2024-04-16T09:15:35.043Z

Vereinsnachrichten
Flutlichtatmosphäre und keine Zwischenfälle beim Drittliga-Derby zwischen der SG Sonnenhof Großaspach und den Stuttgarter Kickers
Flutlichtatmosphäre und keine Zwischenfälle beim Drittliga-Derby zwischen der SG Sonnenhof Großaspach und den Stuttgarter Kickers

Und alles für den Fußball

Sicherheit im Stadion

Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD) kündigt an, den Kräfteeinsatz der Landespolizei bei Fußballpartien optimieren zu wollen. Eine noch wichtigere Rolle kommt dabei wohl den fan- und szenekundigen Beamten zu.

Heiko Wagner (43) und Jürgen Fäßler (42) stehen nur wenige Meter neben den Anhängern der Blauen. Die beiden gehören zu der dreiköpfigen Polizeieinheit, die hauptamtlich als fankundige Beamte (FKB) bei der Bundespolizei, dem früheren Bundesgrenzschutz, in Stuttgart arbeiten. Die FKB sprechen mit Fan- und Sicherheitsbeauftragten der Vereine, recherchieren im Internet und tauschen sich intensiv mit den szenekundigen Beamten (SKB) der Landespolizei aus, um die Art der Anreise, die Anzahl der Heim- und Gästefans und drohende Gefahren möglichst genau einschätzen zu können. Die FKB bei der Bundespolizei, die für die Sicherheit in Zügen und an Bahnhöfen zuständig ist, sind das Pendant zu den SKB bei der Landespolizei, die rund um das Stadion für Ruhe und Ordnung sorgen muss.

Die Arbeit der Szene-Beamten könnte sich bald aber kniffliger gestalten. Nach dem Vorstoß von Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD), weniger Beamte bei absehbar friedlichen Fußballspielen einsetzen zu wollen, plant auch der baden-württembergische Ressortchef Reinhold Gall (SPD), die Polizeieinsätze bei Fußballspielen zu optimieren. Man überlege, die Zahl der Polizisten bei risikoarmen Partien zu verringern und im Gegenzug mehr Beamte bei Hochrisiko-Duellen einzusetzen, sagte ein Sprecher am Mittwoch. Insgesamt werde die Zahl der Polizisten rund um Fußballspiele aber gleich bleiben.

Das Stuttgarter FKB-Duo vor dem Bonatzbau fällt nicht auf. Wagner trägt dunkles T-Shirt und Jeans, Fäßler steht in blauem T-Shirt und dunkler Hose da. In seinen Ohren stecken handelsübliche weiße Ohrstöpsel, Fäßler hört den Polizeifunk mit. Wagner unterhält sich derweil mit einem der Fans, ein bisschen Small Talk. Man kennt sich.

Die FKB sind keine verdeckten Ermittler. Wagner arbeitet in dieser Rolle seit 2005. Sein Kollege und er sind bewusst in Zivil gekleidet. Das erleichtere die Kommunikation, sagen sie. Eine Uniform sei ein Mittel, um Distanz einzuhalten - und diese Distanz wollen sie nicht. "Wir kommunizieren mit den Fans, bringen ihnen Maßnahmen näher und versuchen in brenzligen Situationen als Vermittler aufzutreten", erklärt Wagner. Wenn es zu Straftaten kommt, sind FKB und SKB allerdings Polizeibeamte wie ihre Kollegen in Uniform und Kampfanzügen auch. Sie helfen vor allem, Täter zu identifizieren. Denn sie kennen viele der Fans beim Namen, die Personalien müssen daher nicht mehr aufwendig festgestellt werden.

Die Polizei klassifiziert die Anhänger der Vereine in die Kategorien A, B und C. Unter A sind die harmlosen Zuschauer zusammengefasst. In Kategorie B sind die Anhänger, die stark am Fußball interessiert, jedoch der Gewalt nicht komplett abgeneigt sind. Und in Kategorie C fallen die Personen, deren Interesse an gewalttätigen Auseinandersetzungen größer ist als das am Fußball. Die Beamten bezeichnen sie als "Problemfans".

17.15 Uhr, Gleis 102 am Hauptbahnhof, die Kickers-Fangruppe drängt in die S-Bahn Richtung Backnang. Wagner und Fäßler sowie mehrere uniformierte Beamte der Bundespolizei steigen in denselben Waggon. Nach mehreren Stopps sind es insgesamt 60 Fans, die die Polizei besonders im Auge hat. Die Fahrt verläuft ohne Zwischenfälle. In Backnang steigen die Anhänger der Blauen und die FKB in einen Shuttle-Bus, der sie zur Arena bringen soll.

Die Stuttgarter SKB, Mirja Bühl und Ingrid Wolf, heften sich mit ihrem Auto dran. Doch der Zuschauerandrang - am Ende werden es 6451 sein - ist größer als erwartet. Die Masse an Fahrzeugen kann in der Kürze der Zeit vom Ordnungsdienst nicht auf die Parkplätze eingewiesen werden. Es kommt schon am Ortseingang Großaspach zum Stau. Der Bus steckt fest - nichts geht mehr auf den Straßen des kleinen Orts.

Die Kickers-Fans werden ungeduldig, den Anpfiff im Derby will keiner von ihnen verpassen. Als der Bus hält, betätigt einer den Notknopf, um die Türen zu öffnen. Die Gruppe stürmt raus - und in Richtung Arena. Wagner und Fäßler hetzen mit. "Keine Zwischenfälle, alles ruhig", meldet Wagner kurz darauf aus dem Gäste-Block. Der Ball rollt, die Fans singen.

In der Kabine unterm Stadiondach steht Einsatzleiter Jürgen Hamm. Er blickt gelassen aus dem Fenster - mal zu den Spielern auf dem Rasen, aber deutlich häufiger zum Gäste-Block. "Wenn ein Tor fällt, kriegen wir das zwar mit", sagt der Kriminaloberrat, "aber nur in den seltensten Fällen haben wir es dann auch gesehen". Der Fokus der Polizeibeamten richtet sich "vorwiegend auf die Fans des Gastvereins", sagt Hamm. Die Zahl und das Gewaltpotenzial der Sonnenhof-Anhänger seien vergleichsweise gering. Und auch der VfB Stuttgart II, der seine Heimspiele während der Gazistadion-Sanierung in Stuttgart in der Mechatronik-Arena austrägt, bringe in der Regel nicht viele Anhänger mit. Das bedeutet: Der Gegner bestimmt in der Regel, wie groß das Polizeiaufgebot in Großaspach ist.

Nach dem Aufstieg der SG Sonnenhof Großaspach in die dritte Liga gehören von der Spielzeit 2014/2015 an zehn Vereine aus Baden-Württemberg den ersten drei Spielklassen an. Es ist davon auszugehen, dass dadurch der Personalaufwand und die Kosten bei Polizeieinsätzen rund um Fußballspiele noch einmal steigen werden. In der vergangenen Saison gab das Land dafür nach Angaben des Innenministeriums rund 10,2 Millionen Euro aus. Die Zahl der Einsatzstunden der Landespolizisten stieg von 144.000 auf 155.000 an.

Innenminister Gall sieht die zunehmende Belastung für die Beamten kritisch. Die Polizei sei an der Grenze angelangt, sagte ein Sprecher des Innenministeriums am Mittwoch. Wie in Nordrhein-Westfalen soll die Zahl der Beamten bei risikoarmen Begegnungen künftig zurückgefahren werden. Im Gegenzug werden mehr Polizisten im Einsatz sein, wenn die Gefahr besteht, dass es zwischen Fan-Lagern kracht.

Bereits vor der Saison treffen sich Vertreter der Deutschen Fußball-Liga (DFL), der Vereine, der Kommune sowie von Bundes- und Landespolizei, um die Partien in Risikostufen - "High Risk", "Risk" und "No Risk" - einzuordnen. Eine wesentliche Rolle spielen dabei Vorfälle aus der Vergangenheit, die Anreise, die Rivalität der aufeinandertreffenden Vereine, das generelle Gewaltpotenzial beider Fan-Lager und die anderen Spiele an jenem Tag. "High Risk"-Beispiele im Land sind etwa die Südwest-Duelle zwischen VfB Stuttgart und SC Freiburg.

Rund eine Woche vor einer Partie beraten FKB und SKB zusammen mit den jeweiligen Einsatzleitern dann, wie viele Polizeikräfte eingesetzt werden. Für die Polizisten in Backnang gestaltet sich diese Bewertung derzeit schwierig, für sie ist die dritte Liga neu. "Wir können keine Glaskugel lesen", sagt Jürgen Hamm, Leiter des Backnanger Reviers, "wir werten die Erkenntnisse aus der Vergangenheit aus und beziehen alle relevanten Infos der Kollegen von anderen Standorten mit ein." Die Lagebeurteilung und die Einsatzplanung bei Bundes- und Landespolizei erfolgt indes immer separat.

Kreuzen sich an einem Spieltag die Wege verfeindeter Fangruppen aus unterschiedlichen Ligen an einem Bahnhof, kann es sein, dass die Bundespolizei deutlich mehr Beamte einsetzt als die Landespolizei vor den jeweiligen Stadien. Die Fans der SG und der Kickers gelten als verfeindet. Entsprechend groß ist das Aufgebot vor der Arena: Reiterstaffeln patrouillieren, auch Bereitschaftspolizisten und zwei Gruppen der Beweis- und Festnahmeeinheit (BFE) halten sich für den Ernstfall bereit. Angaben, wie viele Polizisten insgesamt während des Drittliga-Derbys im Einsatz sind, macht Hamm nicht. Man sei sonst zu leicht auszurechnen, sagt er. Die Eindrücke aber zeigen: selbst in der dritten Liga muss die Polizei einen enormen Aufwand betreiben.

In der Schlussphase des Derbys stehen Mirja Bühl und Ingrid Wolf, die Stuttgarter SKB, schon am Ausgang der Gästeblöcke. Sie beobachten das Verhalten der Fans ganz genau. Weil die beiden Beamtinnen bei Straftaten oft auch gleich die Anzeigen schreiben müssen, ist ihr Verhältnis zu den Fans angespannter als das der Bundespolizeikollegen. "Wir haben keinen sonderlich guten Draht zur Szene und sprechen nicht miteinander", sagt Bühl. Allerdings: Der Respekt sei auf beiden Seiten da, ergänzt Wolf.

Dann fährt der Bus Richtung Bahnhof Backnang ab. Wagner steht an der geschlossenen Tür, lächelt und hebt den Daumen: Alles gut! Die "Problemfans" stehen hinter ihm. Mit der S-Bahn geht es zurück nach Stuttgart. Es bleibt ruhig.

Um 22.32 Uhr sind die Beamten der Bundespolizei, die am Einsatz teilgenommen haben, wieder im Revier in der Königstraße. Der Bericht an die Zentrale Informationsstelle Sport (ZIS) wird noch einmal durchgelesen und abgeschickt. Einsatzabschnittsleiter Markus Brandt blickt müde drein: "Es gab keinen Zwischenfall", sagt er und nickt lächelnd: "Wir sind sehr zufrieden."

Aufrufe: 08.8.2014, 15:30 Uhr
Stuttgarter Nachrichten / Nils MayerAutor