2024-04-23T06:39:20.694Z

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F: Volkhard Patten
F: Volkhard Patten

Über das würdevolle Altern im Kreisliga-Fussball

Paul Schoemaker, 28, betreibt unter der Woche eine Agentur für Markenkommunikation in Düsseldorf. Am Wochenende kickt er in der Heimat beim SuS Kalkar.

Alles fing damit an, dass man beim Vier gegen Zwei nicht mehr als Erstes in den Kreis musste. Die
große Einstiegshürde in den Senioren- Fußball war gemeistert. Geschlagene zwei Jahre hatte man stoisch ausgeharrt – Bälle aufpumpend, Leibchen einsammelnd, den älteren Spielern die Trainingsjacken nachtragend – um nur einen Platz in der in Bierdeckeln gemeißelten Hackordnung einer Kreisliga-Mannschaft aufzusteigen.

Endlich war man nicht mehr der Jüngste, sondern der Dritt- oder gar Viertjüngste! Welch eine Euphorie, dem jungen Gemüse dabei zuzusehen, wie sie – statt einem selbst – die ersten Beinis und Doppelrunden kassierten. Und heute? Manchen A-Jugendlichen, die bei uns mit trainieren, muss man erst ein Referat
halten, damit sie nach dem Training das Tor vom Platz tragen. Es ist frustrierend – und wahrscheinlich das älteste Klischee der Amateurfußball-Welt.

Früher war alles besser! Früher hatten die jungen Spieler noch Respekt vor den bierbäuchigen Kreisliga-Veteranen. Wenn man damals einem jungen Spieler angedeutet hat, dass man kurz vor Spielbeginn noch Lust auf eine Frikadelle hatte, ist er wie selbstverständlich ins Vereinsheim gedackelt und hat einem die
verdammte Frikadelle geholt – mit extra Senf! Also, ich hab das zumindest so gemacht. Und dann voller Stolz dabei zugesehen, wie unser Top-Torjäger – gestärkt von meiner persönlichen Fleischlieferung – ein Tor nach dem anderen eingenickt hat.

Jeder hat eben seinen Teil zum Erfolg beigetragen. Wenn ich heute einem Nachwuchsspieler fragen würde, ob er mir vor dem Spiel doch bitte noch eine Frikadelle holt, würde er das vielleicht sogar auch machen. Er würde extra viel Ketchup draufschmieren, sie noch kurz in heißen Kaffee dippen und mir dann mit voller Wucht ins Gesicht schleudern. Zeiten ändern sich. Früher war vieles besser.

Das Schlimmste an der Sache ist, dass ich das wirklich ernst meine. Mir gefällt es überhaupt nicht, mit
welcher Selbstverständlichkeit 18-jährige Kirmeskicker sich zu fein sind, auch nur einen einzigen gut gemeinten Ratschlag auf dem Spielfeld zu beherzigen. Nur weil sie schon drei Mal FIFA 17 durchgespielt
haben, glauben diese post-pubertären Himbeerlurche doch echt, sie hätten den Fußball verstanden.
Es ist zum Kotzen! Und während ich diese Gedanken mit voller Inbrunst vor mich hindenke, kommt irgendwo aus einer anderen Hirnregion die leise Frage auf, wie es überhaupt so weit kommen konnte.
Mit gerade mal 27,5 Jahren bin ich anscheinend schon zu einem frustrierten Stammtisch-Phrasen-Drescher mutiert, der darüber sinniert, dass früher noch Recht und Ordnung herrschte. Wie gruselig!

Mittlerweile habe ich mich mit einem Gedanken angefreundet: der Lebenszyklus eines Kreisliga- Fußballers ist pures Schicksal – und es gibt kein Entrinnen! Ältere Spieler finden die Jüngeren erstmal
grundsätzlich vorlaut und unfähig. Umgekehrt halten die Jungen die Alten für gescheiterte Existenzen, die nicht mal wissen, wie man mit Kreis+L2 den Ball ins Toreck schlenzt. Und zur Weihnachtsfeier liegen sich alle in den Armen und grölen gemeinsam die Vereinshymne.

Auch wenn das Altern in Würde im Kreisliga-Fußball mitunter nicht ganz einfach ist, gibt es doch ein Licht am Ende des Tunnels. Ich glaube wirklich jeder – egal ob jung oder alt – kann es kaum erwarten,
eines Tages als Rentner am Spielfeldrand zu stehen und leidenschaftlich alles zu beleidigen, was nicht bei Drei auf dem Baum ist. Spätestens dann stimmt auch der Teamspirit!

Aufrufe: 01.6.2017, 10:30 Uhr
Paul SchoemakerAutor