etwas Abstand fassbarer oder glaubhafter geworden?

Réthy: Nein, immer noch nicht. Die Deutschen waren für mich zwar klarer Favorit, aber vom Spielverlauf fühlte ich mich irgendwann genauso überrollt wie sich die brasilianischen Spieler vorgekommen sein müssen. Da hat eine Mannschaft gegen ein Torso gespielt, viel mehr an Analyse gibt es da einfach nicht zu sagen.

Vier Personen in England haben auf dieses Ergebnis gewettet und mit einer Quote von 1.000 zu 1 einen satten Gewinn gemacht. Aber wahrscheinlich saßen die mit den gleichen offenen Mündern vorm Fernseher wie Tausende beim Public Viewing oder wir im Stadion. Irgendwann war ja mehr Mitgefühl als Jubel in einem verankert.

Réthy: Stimmt. Nach dem 3:0 habe ich mich mit Emotionen auch zurückgehalten, gar nicht bewusst, aber mir war danach. Mitleid und Demütigung sind ja das Schlimmste, was du im Sport erleben kannst. Ich hatte eigentlich gedacht, nach 22 Jahren als Live-Reporter hätte ich im Fußball alles erlebt. Dem ist offenbar nicht so, und das macht auch einen Teil der Faszination unseres Berufes aus

Nach mehr als einem Monat in Brasilien fällt unsere private Bilanz so aus: Rethy hat zwei Drucker verschlissen, zwei Internet-Hot-Spots haben den Geist aufgegeben, und etliche Ladekabel mussten immer wieder neu besorgt werden. Schneider hat ’ne Bronchitis überstanden und einen Kosmetikbeutel irgendwo vergessen. Auf die Werte der gelaufenen Kilometer und getrunkenen Caipirinhas warten wir noch! Bei uns beiden ist nach dem südamerikanischen Durcheinander allerdings die Sehnsucht nach deutscher Ordnung groß. Deutschland-Argentinien. Zum dritten Mal gibt es dieses WM-Finale. Ich kann mir momentan kein Szenario ausmalen, nach dem Deutschland nicht diesen verdammten Pokal holt. Du?

Rethy: Deutschland brauchte dieses 7:1 nicht für das Selbstvertrauen, was man schon daran sieht, dass danach alle auf dem sprichwörtlichen Teppich geblieben sind. Natürlich hat Argentinien Messi, Mascherano und Higuain, aber wir haben das bessere Kollektiv, werden zum vierten Mal Weltmeister, als erste Europäer auf dem amerikanischen Kontinent.

Die FIFA wird jetzt wieder sagen, das war die beste WM aller Zeiten. Ein Standardsatz, der fast genauso unvermeidlich ist wie der nächste Regentag in Wuppertal. Wie fällt für Dich die Bilanz dieser WM aus?

Rethy: Organisatorisch war ich überrascht, es hat ja nur an nervigen Details geklemmt. Ich hätte nicht gedacht, dass die Brasilianer alles so gut über die Bühne bringen würden. Fußballerisch hat mich die Vorrunde überzeugt, während die K.o.-Spiele mit Ausnahme unseres Halbfinals doch etwas zu sehr dem Ergebnissport glichen. Jeder wusste, eine Aktion kann ein Spiel entscheiden. Daran sind ja zum Beispiel unsere orangefarbenen Nachbarn gescheitert.

Ach ja: Ich bin Dir noch den Zwischenstand unseres privaten Tippspiels schuldig. Ich liege haushoch und uneinholbar in Führung!

Rethy: Das ist so wie mit den Engländern, die auf 7:1 gewettet haben. Keine Ahnung, dafür aber Schwein gehabt. Nein, ich freue mich, Dich demnächst zum Essen einladen zu dürfen.

Unsere Wege haben sich am Donnerstag getrennt. Béla musste dienstlich nach Rio, ich bin noch für das überflüssige Spiel um Platz 3 in Brasilia eingeteilt. Vielleicht war es unser letztes gemeinsames Turnier, möglicherweise warten andere Aufgaben auf mich. Wenn es so kommen sollte, schließt sich ein Kreis: 1996 gewann Deutschland den letzten Titel, wir waren in England zum ersten Mal gemeinsam unterwegs. Und morgen steige ich nach dem deutschen WM-Triumph in den Flieger mit dem Kranich drauf. Und das alte „Fußball-Paar“ war noch mal dabei.

Bis demnächst im Tal!

Wuppertaler Rundschau Sport

Aufrufe: 013.7.2014, 12:19 Uhr
Wuppertaler RundschauAutor