2024-04-25T14:35:39.956Z

Ratgeber Medizin
Bei einer Operation wird das Kreuzband durch eine körpereigene Sehne, die mehrfach gedoppelt wird, ersetzt. Das am besten geeignete Transplantat hierzu ist eine Sehne aus dem hinteren Oberschenkel, sagt Dr. Schneider.  Foto: imago
Bei einer Operation wird das Kreuzband durch eine körpereigene Sehne, die mehrfach gedoppelt wird, ersetzt. Das am besten geeignete Transplantat hierzu ist eine Sehne aus dem hinteren Oberschenkel, sagt Dr. Schneider. Foto: imago

Wenn das Kreuzband reißt

Dr. Jan Schneider erklärt, wie operiert wird und wann das Knie wieder voll belastet werden kann

Nicht nur Spitzenathleten trifft es. Auch bei Hobbysportlern reißen Bänder, Sehnen und Muskeln. In der Serie „Sprechstunde“ geben Allgäuer Sportärzte und Orthopäden Tipps, wann operiert oder konservativ behandelt werden kann. Wir fragten Dr. Jan Schneider über die Probleme, die entstehen, wenn das Kreuzband verletzt ist.
Warum sind Kreuzbandrisse so häufig?

Schneider: Die mit Abstand häufigsten Sportverletzungen betreffen das Kniegelenk. Werden Bänder am Kniegelenk verletzt, ist wiederum mit über 40 Prozent am meisten das vordere Kreuzband betroffen. Statistisch gesehen sind die gefährlichsten Sportarten für eine Kreuzbandverletzung Fußball und alpiner Skisport. Nachdem diese zu den beliebtesten Breitensportarten in Deutschland gehören, erklärt sich die Häufigkeit dieser Verletzungen.

Hat das auch mit der Taillierung der Ski zu tun, die vorne und hinten breit und in der Mitte schmal sind und enge Kurvenradien ermöglichen, bei denen gewaltige Zentrifugalkräfte entstehen?

Schneider: Die Carving-Technik und die damit verbundene höhere Kurvenbeschleunigung haben zu einer größeren Belastung der Kniegelenke vor allem durch höhere Drehmomente geführt. Trotzdem folgen auch die Knieverletzungen dem allgemeinen Trend der Skisportverletzungen mit leichtem Rückgang in den letzten Jahren. Man erklärt dies durch verbessertes Ski- und Protektionsmaterial sowie bessere Pistenpräparation und -absicherung.

Wie kommt es zu einem Riss des Kreuzbandes?

Schneider: Bei den Mannschaftssportarten spielt der Gegnerkontakt eine erhebliche Rolle in der Entstehung von Verletzungen. Fast immer handelt es sich um einen Drehmechanismus unter Gewichtsbelastung. Die Kreuzbänder haben eine maximale Belastbarkeit, wird diese überschritten, reißen sie.

Was sind die Folgen einer Kreuzband-Verletzung?

Schneider: Ist das vordere Kreuzband gerissen, fehlt dem Kniegelenk der wichtigste zentrale Stabilisator. Die meisten Patienten entwickeln ein deutliches subjektives Gefühl der Instabilität, das heißt, das Kniegelenk schnappt zeitweise unkontrolliert weg. Unabhängig davon führt die Instabilität des Knies in den meisten Fällen zu einer Überbelastung der Menisken – das sind die Stoßdämpfer des Knies – und des Gelenkknorpels. Dies bedeutet, es entsteht eine instabilitätsbedingte Abnutzung dieser Strukturen und eine Arthrose, also ein Verschleiß des Gelenkes.

Woran erkenne ich, ob das Kreuzband gerissen ist?

Schneider: Sportler mit einem guten Körpergefühl merken das oft beim Unfall. Etwas später kommen häufig ein deutlicher Bluterguss im Knie dazu und ein Belastungsschmerz. Manche Kreuzbandverletzungen verlaufen hinsichtlich der Schmerzsymptomatik und Einschränkungen aber auch eher unspektakulär, eine Untersuchung beim Orthopäden ist daher unerlässlich.

Muss bei einem Riss des Kreuzbandes in jedem Fall operiert werden oder kann man auch konservativ behandeln?

Schneider: Grundsätzlich muss man schon empfehlen, das vordere Kreuzband als wichtigsten Stabilisator des Kniegelenkes zu reparieren. Die Entscheidung wird jedoch stets individuell, auch in Abhängigkeit vom Alter und sportlichen Aktivitätsgrad des Patienten getroffen. Je jünger und sportlich aktiver ein Patient ist, desto eher muss man eine Operation empfehlen. Zu groß ist die Gefahr, dass sich durch die Instabilität ein frühzeitiger Verschleiß des Gelenkes bildet. Ein Riss des hinteren Kreuzbandes kann im Gegensatz dazu auch sehr gut konservativ ausheilen. Voraussetzung ist jedoch, dass der Riss frühzeitig erkannt und behandelt wird.

Angenommen, eine Operation ist unvermeidlich. Wann ist dann der richtige Zeitpunkt für eine OP? Sofort oder erst nach ein paar Tagen oder Wochen nach dem Riss?

Schneider: Ist die Entscheidung zu einer Operation gefallen, kann frühzeitig operiert werden. Dies umfasst jedoch ein sehr enges Zeitfenster von 48 Stunden nach dem Unfallereignis. Im Leistungssport wird häufig so verfahren, da der Sportler keine weitere Zeit verlieren möchte. Ansonsten muss abgewartet werden, bis das betroffene Knie sich vom Unfall erholt hat, das heißt wieder völlig reizlos, abgeschwollen und frei beweglich ist. Dies ist selten früher als vier bis sechs Wochen nach der Verletzung der Fall. Eine frühere OP bringt eine größere Gefahr von Komplikationen wie vermehrte Vernarbungen und Gelenkverklebungen mit sich.

Und wie wird ein Kreuzbandriss operativ behoben?

Schneider: Ein Kreuzbandriss wird arthroskopisch, das heißt, mithilfe einer Kamera, die sich an einem flexiblen Schlauch befindet, minimal-invasiv, also besonders schonend, operiert. Das Kreuzband wird durch eine körpereigene Sehne, die mehrfach gedoppelt wird, ersetzt. Das am besten geeignete Transplantat hierzu ist eine Sehne aus dem hinteren Oberschenkel, die sogenannte Semitendinosus-Sehne. Die Sehne wird in dafür angelegten kleinen Bohrkanälen im Kniegelenk mit auflösbaren Bioschrauben und kleinen Ankern fixiert und wächst dort ein.

Wie lange dauert die OP und wie riskant ist sie?

Schneider: Ein Kreuzbandersatz wird von einem geübten Operateur in unter einer Stunde durchgeführt. Wie bei jedem chirurgischen Eingriff können in seltenen Fällen Komplikationen wie eine Wundheilungsstörung, Infektion oder Venenthrombose entstehen.

Wie oft kann man ein gerissenes Kreuzband durch körpereigenes Sehnengewebe ersetzen?

Schneider: Kommt es zu einem erneuten Kreuzbandriss, können noch andere Sehnen des Kniegelenkes oder Sehnen der Gegenseite für einen weiteren Kreuzbandersatz verwendet werden. Die stabile Verankerung der Sehnentransplantate im Knochen wird jedoch immer schwieriger, je öfter operiert wird. Meist muss der erneute Kreuzbandersatz in zwei getrennten Operationen erfolgen, um zunächst die Knochenkanäle wieder mit körpereigenem Knochen aufzufüllen.

Wann beginnt die Reha und welche Maßnahmen umfassen sie?

Schneider: Die Reha beginnt im Prinzip sofort nach der Operation. Physiotherapie, koordinatives Training und Muskelaufbau sind für mindestens ein halbes Jahr nach einem Eingriff erforderlich. Die Rehamaßnahmen sind mindestens so wichtig wie die Operation, da die koordinative und muskuläre Stabilisierung des Kniegelenkes einen erheblichen Anteil an der Gesamtstabilität haben. Werden diese vernachlässigt, ist das Risiko für eine erneute Kreuzbandverletzung sehr hoch.

Wann kann man nach einer OP wieder mit dem Sport beginnen?

Schneider: Nach rund sechs Wochen kann mit leichtem Ergometertraining und Aquajogging begonnen werden, ab der 14. Woche nach der Operation ist leichtes Lauftraining bei bereits guter Koordination möglich. Volle sportliche Belastung für Risikosportarten wie Fußball oder Skifahren ist nach frühestens sechs bis acht Monaten erlaubt. Voraussetzung ist jedoch, dass ein vernünftiger Muskelaufbau erfolgt ist.

Welche Sportarten schaden dem Kreuzband denn am meisten?

Schneider: Grundsätzlich schadet keine Sportart dem Kreuzband. Bänder unterliegen auch keinem Verschleiß- oder Abnützungsprozess. Es gibt natürlich Sportarten, die statistisch gesehen ein erhöhtes Risiko für eine Kreuzbandverletzung haben. Hierzu gehören Fußball, Handball, Football und Basketball sowie der alpine Skisport.



Aufrufe: 05.11.2014, 16:24 Uhr
Kaufbeurer Zeitung / Werner KempfAutor