2024-05-02T16:12:49.858Z

Ratgeber Medizin

Wenn der Muskel reißt, hilft erst einmal PECH

"Gesundheit im Fußball" Teil 1: Muskelfaserriss

Diego Costa von Atletico Madrid geht in der 8. Minute des Champions-League- Finales gegen Real k.o. und muss ausgewechselt werden. Dumm gelaufen, dass der Versuch einer Blitzheilung mithilfe einer Wunderheilerin gründlich daneben geht. Der Muskelfaseriss ist eine schwere Verletzung des Muskelapparats, die selbst bei den Profis seine Zeit braucht.

Dieser Beitrag enthält Expertenmeinungen von:
Dr. med. Holger Alex
Dr. Alex arbeitet als Chefarzt für den Fachbereich Orthopädie im St. Bonifatiushospital in Lingen und im Hümmling Hospital in Sögel. Er ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, für spezielle Orthopädische Chirurgie und Chirotherapie.

Dr. med. Claus-Dieter Asche
Dr. Asche ist Chefarzt der Fachklinik für orthopädische und traumatologische Rehabilitation in der MediClin Hedon Klinik in Lingen. Er ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, sowie für Chirotherapie, Sportmedizin und Physikalische Therapie.

Grundlagen
Verletzungen der Muskulatur zählen zu den häufigsten Sportverletzungen. Oft zerreißt ein Teil des Gewebes infolge unzureichenden Aufwärmens und unkontrollierter Bewegungen durch Überdehnung. Beliebte Stellen für Muskelzerrungen/ -faserrisse sind die Waden-, Leisten- und Oberschenkelmuskeln. Wenn man von einer Muskelzerrung spricht, ist ein leichter Muskelfaserriss gemeint. Das Prinzip ist dasselbe, nur ist die Ausprägung bei einem Riss schlimmer.

Grundsätzlich setzt sich ein Muskel aus Bündeln zusammen. Jedes Bündel besteht aus Fasern, jede Faser wiederum aus Fibrillen. Die Fibrillen werden schließlich von Filamenten gebildet, die vereinfacht gesagt im Zusammenspiel mit den Nerven des Muskels seine An- und Entspannung ermöglichen.


Wie kommt es nun zu einem Muskelfaserriss?

Zu einem Muskelfaserriss kommt es, wenn der Muskel gegen seine Anspannung oder in einem unvorbereiteten Moment plötzlich gestreckt wird. So kann es beim Grätschen dazu kommen, dass die begrenzte Elastizität der Muskelfasern überbeansprucht wird und eine Muskelzerrung, ein Muskelfaserriss oder im schlimmsten Fall ein Riss des kompletten Muskels die Folge ist.
Abrupte Belastungen und grobe Gewalteinwirkungen können auch zum Muskelschaden führen. Habt ihr Euch nicht genügend warm gemacht, sind Eure Muskelgruppen zu ungenau aufeinander abgestimmt und höhere Leistungsanforderungen eigentlich noch nicht abrufbereit. Gibt man dennoch Vollgas, kommt es zu Differenzen im Zusammenspiel der Muskeln und übermäßige Zugkräfte entstehen.
Auch wenn die Muskeln zu schwach oder zu einseitig trainiert sind, begünstigt dies Risse. Verhärtungen der Muskeln bereiten manchmal Probleme. Sie sind nichts anderes als Verspannungen durch körperliche Überbelastungen und durch zu viel Sport, Stress oder Fehlhaltungen. Dann helfen nur noch Trainingspausen, Massagen und Wärme. Letzteres fördert die Muskeldurchblutung und reduziert die Beschwerden.
Besonders die Eifrigen unter Euch vergessen, dass die Muskulatur bei hohen Trainingsanforderungen ermüdet, viel Flüssigkeit und Mineralstoffe braucht. Werden diese Verluste nicht rechtzeitig kompensiert, kann der Muskel nicht vernünftig arbeiten und Verletzungen sind vorprogrammiert.
Ein wichtiger Hinweis: vermutlich verlangsamt übermäßiger Alkoholgenuss die Muskelproteinbildung. Das stört nicht nur den Muskelaufbau, sondern verlangsamt bei Verletzungen den Heilungsprozess! Alkohol hat zudem viele Kalorien und schwächt Euer Immunsystem. So können sich leicht Entzündungen in die Verletzung einschleichen. Also, auch wenn der Frust groß ist; als Sportler am besten generell auf regelmäßigen Alkoholkonsum verzichten.


Das typische Unfallmuster

  • plötzliche, unkoordinierte Bewegungen im Eifer des Gefechts
  • Absprünge, gestrecktes Bein, Grätsche
  • Stürze mit unnatürlicher Beinstellung
  • übermäßige Streckung des Beins, um den Ball noch zu erreichen
  • Auftreffen eines hohen Balls auf die Fußspitze
  • Ausfallschritte, Spreizschritte
  • übermäßige Rotationsbewegungen
  • falsche Lauf-, Sprint- oder Schusstechnik
  • ungewohnter, unebener Boden
  • minderwertige, unzureichende Ausrüstung
  • kalte Außentemperaturen

Wie merke ich, dass was kaputt gegangen ist?
Anzeichen sind plötzlich einsetzende ziehende- stichartige Schmerzen. Möglicherweise bilden sich eine Beule und/ oder ein Bluterguss, da nicht selten kleine Blutgefäße mit einreißen. Die Anspannung des Muskels ist jetzt nur noch unter Schmerzen möglich.
Schwere Muskelfaserrisse bluten nicht nur unter der Haut sondern auch im Muskel. Dann schmerzt es unglücklicherweise auch in Ruhe, ganz ohne Belastung. Grund dafür ist, dass das Bein durch Bindegewebsschichten in verschiedene Räume eingeteilt ist. Sammelt sich nun Flüssigkeit/ Blut an, entsteht ein höherer Druck, die Nerven werden gereizt und können schlimmstenfalls ausfallen.
Nicht zu vergessen ist, dass bei einem Sportunfall das Stresshormon Adrenalin ausgeschüttet wird. Es ist in unserem Körper dafür zuständig, den Fluchtreflex auszulösen und Schmerzen erträglich zu machen. Gefährliche Situation, denn es kann Euch zum Weiterspielen veranlassen. Spieler die sich in diesem Moment falsch und unvernünftig einschätzen, verschlimmern eine leichte Verletzung meist erheblich.

Untersuchung durch den Arzt
Der Arzt befragt Euch zum Unfallhergang und tastet das Verletzungsareal ab. Anhand dessen kann er abschätzen welche Verletzung ihr Euch zugezogen habt. Ein Ultraschall (Sonogramm) zeigt, ob der Muskel gerissen ist und wie groß der Bluterguss ist. Durch Muskelfunktionstests lassen sich die Muskeln und Nerven im Bereich der Verletzung überprüfen. Ist die Diagnose nicht sicher zu stellen, kann eine Magnetresonanztomographie (MRT) den Muskel und den Bluterguss recht eindeutig beurteilen. Diese ist aber nur notwendig, wenn man eine schwere Verletzungsform annimmt (Muskelabriss oder sehr viel Blut in Muskelraum), die vielleicht sogar operiert werden muss. In diesem Fall rät Dr. med. Holger Alex, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie: „Große Blutergüsse sollten im individuellen Fall entlastet werden, da dies den Heilungsverlauf beschleunigen kann.“


Wie wird ein Muskelfaserriss behandelt?
Über die alles entscheidende Erstversorgungsmaßnahme, sind sich unsere Experten einig: die „PECH“- Regel! Viele Betreuer und medizinisch versierte in Eurem Team wissen, was PECH bedeutet: Pause, Eis, Compression, Hochlagern. Gekühlt werden sollte für mindestens 15 Minuten und legt das Eis nie direkt auf die Haut (Eisspray nur mit Abstand aufsprühen!). Kälteschäden der Haut sind schmerzhaft und hinterlassen Narben.

PECH-Schema:
P = Pause (Schonung, Abbruch der körperlichen Aktivität)
E = Eis (Kühlung der betroffenen Region)
C = Compression (Anlegen eines Druckverbandes)
H = Hochlagerung der betroffenen Extremität

Ist der Schock erstmal verdaut, gilt nach unseren Spezialisten weiterhin: entlasten, ruhigstellen, schonen, nasskalte Verbände, Kompressionsverbände, Sportsalben oder Gele und Medikamente, die die Entzündung und Schmerzen hemmen. Trotzdem: Der Arzt behandelt immer individuell! Zudem gilt laut Dr. med. Claus-Dieter Asche für die Planung der Behandlung: „Das Leistungsniveau eines Sportlers hat Einfluss auf die Intensität der Behandlung.“

Operiert werden muss nur im Ausnahmefall. Dr. med. Asche weist dennoch darauf hin, dass eine operative Befestigung sinnvoll sein kann, wenn die Muskelsehne am Knochen nicht mehr hält oder der Muskel nicht mehr funktionsfähig ist. Sie sollte wenn möglichst zeitnah geschehen, da Narbengewebe den Eingriff erschwert.

Rehabilitationsmaßnahmen
Selbst wenn bei Euch ein Muskelfaserbündel gerissen ist, merkt ihr nicht unbedingt einen Kraftverlust. Der Muskel ist meistens stark genug den Ausfall eines Bündels zu kompensieren. Während der Schonungsphase vernarbt das Muskelgewebe und bleibt funktionstüchtig.
Ihr dürft und sollt Euch bewegen ABER als Maßstab gilt immer Beschwerdefreiheit: Erlaubt ist, was keine Schmerzen bereitet!
Bei schweren Rissen weisen die Ärzte im Interview darauf hin, die konservativen Behandlungsmaßnahmen voll auszuschöpfen, um die Regeneration zu fördern. Dazu zählen: Physiotherapie, Lymphdrainage, langsamer Bewegungsaufbau, milde lokale Wärme und Bewegungstherapie. Hin und wieder kommen Behandlungen mit Ultraschall, Elektrotherapie oder Gleichstromtherapie hinzu.

Wann kann es endlich wieder losgehen?
Langjährige Amateurkicker kennen ihren Körper in der Regel sehr gut und können sich einschätzen. Das gilt sowohl für den Moment, indem sie sich die Verletzung zuziehen, als auch für die Wahl des Zeitpunktes, in der es nach einer drei bis zwölfwöchigen Zwangspause wieder mit dem Training losgehen kann. Grundsätzlich sollte das gemeinsam mit dem behandelnden Arzt entscheiden werden. Vor einer zu frühen Belastung ist aufgrund der Gefahr, dass der Muskel erneut reißt, zu warnen. Der Körper muss stufenweise an Belastung gewöhnt werden. Zu Beginn wird von unseren Fachexperten langsames bewusstes Gehen, schwimmen und Radfahren befürwortet.

Wie schütze ich mich vor einem Muskelfaserriss?

Wir halten fest: Sicherster Schutz vor einer Muskelverletzung ist eine ausgewogene Muskelspannung. Dr. med. Asche: „Dehnübungen werden umso wichtiger, je intensiver die Trainingsbelastung ist, gerade beim Kraft- und Schnellkrafttraining im Fußball.“ Er verweist auf ein kurzes Andehnen nach entsprechender Aufwärmphase und betont: „Ein 2-3x wöchentlich erforderliches Dehnungsprogramm sollte stets im Anschluss an eine Trainingsphase und nicht vor Belastung erfolgen.“
Durch mangelnde Dehnung nach dem Training kommt es zur Verkürzung der Muskelsehen. Kräfte wirken dann gebündelt, schnell kann der Muskel dadurch überdehnen und auch reißen. Auf das entsprechende Gelenk wirken nun auch unausgewogene Kräfte. Im schlimmsten Fall ist die Feinabstimmung zwischen den Muskelgruppen gestört und das Gelenk in bestimmten Momenten nicht mehr vor schnellen oder untypischen Bewegungen gestützt. Letztendlich sind die Bänder gefährdet. Spieler sollten Dehnübungen eigenständig und gewissenhaft durchführen.

Konkrete Übungen
Diverse Aufwärm-, Gymnastik- und Dehnübungen werden im Programm FIFA11+ vorgestellt. Sie gehören nicht nur in die Cooldown- Phase, sondern bedingt auch in die Aufwärmphase zu Beginn des Trainings. Ausgewogene und bewusste Übungen, besonders für die vorderen aber auch für die seitlichen und hinteren Beinmuskeln, sind für Fußballer sehr wichtig.


Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.



Bildquelle: Marc Schmid

Aufrufe: 06.8.2014, 15:00 Uhr
Carolin WengelAutor