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Turnerschaft Fürth: Längst viel mehr als Gastarbeiter

Der A-Klassist strebt nach vielen Auf und Abs nach größeren Erfolgen

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Disziplin und Training — zwei deutsche Tugenden sind die Eckpfeiler der Turnerschaft Fürth, einer internationalen Truppe aus der Südstadt. Nach mageren Jahren zeigt der wieder nach oben — dank Multikulti.

„Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen“. Was der Schweizer Schriftsteller Max Frisch 1965 als Vorwort für das Buch „Siamo Italiani“ über italienische Gastarbeiter in der Schweiz formulierte, wurde auch in Deutschland dank zahlreicher italienischer und türkischer Einwanderer schnell zum geflügelten Begriff. Was das mit der Turnerschaft Fürth zu tun hat? Mehr als man zunächst denkt.

Anfang der 60er-Jahre: viele türkische Gastarbeiter kommen nach Deutschland in eine vollkommen fremde Kultur. Auch in Fürth mit seiner damals prosperierenden Wirtschaft tummeln sich schnell viele Arbeitssuchende. Doch wohin nach der Arbeit, wenn die Familie mehrere Tausend Kilometer entfernt ist und die Sprache noch fremd ist? Die Antwort darauf: der Hauptbahnhof. In und um Fürths zentralen Umschlagplatz versammeln sich häufig am Abend zahlreiche Türken um ein wenig Austausch und Umgang untereinander zu haben. Dennoch fehlt es an einem ganz besonders: Heimatgefühl. Doch das sollte sich ändern.

Die Turnerschaft ist ein Verein, der zentrumsnah hinter dem Bahnhof in der Südstadt seine Wurzeln hat. Nachdem 1967 die ersten Gastarbeiter auch durch deutsche Kollegen Zugang zur Turnerschaft gefunden hatten, wurden es ab Anfang der 70er-Jahre bedeutend mehr, ab 1973 war die komplette Vorstandschaft bereits türkisch. Man nahm die Identität der Turnerschaft an und entwickelte daraus neben der Leidenschaft für den Sport auch ein spezielles Gemeinschaftsgefühl. Schließlich gab es Ende der 70er mehr Spieler als Kaderplätze. Das führte dazu, dass die Turnerschaft zu einer Keimzelle türkischer Vereine in Fürth wurde. So entstanden nach und nach Türk Gücü, Anadolu Spor und der Türkische SV.

Sportliche Heimat boten in der Regel A- und Kreisklasse. 2005 ging es hoch bis in die Kreisliga, jedoch folgte unmittelbar der Abstieg zurück in die Kreisklasse. Den Tiefpunkt erreicht hatte die Turnerschaft dann 2015. Ganz am Ende der B-Klasse angekommen - weiter unten geht es nicht. An diesem Punkt kommt Adrian Mesek ins Spiel.

Disziplin und Training

Der Kroate war lange Zeit bei Dergahspor Nürnberg aktiv und konnte bereits Landesliga-Erfahrung vorweisen. Bekannte überzeugten ihn schließlich von einem Engagement als Spielertrainer bei der Turnerschaft. „Ich hatte bereits im Hinterkopf, die Trainerlizenz zu machen, da war das Angebot der Turnerschaft das richtige für mich“, erzählt der 28-Jährige.

In seinem Bekanntenkreis gewann Mesek weitere Pioniere für die Aufbauarbeit und so formte er mit „viel Disziplin und Training“ ein Team, das direkt am Ende der Saison 15/16 in die A-Klasse aufstieg. Dabei hat die Internationalisierung Form angenommen. Neben einem türkischen Kern spielen mittlerweile auch Bosnier, Kroaten, Serben, Deutsche und Armenier.

Dabei ist das multikulturelle besonders ausgesprägt. Politische Einstellung oder Glauben werden hinten angestellt, im Vordergrund steht der Sport. Und fußballerisch? Da läuft die Kugel ansehnlich zwischen den Reihen. In einer 4-2-3-1-Grundordnung ist das Ziel, den Gegner mit hohem Druck und Pressing anzulaufen und zu Fehlern zu zwingen.

Eitel Sonnenschein also? Nicht ganz. Ein Problem verfolgt die Turnerschaftler schon lange, eine Lösung ist nicht in Sicht. Ein eigenes Vereinsgelände fehlt. Die Heimspiele werden am städtischen Lohnert-Sportplatz ausgetragen, beim Trainingsgelände gibt es ein Bäumchen-wechsel-dich-Spiel. Von Juli bis November steht der Kennedy-Platz neben der Hans-Böckler-Schule zur Verfügung - die restlichen Monate ist die Truppe auf Wanderschaft. Zuletzt währte der SV Poppenreuth Zuschlupf, doch auch das war nur von begrenzter Dauer. Immerhin wurde mit der Turnhalle der Böckler-Schule zum ersten Mal ein Winter-Domizil gefunden. Dennoch - wenn es in Zukunft dauerhaft etwas werden soll mit einem Verbleib in höherklassigen Ligen kommt man an einer eigenen Heimstätte mit entsprechender Infrastruktur nicht vorbei.

Potential für die Kreisliga

Mesek betont die Wichtigkeit: „Mit der aktuellen Mannschaft haben wir das Potenzial, in der Kreisliga zu spielen. Ohne Infrastruktur wird es aber immer ein Kommen und Gehen geben, ein beständiges Wachstum findet so nicht statt“. Ein Problem, mit dem auch viel prominentere Vereine in der Kleeblattstadt konfrontiert sind. Vorstand Osman Özgenç und Unterstützer Hüseyin Ilhan schlagen in die gleiche Kerbe. Sie hatten bereits ein Gespräch mit der Stadt, doch wirklich vorangegangen ist noch nichts.

Die beiden können nicht verstehen, dass auf dem Lohnert-Sportplatz und der Charly-Mai-Sportanlage, beide im städtischen Besitz, für Vereine mit einem eigenen Trainingsgelände Platz ist und die Turnerschaftler sich immer wieder neu nach einer Trainingsstätte umsehen müssen.

Entsprechend vorsichtig sind derzeit noch die Ambitionen. Nach elf Spieltagen steht die Mesek-Elf mit 31 Punkten auf Platz 2 der A-Klasse 9, jedoch mit zwei Spielen weniger als Tabellenführer Vach II (32 Punkte). Die Chance auf den Aufstieg in die Kreisklasse ist also gegeben. Nach der Saison wollen Mannschaft und Vorstandschaft die Lage sondieren und die Ausrichtung für die nächsten Jahre treffen.
Hüseyin Ilhan drückt es so aus: „Wir wollen den Geist, der die Turnerschaft von Anfang an ausgezeichnet hat, auch in Zukunft weitertragen“. Es sind in der Tat Menschen angekommen. Und die haben aus einem Fußballverein aus der Südstadt eine ganze Menge gemacht.

Aufrufe: 03.12.2016, 09:02 Uhr
Markus Eigler (FN)Autor