2024-04-23T13:35:06.289Z

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Greift Burim Shala (weißes Trikot) an, ist bei den Torhütern Gefahr in Verzug.  Fotos: Kahler/Archiv
Greift Burim Shala (weißes Trikot) an, ist bei den Torhütern Gefahr in Verzug. Fotos: Kahler/Archiv

Vom Kriegsflüchtling zum Torjäger

Mit vier Jahren floh Burim Shala aus dem Kosovo - weil sein Vater nicht töten wollte +++ Heute ist der 26-Jährige Goalgetter

Manche Bilder, die Burim Shala heute sieht, rufen die Erinnerung wach. ,,Ich war erst viereinhalb Jahre. Von unserer Flucht mit meinen Eltern und meinen zwei Geschwistern vor dem Bürgerkrieg am Balkan weiß ich natürlich nicht viel", sagt der 26-Jährige, ,,aber die Erzählungen kenne ich." Die Familie flüchtete teils zu Fuß, teils mit einem Bus und mit einem Schleuser zu zwölft in einem Opel Ascona. Über zwei Jahrzehnte liegt das zurück. Aus dem kleinen Burim aus dem Kosovo ist ein Torjäger in der Fußball-Kreisklasse Kelheim geworden. Der Angreifer vom SV Niederleierndorf führt die Torschützenliste an.

,,Deutschland ist meine Heimat. Ich bin immer wieder im Kosovo, aber zu Hause bin ich hier", sagt Burim Shala, dessen Deutsch nicht den Anflug eines ausländischen Akzents hat. Der 26-Jährige will nicht gerne auf die Geschehnisse im Balkankrieg angesprochen werden. Und dennoch fragt er für die MZ eigens bei seiner Mutter nach den genauen Umständen nach. ,,Mein Papa wäre 1993 in die serbische Armee eingezogen worden, damit er im Bosnien-Krieg kämpft. Da er aber keine Menschen töten wollte, sind wir geflüchtet." Über Mazedonien, Bulgarien, Ungarn, Rumänien und Tschechien schlug sich die Familie bis Deutschland durch, ,,weil dort schon Verwandte lebten, die uns sagten: Mit viel Fleiß kann man hier etwas erreichen."

Fliegerbombe tötet seinen Cousin

Die Flucht war abenteuerlich, auf Schritt und Tritt begleitete die Shalas die Angst, erwischt und abgewiesen zu werden. ,,Wir lagen einmal in einem Waldstück, als Grenzpolizisten ganz nah an uns vorbei gingen." Um sicher zu gehen, ließ sich die Familie auf einen Schleuser ein. Der pferchte sie und andere in einen alten Opel. ,,Er hat uns nach Karlsruhe gebracht, dann nach Offenburg und schließlich nach Singen am Bodensee."

Dem Krieg war die Familie entflohen, aber nicht den Schicksalsschlägen. ,,Mein Cousin kam 1999 durch eine Fliegerbombe ums Leben. Er war vier Jahre alt. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch unser Zuhause zerstört", erzählt Shala. In Singen verbrachte die Familie 18 Monate im Asylheim, dann fand Burims Vater eine Arbeitsstelle in Schierling und die Shalas zogen noch Langquaid.

,,Mit sieben oder acht Jahren begann ich beim TSV Langquaid mit dem Kicken." Vor dem allerersten Spiel war Burim so aufgeregt, ,,dass ich zwei Stunden vor dem Treffen schon hin kam". Der Trainer rätselte, wo er den Jungen aufstellen sollte. Er beorderte Burim nach vorne. ,,Und das war meine Position. Ich war giftig und wollte immer den Ball haben. Das gilt heute noch bei mir." Bald traf er in der Jugend am Fließband, ,,zehn, elf Tore in manchen Spielen". Dabei wollte der Laabertaler anfangs gar kein Fußballer werden. ,,Ich hatte eher Boxen im Sinn. Ich war Bruce-Lee-Fan." Doch das runde Leder hatte mehr Anziehungskraft.

Burim Shala entwickelte sich zum guten Kicker - und zu einem guten Schüler. ,,Ich habe die Hauptschule als Jahrgangsbester abgeschlossen. Damals war ich sogar in der Zeitung", lacht der sympathische 26-Jährige. Der Bericht hatte sein Gutes. Der Chef der Firma Kelly-Druck in Abensberg meldete sich beim Absolventen und bot ihm eine Lehrstelle an. ,,Früher hätte man gesagt, ich lernte Buchbinder, heute nennt sich das Medientechnologe." Fertigen Druckbögen gibt er Form und Gestalt und verarbeitet sie zu Broschüren, Visitenkarten, Plakaten oder Mappen. ,,Ich stelle die Maschinen ein und organisiere die Arbeit." Seit zehn Jahren arbeitet der Langquaider nun bei seiner Firma.

Wettstreit mit Kollegen um 36 Tore

Fußballerisch gab es nach dem zweiten A-Junioren-Jahr einen Knick. ,,Die Flausen der Jugend holten mich ein. Ich hatte keinen Bock mehr auf Fußball." Die Auszeit währte nicht lange. Gemeinsam mit seinem Freund Marco Weigt suchte er sich mit 20 Jahren einen neuen Verein. ,,Wir haben uns den SV Niederleierndorf ausgeguckt und sind dort eingestiegen." Verlernt hatte er nichts. Zwischen 15 und 18 Toren pendelt seine Torjäger-Marke seit 2011 pro Spielzeit (mit Ausnahme einer trefferarmen Saison). Leierndorf konnte sich dank Burim Shala in der Kreisklasse etablieren.

Zur Winterpause steht der SV an der Spitze der Staffel Kelheim, der Goalgetter führt die Schützenliste mit 18 Treffern an. ,,Ein schönes Bild, auf das man gerne schaut", sagt Shala zur Tabellenführung. Ein Aufstieg in die Kreisliga wäre ,,geil". ,,Wir haben eine junge Mannschaft, ich bin mit 26 der zweitälteste Spieler. Wir hätten eine gute Grundlage, um in der Kreisliga zu bestehen."

Seine eigene Torquote ist für ihn nicht entscheidend, allerdings pflegt er mit einem älteren Arbeitskollegen, der für den SC Kirchdorf vor vielen Jahren mal 36 Tore erzielte, einen genüsslichen Wettstreit. ,,Heuer krieg' ich ihn", lacht der Stürmer. Seine Vorzüge sieht Shala in Schnelligkeit und Laufbereitschaft. ,,Und ich habe einen Torinstinkt. Technisch bin ich ausbaufähig." Bei Niederleierndorf fühle er sich wohl, ganz ausschließen will er einen Versuch in der Bezirks- oder Landesliga aber nicht.

In drei Wochen wird er Papa

Reibereien oder Anfeindungen wegen seiner Herkunft gebe es so gut wie gar nicht, sagt Burim Shala. ,,Dass mal ein Zuschauer was reinschreit, sehe ich nicht dramatisch. Wenn ich mit Emotionen bei der Sache bin, ist auch nicht jedes Wort stubenrein." Der Stürmer ist aber vorwiegend ein ruhiger Typ. ,,Ich kann auch Niederlagen akzeptieren, stinksauer bin ich nur, wenn wir besser waren und die anderen trotzdem gewinnen."

Bei den Niederleierndorfer Fans - ,,wir haben ganz wunderbare Zuschauer" - ist es er ohnehin eine Art Publikumsliebling. ,,Einer, der Gunther, gibt mir immer eine Goaßmaß aus, wenn ich ein Tor mache."

Auch an Letzterem sieht man, ,,ich bin in Bayern voll integriert". In drei Wochen wird Burim Shala noch ein Stück heimatverbundener sein - seine Frau und er bekommen ihr erstes Baby. ,,Es wird ein Junge und, natürlich, ein Fußballer", lacht der werdende Vater. Seine Gattin stammt ebenfalls aus dem Kosovo, ,,dort habe ich sie bei einem Heimaturlaub kennengelernt. Sie ist hübsch und sympathisch", schwärmt Shala. Seit drei Jahren lebt sie mit dem Torjäger in Langquaid.

,,Man darf keine Grenzen schließen"

Zu den aktuellen Flüchtlingsströmen findet der Kicker klare Worte: ,,Die Menschen fliehen, weil sie Todes- oder Existenzangst haben, nicht weil sie in Deutschland das Paradies suchen. Sie wollen arbeiten. Im Kosovo sind 70 Prozent der Männer unter 30 Jahren arbeitslos. Sie wollen irgendwo ein Leben aufbauen." Er verstehe nicht, ,,dass bei Bankenkrisen fraglos Milliarden reingebuttert werden und bei menschlichen Schicksalen die Solidarität zerbricht".

,,Ich unterhalte mich auch am Platz mit Leuten und frage oft: Hat sich für dich etwas verändert, geht es dir jetzt schlechter?" Eine gewisse Angst vor etwas Fremden sei natürlich, dennoch dürfe man Grenzen niemals schließen. ,,Wollen wir Menschen vor unseren Grenzzäunen sterben lassen?" Burim Shala wäre nie ein Kelheimer Torjäger geworden, wären die Schlagbäume dicht gewesen.

Aufrufe: 026.11.2015, 11:16 Uhr
Martin RutrechtAutor