2024-05-10T08:19:16.237Z

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"Weiß der Teufel, wie der Ulrich das macht"

Ulrich Herzog ist mit 49 Stammkeeper des B-Liga-Spitzenreiters St. Jöris – und der Gelenkigste im Team. Seine Ärzte wollten, dass er mit 18 aufhört. Heute spielt Herzog wieder für den Verein, weil er es vor 30 Jahren versprochen hat

Viele sagen, Ulrich Herzog ist ein feiner Kerl, ein guter, ehrlicher Typ. Jemand, der seine Versprechen hält. Das belegt jener Sonntag im Sommer 2013, als Herzog plötzlich beim Training des SV St. Jöris auftauchte, damals noch Fußball-C-Ligist.

„Er kam um die Ecke und meinte: ,Ich will noch mal mit euch aufsteigen‘“, erzählt Rudolf Bittins, heute Co-Trainer und 1. Vorsitzender. Ulrich Herzog hatte schon mal im Westen Eschweilers gespielt, machte für St. Jöris sein erstes Spiel im Seniorenbereich. Kurz darauf verabschiedete er sich nach Gressenich, mit der Ansage an den damaligen Coach Bittins, noch mal wiederzukommen. Heute, 30 Jahre und etliche Stationen als Spieler und Co-Trainer später, mit 49, ist er wieder die Nummer eins. Mit und dank Herzog führt St. Jöris die B-Liga-Tabelle, Gruppe 2, an.

Aber warum spielt Ulrich Herzog in dem Alter noch Fußball, obwohl er doch eigentlich mit 18 aufhören sollte ?

Er steht gerade deswegen noch zwischen den Pfosten. Als ihm damals ein Lungenflügel entnommen wurde, sagten die Ärzte, er solle mit dem Sport aufhören. „Das war mein Antrieb, ich wollte es ihnen zeigen und habe nur ein Jahr Pause gemacht“, sagt Herzog. Er sitzt dabei lässig auf einer Kühltruhe in einem Durchgangsraum des Vereinsheims, und sein Grinsen kann nur bedeuten: Seht her, alles in Ordnung.

Wadenbeinknochen entfernt

Jene Operation war nicht die einzige, die einen weniger Fußballverrückten zum Aufhören gezwungen hätte: Mit 13 hatte Herzog die Diagnose Knochenkrebs erhalten, und deswegen wurde ihm er rechte Wadenbeinknochen entfernt. „Ich habe mich nicht unterkriegen lassen“, sagt er. Da Herzog immer Sport getrieben hat, unter anderem als Teenager beim Volleyball in Langerwehe, kompensierte er den Knochenverlust mit dem richtigen Training. Und außerdem sei das linke sein Sprungbein.

Im Februar wird Herzog 50 und erreicht dann ein Alter, in dem er bei den Alten Herren zum Durchschnitt gehören würde und eigentlich ein paar lockere Einheiten absolvieren könnte, um fit zu bleiben. Aber: „Ich habe keine Motivation für die Alten Herren. Die machen ja nur halben Kram, sage ich mal, aber ich muss um Punkte kämpfen“, sagt Herzog und meint das mit dem „halben Kram“ überhaupt nicht despektierlich. Aber die Zeit sei eben noch nicht reif. Er ist ja immer noch die Nummer eins beim Tabellenführer. Wegen seiner Leistung – und weil der Coach einfach keine Alternative hat. „Wenn der Verein keinen anderen findet und wir aufsteigen, spiele ich auch noch A-Liga“, sagt Herzog. „Aber manchmal habe ich das Gefühl, die wollen hier keinen anderen.“ Und da ist es wieder, dieses Grinsen.

Vor der Saison hat St.-Jöris-Trainer Wilfried Lisowski mit vier potenziellen Keepern gesprochen, aber die wollten alle Geld. „Hier gibt es keinen Pfennig. Die Nummer eins zu sein, ist wohl kein Anreiz mehr“, sagt Lisowski.

Nur acht Mal musste Herzog in dieser Saison in bislang neun Liga-Spielen hinter sich greifen. St. Jöris ist das einzige Team mit weniger als zehn Gegentoren. Das sei aber nicht nur sein Verdienst, sagt Herzog: „Ohne die Mannschaft bist du als Torwart niemand, und wenn du glänzen musst, dann läuft es in der Mannschaft nicht.“ Im vergangenen Jahr lief's überhaupt nicht: Es war nicht Herzogs Saison, sagt Lisowski – das Torverhältnis von 122:74 als Tabellenvierter sagt alles. Der Tabellenletzte Dürwiß kassierte 84 Treffer. „Das war Handball“, sagt Herzog.

Trainer Lisowski kann und will auf seinen Freund Herzog, den er seit 25 Jahren kennt, heute nicht verzichten. „Er erlebt seinen dritten Frühling, Ulrich hat Ehrgeiz ohne Ende“, sagt Lisowski, „gegen Brand und Lammersdorf zum Beispiel hat er die Punkte alleine geholt.“

Auf der Linie sei Herzog überragend, auch in der Halle; ein Phänomen, sagt Rudolf Bittins. Wie er das mache, „weiß der Teufel“. Jeder im Verein bewundert die Qualitäten des Keepers, der in Neuss im Vertrieb eines technischen Großhandels arbeitet. Aber alle sind auch froh, wenn er den Ball wirklich nur mit der Hand berührt. Der Ball und Herzogs Füße passen genauso wenig zusammen wie Geldprämien und die Eschweiler Amateure. „Einen Rückpass kann man nicht spielen“, sagt Lisowski, „der Ball ist immer weg. Wir sind froh, wenn es nur Einwurf für den Gegner gibt.“ Mit den Defiziten müsse man leben, einem fast 50-Jährigen könne er das nicht mehr beibringen.

Herzog, der vor jedem Spiel einen Kaffee trinkt, schwarz und wenig Zucker, weiß um seine Schwächen. Er lacht darüber, aber fußballerisches Talent brauche er auch nicht. Auch kein Aufwärmtraining „mit 80 Bällen, nach denen man springen muss“, weil man danach kaputt ins Spiel geht. Sich locker mit dem Ball vertraut machen, das reicht. Herz, Gefühl und Auge sind seine Stärken, die erst ab 30 richtig zur Geltung kommen würden. „Ab dem Alter wird man erst ein guter Torwart.“

Dass man seinen Sport mit Herzblut leben muss, habe ihm damals, als er mit Mitte 20 in Pumpe bei der Rhenania gespielt hat, sein damaliger Trainer Willi Dupont vorgelebt. Dort hat er fünf Jahre gespielt, von der B-Liga bis zur Verbandsliga, vorrangig als Ersatzkeeper. Egal. „Ich wollte unbedingt zu dieser Mannschaft gehören, es war eine Ehre“, sagt Herzog. „Die jungen Spieler können so etwas heute nicht mehr verstehen.“

Dupont, der seit 16 Jahren kein Trainer mehr ist, erinnert sich gerne an Herzog. „Er war sehr lernwillig, ehrgeizig. Und das Wichtigste: Ulrich hat immer das Herz für den Fußball gezeigt“, sagt er, „auch deswegen ist er heute in dem Alter ein Vorbild für die Jüngeren.“ Ja, und das mit der fehlenden Technik am Ball liege einfach daran, dass es früher nicht trainiert wurde.

Heute sticht Herzog vom Alter her deutlich aus der Mannschaft hervor, der Schnitt liegt bei 26 Jahren. Ist er deshalb ein Einzelgänger, der nicht so tickt wie die junge Garde mit ihren bunten Fußballschuhen? „Uli sieht aus wie 100, ist aber eigentlich 25.“ – „Er ist wie wir!“ – „Nach jedem Spiel lädt er davon direkt neue Fotos bei Facebook hoch, der ist schlimmer als wir.“ – „Er ist der Gelenkigste von allen, vor jedem Spiel macht Ulrich einen Spagat.“ Das sagen seine Mitspieler über Herzog. Auch darüber lacht er. Der Spagat sei sein Ritual, dabei merke er, ob er fit ist. Aber das mit dem Facebook, „das verstehen die Jungens nicht, bei mir geht es um Erinnerungen, um nichts anderes“. Bei diesem Thema ticken die Generationen eben verschieden. Wenn's um die neuesten Schuhe geht, die heute bunter und teuer sind als damals, reagiert Herzog wieder mit seinem sympathischen Grinsen und sagt: „Fußballschuhe für 200 Euro – das sind 400 Mark. Was bringt einem das, wenn man nicht geradeaus treten kann?“

Bei den „Jungens“, wie er sie nennt, fühlt er sich trotzdem wohl, geht auch gerne mit ihnen einen trinken, nach zwei Bier sei aber Schluss. Herzog spielt mit Michael Lisowski (Kapitän und Aushilfskeeper), Christian und Philipp Bittins zusammen, den Söhnen seiner Trainer. „Das ist mit das Schönste am Fußball.“ Solche emotionalen Nebensachen sauge Herzog heute viel mehr auf.

Die schlimmste Frage, die man ihm stellen könne, ist die nach dem Karriereende. „Was soll ich sagen? Wenn es peinlich wird, soll man aufhören. Und ich hoffe, dass ich das früh genug merke.“ Er will noch einige Male in St. Jöris auflaufen, der Rasenplatz sei ein Traum, und das Gefühl „einfach geil“, wenn er seinen Fünfer sieht. Vielleicht bald in der A-Liga.

Aufrufe: 019.10.2016, 13:00 Uhr
Carsten Rose | AZ/ANAutor