Sonntag, kurz vor drei, ein Wolkenteppich drückt auf die drei Fußballplätze am Fuchsloch unterhalb der Kläranlage. A-Klasse acht, der SSV Elektra trifft auf den TSV Südwest II. Siebter gegen Vierzehnten, rund zwanzig Zuschauer lockt das an. Zwei davon müssen die Linienrichter geben, die Fahnen zittern zwischen ihren klammen Fingern. Zwei Bierbänke stehen am Spielfeldrand, darauf Auswechselspieler, ein paar Trainingsjacken, Eiskoffer mit Kühlspray. Neun Wildgänse folgen in einer Keilformation der Pegnitz stadteinwärts, ihr kehliges Rufen vermischt sich mit den Stimmen des Platzes.
„Komm, weitermachen Sascha! Kaltschnäuziger das nächste Mal“, brüllt Peter Vogl. Er muss gerade mit ansehen, wie Sascha und seine Kollegen innerhalb von vier Sekunden drei Möglichkeiten versemmeln. Er rauft sich die Haare, zündet eine Zigarette an. Fünfundzwanzig Minuten sind von der Uhr, sein Team hat Platz im Mittelfeld, hat Räume für den tödlichen Pass, hat Torchancen. Vogl kommt daher mit dem Anzünden kaum mehr nach. Seine Südwester sind klar besser.
Und während die Zuschauer eine weitere ansehnliche Kombination der Südwester zu sehen bekommen, deren Abschluss aber beinahe im Klärbecken landet, bekommt man eine Ahnung davon, warum sie beim TSV vom Eibacher Stadtrand solche Probleme haben.
Zwölf Spiele sind gespielt, zwölf Spiele sind verloren, so lautet die Bilanz des TSV Südwest II. Null Punkte, somit das erfolgloseste Team Nürnbergs. Kanonenfutter sind Vogls Südwester in der Liga aber nicht. Eine einzige deftige Klatsche gab es, ansonsten aber „viele knappe Niederlagen“, wie Vogl betont. Ein Blick auf die Tordifferenz: 18:52. Das ist zwar schlecht, geht aber durchaus schlechter. Heute steht noch die Null, vorne wie hinten. Heute schaut das richtig gut aus.
In der dreißigsten Minute dann ist Vogl kurz davor, sich zwei gleichzeitig anzustecken. Erst donnert Sascha oder einer seiner Kollegen einen todsicheren Ball an die Oberlatte, dann fällt auf der Gegenseite das 1:0 für den SSV Elektra. Ein blitzsauberer Abschluss, keine Chance für Keeper Kündinger. Dann ist Pause, Vogl muss in seiner Halbzeitansprache wieder einen Rückstand aufarbeiten. Dabei haben sie heute Verstärkung erhalten. Ein Spieler aus der spielfreien Kreisklassen-Mannschaft, drei weitere von der Dritten, einer dem Verein angeschlossenen Privatmannschaft, dem Tabellenführer der B-Klasse 10.
Doch als die zweite Halbzeit angepfiffen wird und so seinen Gang nimmt, bekommt der neutrale Beobachter seine Ahnung bestätigt: Verstärkungen hin oder her, bei Südwest macht man sich die Probleme einfach selbst.
Elektra hat reagiert, spielt jetzt nicht mehr so offensiv und bietet dem Gegner weniger Räume. So kontern sie sich zehn Minuten vor Schluss zum 2:0. Südwest hat bis dahin weiterhin Chancen, fünf Hochkaräter allein in Halbzeit zwei. Ein Treffer gelingt aber erst in Minute 84 – durch einen Elfmeter von Loski. Vogl geht jetzt volles Risiko, bringt Stürmer für Abwehrspieler. Wenige Sekunden später fällt das drei zu eins durch einen überlegten Schlenzer, dann donnert Elektras Außnahmekönner Safak Simsek einen Ball in die Maschen und die Tür endgültig zu. Vier zu eins, Schlusspfiff. Südwest hat auch sein dreizehntes Spiel verloren.
„Die Hoffnung ist noch da, wir haben zwei Nachholspiele“, sagt Vogl im Anschluss. Acht Punkte sind es auf Relegationsplatz dreizehn, und da müssten sie hin. Es ist kurz nach 16 Uhr, und man weiß nicht, ob es anfängt zu dämmern oder sich die Wolken verfinstern.
Kann er sich eigentlich erklären, warum es so gar nicht läuft? Vogl setzt an, spricht von Verletzungsausfällen in der ersten Mannschaft, von eingeplanten A-Jugendlichen, die nicht mehr kämen, vom Feldspieler, der bei ihm ins Tor muss. Aber eigentlich weiß er, dass das alles keine Gründe für die Erfolglosigkeit sein können, allein weil die Mannschaft, die heute auf dem Platz stand, viel zu gut ist für eine Null auf dem Punktekonto.
Vogl zuckt also die Achseln, sein Lächeln wirkt ratlos aber ehrlich. Vielleicht weil er weiß, dass es in dieser Klasse nicht unbedingt um sportliche Erfolge geht. Ein Schwarm Schwalben kommt von jenseits der sanften Pegnitzbiegung, folgt den Auen in südwestliche Richtung flußabwärts.
Was eigentlich passiert, wenn man bei Südwest mit der zweiten Mannschaft absteigt, während die dritte Mannschaft aufsteigt? „Darüber haben wir uns noch keine Gedanken gemacht“, sagt Vogl.
Und Recht hat er. Das heute war der letzte Spieltag des Jahres. Vielleicht gibt es für Vogls Südwester noch ein Nachholspiel, dann aber ist auf jeden Fall Winterpause. Es folgt ein neues Jahr, ab März dann auch zwölf weitere Spiele. Dann dauert es nicht mehr lange, und Wildgänse und Schwalben kehren zurück und der Kreislauf beginnt von Neuem. Falls es mit dem Klassenerhalt nicht klappt, wird man bei Südwest II einer anderen Liga zugeteilt werden, wird da auf Bierbänken sitzen, wird da frieren, wird da vor Ärger rauchen. Wird da Fußball spielen. Weil es dennoch Spaß macht.