2024-05-02T16:12:49.858Z

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Die stol­ze Meis­ter­mann­schaft der Sai­son 1997/1998 – die­se Auf­nah­me ver­brach­te meh­re­re Jah­re im Kel­ler­schrank. Fo­to: Pri­vat
Die stol­ze Meis­ter­mann­schaft der Sai­son 1997/1998 – die­se Auf­nah­me ver­brach­te meh­re­re Jah­re im Kel­ler­schrank. Fo­to: Pri­vat

Fanta unser

Vor 20 Jahren begegnete unser Autor dem einzigen Fußballtrainer, der von Training nicht viel hielt - und spielte die Saison seines Lebens. Doch mehr als seinen Spitznamen erfuhr er nie. Ein Wiedersehen im Zigarillorauch.

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Als ich Fan­ta zum ers­ten Mal traf, hat­te ich wirk­lich an­de­re Pro­ble­me. Mein bes­ter Freund hat­te mich mit ei­ner Holz­lat­te am Au­ge er­wischt, Blut floss, mei­ne Mut­ter ent­schied, mich ins Kran­ken­haus im Nach­bar­ort zu fah­ren. Doch als wir auf die Land­stra­ße ab­bo­gen, stand dort die­ser Kerl mit Schnurr­bart und raus­ge­streck­tem Dau­men. Ganz be­stimmt trug er schon da­mals Gold­kett­chen und sein Hemd of­fen. Mut­ter hielt, er stieg ein, wir fuh­ren wei­ter. War­um muss die jetzt die­sen Kerl mit­neh­men?, dach­te ich. Es geht um mein Au­gen­licht. Lass mal se­hen, sag­te er. War­um das denn bit­te? Wi­der­wil­lig nahm ich den Kühl­beu­tel bei­sei­te. Ich war froh, als er nach ein paar Ki­lo­me­tern wie­der aus­stieg.
Ein oder zwei Jah­re spä­ter wur­de der Mann, der sich mein Au­ge nur an­se­hen woll­te, um sich mein Au­ge an­zu­se­hen, wur­de Fan­ta mein Trai­ner für die­se ei­ne, die­se bes­te Sai­son al­ler Zei­ten. Die Sai­son, die den Rest mei­ner elf­jäh­ri­gen Kar­rie­re im un­be­zahl­ten Ju­gend­fuß­ball auf ewig in den Schat­ten stel­len wird. Und jetzt sit­ze ich ihm ge­gen­über in sei­ner Kü­che, das ers­te Wie­der­se­hen, zwan­zig Jah­re spä­ter. Auf dem Tisch lie­gen zwei gro­ße lee­re But­ter­brot­do­sen. Fan­ta trägt Ka­pu­zen­pul­li, der Schnurr­bart ist er­graut. Er raucht Zi­ga­ril­lo, was die Luft auch nicht mehr schlech­ter macht. Fragt nicht, ob das okay ist. Ich glau­be, nicht aus Un­höf­lich­keit, son­dern weil er sich gar nicht vor­stel­len kann, dass das nicht okay ist. Und be­vor er ir­gend­was an­de­res sagt, sagt er, dass er ge­ra­de neue Zäh­ne be­kom­men ha­be und nicht wis­se, ob der Kle­ber hal­te. Kön­nen dann halt mal raus­rut­schen. So­fort be­schlie­ße ich, dass es ei­ne gu­te Idee war zu kom­men. Da hat er noch nicht von sei­nem Herz­in­farkt er­zählt. Was ich her­aus­fin­den will, ist, war­um ich auch nach zwei Jahr­zehn­ten noch an die­se Sai­son den­ke. Was ei­gent­lich heißt: War­um ich auch nach 20 Jah­ren an kei­nen Trai­ner mehr Er­in­ne­run­gen ha­be als an ihn, gu­te Er­in­ne­run­gen. Da gab es Trai­ner… ach, ich will gar nicht da­von an­fan­gen. Da­bei weiß ich kaum et­was über ihn. Nicht mal, wie er in Wirk­lich­keit heißt und war­um ihn al­le Fan­ta nen­nen und war­um er da­mals un­ser Trai­ner wur­de. „Mich hat­ten se ge­fragt.“ Und weil se ihn ge­fragt hat­ten – näm­lich, ob er die C-Ju­gend des Ue­de­mer SV trai­nie­ren wol­le –, und er oh­ne zu über­le­gen zu­ge­sagt hat­te, ob­wohl er noch nie ei­ne Mann­schaft trai­niert hat­te, des­halb al­so trug sich ein mit­tel­gro­ßes Fuß­ball­wun­der zu. Ein Team von 14 Spie­lern, 13, 14 Jah­re alt, von de­nen die Hälf­te so aus­sah, als wür­de sie täg­lich auf dem Schul­hof ver­prü­gelt, sieg­te und sieg­te, bis es Meis­ter war in der Staf­fel 3 des Fuß­ball­ver­bands Nie­der­rhein, Kreis 8, Kle­ve-Gel­dern. Ge­gen den ärgs­ten Kon­kur­ren­ten sieg­ten wir drei­mal, weil der nach dem zwei­ten Sieg we­gen an­geb­li­cher Be­nach­tei­li­gung durch den Schieds­rich­ter Pro­test ein­ge­legt hat­te. Hat dir der Ti­tel was be­deu­tet?, fra­ge ich. „Du sitzt in der Jah­res­haupt­ver­samm­lung und dann wird das er­wähnt“, sagt er, „das war schön.“ Am meis­ten in Er­in­ne­rung ge­blie­ben war mir das Trai­ning, das streng­ge­nom­men kein Trai­ning war. Streng­ge­nom­men war Fan­ta auch kein Trai­ner, ir­gend­ei­ne Art Schein be­saß er nicht. Er ließ bloß im­mer zwei Mann­schaf­ten wäh­len und ge­gen­ein­an­der an­tre­ten. Je­der an­de­re Ju­gend­trai­ner hat­te zu­min­dest den Ehr­geiz, ir­gend­was mit Hüt­chen zu ma­chen oder uns mit Kopf­ball­trai­ning oder Run­den­lau­fen zu pei­ni­gen, bis wir uns in ein ein­zi­ges Keu­chen ver­wan­delt hat­ten. Fan­ta tat das al­les nicht. „War­um sol­len 14-Jäh­ri­ge Kon­di­ti­on trai­nie­ren?“, fragt er. Und Hüt­chen? „Im Spiel sind auch kei­ne Hüt­chen. Wenn ich dat schon se­he... Ihr müsst spie­len, da lernt Ihr am meis­ten.“ Ein ein­zi­ges Mal habt Ihr beim Trai­ning kei­nen Ball ge­se­hen, sagt er. Da hat­ten wir das ers­te Spiel mit 1:6 ver­lo­ren. Er selbst trai­nier­te im­mer mit, ob­wohl er da­mals schon ur­alt war. 37. Die Ho­se zu kurz, das T-Shirt zu eng für den An­satz ei­nes Bier­bau­ches. Tech­ni­ker, kein Läu­fer. „Ich konn­te ei­nen Pass von 60, 70 Me­ter spie­len und der kam an.“ Wahr­schein­lich war das nicht mal sei­ne Ab­sicht, aber er ließ uns Kin­der da­mals ein­fach Kin­der sein, die Bock hat­ten, Fuß­ball zu spie­len, und sah in uns kei­ne Roh­dia­man­ten, die ste­tig ge­schlif­fen wer­den muss­ten. Die meis­ten von uns wa­ren oh­ne­hin höchs­tens Kie­sel. „Ich ha­be mich nicht da hin­ge­stellt, um Sieb­ter zu wer­den“, sagt er, aber das war für ihn noch lan­ge kein Grund, ir­gend­ein Trai­nings­buch zu stu­die­ren oder uns mit ei­ner kom­pli­zier­ten Tak­tik aufs Feld zu schi­cken. „Nor­ma­ler­wei­se brauch­te ich die Leu­te nur auf den Platz zu stel­len und dann lief das.“ Selbst das re­gel­mä­ßi­ge Er­schei­nen beim Trai­ning sah er nicht so eng. „Der Tor­hü­ter ging lie­ber mit der Freun­din zur Müh­le knut­schen.“ Dann er­zählt er von Mi­cha­el. Mi­cha­el war klein, schmäch­tig, Ein­wech­sel­spie­ler. Doch wann im­mer es ging, brach­te er ihn. „Und dann schoss der auch noch ein Tor.“ Als er die El­tern im Ver­eins­lo­kal traf, sag­ten die: „Der Jun­ge ist wie aus­ge­wech­selt und in der Schu­le ist er auch bes­ser ge­wor­den.“ Mehr kannst du als Ju­gend­trai­ner nicht er­rei­chen. Aber was soll das nun mit dem Spitz­na­men? Auch Fan­ta spiel­te als Ju­gend­li­cher beim Ue­de­mer SV, sein Va­ter war Trai­ner und gab ei­nes Ta­ges ei­ne Run­de. Die an­de­ren be­stell­ten Malz­bier oder Co­la, nur die­ser Va­len­tin Hül­sen, der woll­te eben ei­ne... nun ja. „Bald war auf mei­ner Fan­ta aber mehr Schaum.“ Der Spitz­na­me setz­te sich über­all durch, über­all in Ue­dem zu­min­dest, aber weil er sei­nen Hei­mat­ort nie­mals ver­ließ, ist ihm der Na­me bis heu­te er­hal­ten ge­blie­ben. Fan­ta ist so­gar hier ge­bo­ren, 1960 gab es noch ein Kran­ken­haus, er war das jüngs­te von fünf Kin­dern. Das Haus, in dem er seit 21 Jah­ren mit sei­nem Bru­der wohnt, ist das Haus, in dem er auf­wuchs. Es kam vor, dass er mal für ei­ne Frau um­zog. Ge­hei­ra­tet hat er nie. So treu er sei­ner Hei­mat ist, so treu ist er sei­nem Ar­beit­ge­ber. Nach der ach­ten Klas­se be­en­de­te er wie üb­lich die Haupt­schu­le und fing für 2,77 DM Stun­den­lohn in ei­ner Fa­brik für Si­cher­heits­schu­he an. Da ist er heu­te noch, es ist die ein­zi­ge Schuh­fa­brik im Ort, die über­lebt hat. „Be­vor ich nicht ar­bei­ten ge­he, muss ich um­fal­len.“ Ei­gent­lich woll­te er Schrei­ner wer­den, aber so war das da­mals: Aus der Schu­le und erst mal Geld ver­die­nen. Mit dem Fahr­rad ist er in ein paar Mi­nu­ten da. Was prak­tisch ist, weil er zwar ei­nen Füh­rer­schein be­sitzt, aber nie ein Au­to be­ses­sen hat. Wur­de da­mals ja auch viel ge­trun­ken, da hät­te er eh nicht so häu­fig fah­ren kön­nen, lässt er durch­bli­cken. Als er noch un­ser Trai­ner war, hat­te er es nach Fei­er­abend zwei­mal in der Wo­che ei­lig. Kurz nach Hau­se und dann gleich zum Sport­platz. Fast schon Stress. Ei­ni­ge Ta­ge nach un­se­rem Tref­fen te­le­fo­nie­ren wir noch mal: „Mir ist ein­ge­fal­len, dass ich da­mals auch viel Schieds­rich­ter ge­macht ha­be, von der zwei­ten Mann­schaft bis in die D-Ju­gend.“ Ein paar Jah­re nach dem Ti­tel­ge­winn be­kam Fan­ta es mit sei­ner Band­schei­be zu tun, da war er ge­ra­de An­fang 40. Fuß­ball muss­te er blei­ben las­sen. Statt­des­sen pro­bier­te er Bil­lard. Kaum hat er das ge­sagt, holt er aus ei­nem Zim­mer ei­ni­ge Po­ka­le und stellt sie auf den Kü­chen­tisch. Das mit dem Bil­lard gab er aber auch bald auf. Weil sie im­mer dann spiel­ten, wenn er Bun­des­li­ga gu­cken woll­te. Er hat ei­nen Sky-An­schluss in sei­nem Zim­mer, sein Bru­der hat ei­nen Sky-An­schluss in sei­nem. Sie hal­ten für un­ter­schied­li­che Ver­ei­ne, Fan­ta für Stutt­gart, sein Bru­der für Schal­ke. An die­sem Abend will er Atléti­co ge­gen Re­al gu­cken, aber nur die ers­te Halb­zeit. Mor­gen um 6 be­ginnt die Schicht. Nur frei­tags durch­bricht er die Rou­ti­ne. Nach­mit­tags fährt er in den Nach­bar­ort, um al­te Be­kann­te zu tref­fen. Per An­hal­ter, noch im­mer, wie auch sonst? Setzt sich ins Café am Markt und war­tet. Zwei­mal im Jahr fährt er in den Ur­laub. Je­des Jahr muss er sein Herz che­cken las­sen, seit­dem er 2010 ei­nen Herz­in­farkt hat­te. Lag im Bett, die Brust tat weh, und er sag­te zu sei­nem Bru­der: „Da stimmt was nicht, ruf mal den Not­arzt.“ Ein paar Mo­na­te spä­ter stand er wie­der in der Fa­brik. Die C-Ju­gend des Ue­de­mer SV spiel­te im Jahr nach dem Ti­tel­ge­winn ei­ne Li­ga hö­her. Oh­ne mich, weil ich zu alt war, auch oh­ne Fan­ta. Der Va­ter ei­nes neu­en Spie­lers über­nahm. „Ich woll­te Hans nicht im Weg ste­hen“, sagt Fan­ta. Sie stie­gen gleich wie­der ab. Fan­ta trai­nier­te nie wie­der ei­ne Mann­schaft. Wir ha­ben die bes­te Meis­ter­schaft al­ler Zei­ten an­ge­mes­sen ge­fei­ert. Fan­ta hat­te dem Ka­pi­tän der ers­ten Mann­schaft 50 Eu­ro ab­ge­schwatzt, sei­nem Schuh­fa­bri­kan­ten eben­falls, und Im­biss­be­trei­ber Karl ein paar Beu­tel Pom­mes. Es war der 9. Mai 1998. Das weiß ich so ge­nau, weil Guil­do Horn an die­sem Tag beim Eu­ro­vi­si­on Song Con­test über­ra­schend den neun­ten Platz schaff­te. Dass je­mand an­ders sein und da­mit durch­kom­men kann, ha­be ich da­mals viel­leicht zum ers­ten Mal be­grif­fen.
Aufrufe: 030.5.2017, 12:59 Uhr
Sebastian DalkwoskiAutor