2024-04-24T13:20:38.835Z

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F: Yılmaz
F: Yılmaz

Vereine sind ein wichtiger Integrationsfaktor

Sportpolitik: Vortrag und Diskussion über die Rolle von Vereinen. 64 Prozent aller heimischen Klubs haben keine oder nur wenige Migranten als Mitglieder. SSB arbeitet an Integrationskonzept

Wie kann durch Sport Integration gefördert werden? Welche Rolle spielen Vereine? Welche Bedingungen sind nötig? Was sind die Erwartungen und Herausforderungen? Diese Fragen waren Thema beim „Kommunalen Integrationsdialog Sport“ im Alten Rathaus.

Riza Öztürk moderierte die Veranstaltung. „Das Thema Integration steht seit einiger Zeit auf der Agenda“, sagte Öztürk und fragte: „Warum spielt der Sport da so eine große Rolle?“ Darüber diskutierten die Gäste aus Politik, Sportvereinen und Vertretern von Integrations- und Sportgruppen. „Sport ist der Kitt der Gesellschaft“, sagte Oberbürgermeister Pit Clausen und wies auf das Potenzial Bielefelds hin. „Hier leben rund 100.000 Menschen mit Migrationshintergrund aus 150 verschiedenen Ländern: Das sind 100.000 potenzielle Vereinsmitglieder“

Die Professoren Dr. Christa Kleindienst-Cachay und ihr Mann Dr. Klaus Cachay stellten die Ergebnisse ihrer Studie zur Integration von Migranten im organisierten Sport vor. Das Ehepaar von der Uni Bielefeld befasste sich mit der Frage, in welchem Maß Migranten Mitglieder in Sportorganisationen sind und ob dieser Mitgliedschaft Integration in die Gesellschaft folgt. Dafür haben sie 1.362 Fragebögen an Sportvereine, Schulen, Fitnessstudios und andere Sporteinrichtungen geschickt und ausgewertet. Mit ernüchterndem Ergebnis: „64 Prozent aller Bielefelder Vereine haben keine oder nur minimal Migranten als Mitglieder“, sagte Kleindienst-Cachay. In 2,5 Prozent der Vereine liegt der Migrantenanteil bei 75 Prozent.

Die Migranten, die Mitglieder von Sportvereinen sind, können hier in kommunikative Netzwerke integriert werden. „Es entstehen viele interkulturelle Freundschaften und damit auch soziale Netzwerke“, sagte Kleindienst-Cachay. Auch die Integration in die Gesellschaft wird unterstützt: Sprachliche Kompetenzen werden erworben, aber auch die Erfahrung von Anerkennung und Wertschätzung sei sehr wichtig.
Eine wesentliche Frage der Studie ist, wie die Sportvereine mit der Thematik Integration umgehen. „77 Prozent der Vereine beschäftigen sich nicht damit“, stellte Klaus Cachey fest. Dies könnte damit zusammenhängen, dass Sportvereine freiwillige Organisationen sind und die Integrationsthematik zwar von außen durch Politik und Verbände an sie herangetragen wird, aber offenbar nicht wie gewünscht ankommt. „Vereine haben ihren Zweck nicht primär in der Lösung von gesellschaftlichen Problemen“, sagte Cachey. Laut der Studie würden Vereine aber, wenn sie sich keine Gedanken um Integration machten, ihren eigenen Bestand gefährden: „Kinder sind ein knappes Gut, und das müssen die Vereine für sich gewinnen.“ Nur so könnten sie Bestand und Erfolg sichern. „Der Deutsche Handballbund hat über ein Sechstel seiner Mitglieder verloren“, nannte Cachay als Beispiel. Der Fußball sei dagegen wie ein Staubsauger. In den 36 deutschen Leistungszentren trainieren 39 Prozent Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund. Davon seien alleine 30 Prozent aus der Türkei. Hier unterscheidet sich der Fußball sehr stark vom Handball. 93,5 Prozent der befragten 14 bis 16 Jährigen sind Deutsche. „Der Handball scheint sich bei der Rekrutierung von Sportlern mit Migrationshintergrund schwer zu tun“, sagte Cachay.

Der Forscher hat mögliche Erklärungen für die Nicht-Teilnahme der Migranten an einigen Sportarten gefunden. „Die Stichworte sind Fremd- und Selbstexklusion“, sagte der Professor. „Der Verein muss gucken, wie er sich in der Öffentlichkeit darstellt und welches Signal er Migranten gibt.“ Gleichzeitig müsse der Verein Migranten ermöglichen, sogenannte multiple Bindungen einzugehen: „Man soll seine Bindung an seine Herkunftsgruppen nicht aufgeben müssen, um sich an andere Gruppen zu binden.“
Karl-Wilhelm Schulze, der Geschäftsführer des Sportbundes, war zufrieden mit der Veranstaltung. „Einige waren doch erstaunt, als sie die Zahlen und wissenschaftliche Erkenntnisse gehört haben. Manche wurden wach gerüttelt“, sagte er. Es wurde ein Beirat aus allen wichtigen Vertretergruppen gebildet, und derzeit wird ein „Integrationskonzept des Sports“ vom Stadtsportbund geschrieben. „Sportorganisationen sind wie ein Tanker: Eine Vollbremsung braucht fünf Kilometer und auch eine Richtungsänderung braucht auch einige Kilometer“, erklärt Schulze: „Aber dafür ist es, wenn es auf Kurs gebracht wurde, stabil."

Fakten zur Integration von Migranten im Sport

In zwei Dritteln der Bielefelder Sportvereine gibt es überhaupt keine Migranten. In den Fitnessstudios liegt dieser Anteil deutlich niedriger – bei lediglich einem Drittel.

Das Geschlechterverhältnis bei den Migranten in Sportvereinen ist ungleich. 30,5 Prozent sind weiblich und 69,5 Prozent männlich.

Der größte Anteil der Migranten in Sportvereinen sind Kinder und Jugendliche (58,1 Prozent). 38,4 Prozent sind Erwachsene, nur 3,5 Prozent Senioren.

In nur 16,8 Prozent der befragten Vereine haben Migranten Funktionsrollen, zum Beispiel als Trainer oder Übungsleiter, übernommen.

Bei der Wahl der Sportarten gibt es ein extrem schmales Spektrum. 57 Prozent der Migranten spielen Fußball. Ebenfalls sehr beliebt ist Kampfsport mit 14 Prozent. Andere Sportarten, wie Turnen, Schwimmen oder Handball, werden deutlich viel seltener betrieben.

Der Wettkampfsport ist bei den Migranten (62,7 Prozent) viel beliebter als der Breitensport. Das ist bei Einheimischen genau umgekehrt.

Aufrufe: 09.11.2016, 11:00 Uhr
HaveAutor