2024-05-02T16:12:49.858Z

Allgemeines
An der Unglücksstelle auf einem Fußballplatz in Hamburg wurden Kerzen und Blumen niedergelegt.  Foto: dpa
An der Unglücksstelle auf einem Fußballplatz in Hamburg wurden Kerzen und Blumen niedergelegt. Foto: dpa

"So etwas ist natürlich schrecklich"

Nach einem tragischen Unglück auf einem Fußballplatz in Hamburg, bei dem ein Kind starb, wird über Aufsichtspflichten der Betreuer diskutiert

Harald Jucht ist 50 Jahre alt. Seit 44 Jahren ist er bereits Mitglied beim ASV Cham, und seit mehreren Jahren auch Jugendleiter des Vereins. Bei einem Klub mit mehr als 3300 Mitgliedern und dementsprechend vielen Kindern und Jugendlichen eine verantwortungsvolle Aufgabe. Kommt es zu einem Unfall, können auch Jucht Vorwürfe gemacht werden. Warum lässt du diesen Betreuer mit Kindern arbeiten, wird dann gefragt. Jucht weiß um diese Gefahr: ,,In unserer Gesellschaft sucht man immer einen Schuldigen." Seine Freude am Ehrenamt will er sich davon aber nicht nehmen lassen, auch wenn er weiß: ,,Du kannst nie sicher sein, das nichts passiert. Das muss man akzeptieren."

Ein sieben Jahre altes Kind wurde vergangenes Jahr in Hamburg von einem Fußballtor erschlagen, als 13- bis 14-jährige Spieler eines Vereins das Gehäuse nach dem Training abbauen wollten. Nun wurde der Jugendbetreuer des Klubs wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen zu einer Geldstrafe verurteilt.

Spieler unzureichend instruiert?

Die Verteidigung hatte zuvor Freispruch gefordert. Die Richterin urteilte aber, dass der 26 Jahre alte Betreuer seine Spieler nach dem Training unzureichend instruiert habe, mit dem Aufräumen der Tore auf ihn zu warten. Die Verteidigerin des Trainers bemängelte nach dem Prozess die Signalwirkung des Urteils auf ehrenamtliche Betreuer. Der tragische Unfall von Hamburg macht auch Jucht betroffen. ,,So etwas ist natürlich schrecklich", sagt er. Dass es dadurch schwieriger werden wird, ehrenamtliche Trainer oder Betreuer zu finden, glaubt er nicht. ,,Ich denke nicht, dass sich durch diesen Einzelfall ein entsprechender Trend ergeben wird." Er ist vielmehr davon überzeugt, dass Betreuern oder Trainern im Vereinssport ,,die Verantwortung schon immer bewusst war. Nicht umsonst gibt es ja den Spruch, dass du hier vom ersten Tag an mit einem Bein im Gefängnis stehst".

Erwartungshaltung der Eltern

Er sagt klipp und klar: ,,Sicher, dass nie etwas passiert, kannst du dir selbst beim größten Einsatz nicht sein." Aus eigener Erfahrung wisse er, dass man ,,als Betreuer immer versuche, alles hundertprozentig richtig zu machen". Er verstehe, dass Eltern erwarten, dass ihre Kinder im Verein verantwortungsvoll betreut werden. Es dürfe allerdings nicht einfach davon ausgegangen werden, dass Kinder ein paar Stunden beim Verein abgegeben werden und nie etwas passieren kann.

Aufsichtspflichten im Vereinssport sind rechtlich kompliziert. Kommt es zu einem Unfall, müssen Gerichte versuchen, die Einzelfälle zu beurteilen. Einschätzungen muss auch Jucht vornehmen, wenn er Gespräche mit Betreuern führt. Der persönliche Eindruck sei schließlich durch nichts zu ersetzen, meint er. Im Idealfall kenne man Personen schon über längere Zeit, dann falle es leichter, sich eine Meinung darüber zu bilden, ob derjenige persönlich und fachlich geeignet sei.

Aufgrund einer Neuerung des Kinderschutzgesetzes müssen Vereine mittlerweile das polizeiliche Führungszeugnis eines Betreuers abfragen, um auszuschließen, ob es in der Vergangenheit etwa Missbrauchsdelikte gab. Jucht sieht das durchaus positiv: ,,Es gibt einem zumindest einen weiteren Ansatz zur Einschätzung einer Person." Auf der anderen Seite könne man langjährige verdiente Betreuer etwas vor den Kopf stoßen ,,wenn man auf einmal ein polizeiliches Führungszeugnis verlangt". Aufgehört habe deswegen beim ASV Jucht zufolge aber noch keiner. Wer sich ehrenamtlich im Kinder- und Jugendsport engagiert, wisse zumeist ohnehin schon vorher, dass es auch Probleme geben kann - im Normalfall bekommt er bei der interessanten Arbeit mit jungen Menschen aber auch einiges zurück.

Über den BLSV gibt es eine Versicherung

Beim Bayerischen Landessportverband (BLSV) und dem Bayerischen Fußballverband (BFV) werden Gerichtsurteile wie das in Hamburg genau registriert. Schließlich könnte auch einer ihrer Mitgliedsvereine in der Zukunft von einem ähnlichen Fall betroffen sein.

Thomas Kern, Geschäftsführer des BLSV, sagt, dass es in seinem Verband eine Sportversicherung (Unfall- und Haftpflicht) für Trainer, Übungsleiter sowie Sportler gibt, die jedes BLSV-Mitglied in Anspruch nehmen könne. Darüber hinaus gebe es einen speziellen BLSV-Rechtsberatungsservice. Der BLSV fordere seinerseits ,,von allen unseren Trainern und Übungsleitern eine verantwortungsvolle Vorgehensweise, denn das kann sich nicht nur auf den Jugendbereich beschränken". Alle drei Jahre müssen die Lizenzen der Übungsleiter verlängert werden. Die Verlängerung der Lizenzen erfolge laut Kern nur, wenn entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen nachgewiesen werden können. ,,Unsere Trainer und Übungsleiter müssen sich also ständig auf dem Laufenden halten, auch zu Fragen der Prävention und Sicherheit im Sport."

Dass sich nach Meldungen wie über das Gerichtsurteil von Hamburg zukünftig weniger Menschen ehrenamtlich engagieren könnten, will Kern nicht gänzlich ausschließen: ,,Grundsätzlich ist es schon festzustellen, dass immer mehr vor allem junge Menschen ehrenamtliches Engagement scheuen, weil zu Themenkreisen wie etwa Haftungsfragen, Datenschutz oder zeitliche Belastung eine zunehmende Sensibilität in unserer Gesellschaft zu verspüren ist." Der BLSV tue aber ,,alles dafür, dass das bürgerschaftliche Engagement im Sport auch weiterhin bestehen bleiben kann. Denn ohne unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter wäre der Vereinssport in Bayern in der jetzigen Form nicht mehr möglich".

Thomas Müther vom BFV erklärt, dass sein Verband beim Thema Sicherung von Toren an die Vereine immer wieder appelliere, größtmögliche Sorgfalt an den Tag zulegen: ,,Wir weisen auch darauf hin, dass nicht gesicherte Tore lebensgefährlich sein können." Der DFB schreibe vor, dass Tore fest im Boden verankert sein müssen und tragbare Tore nur verwendet werden dürfen, wenn sie diesen Anforderungen entsprechen. Die Regeln seien in einer Veröffentlichung der gesetzlichen Unfallversicherung zum Thema Sportstätten und Sportgeräte (,,Hinweise zur Sicherheit und Prüfung") nachzulesen. Diese Broschüre stehe auch auf der BFV-Homepage im Vereins-Service-Bereich zur Verfügung.

Zur rechtlichen Situation sagt Müther, dass die Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich den Eigentümern und Betreibern der Fußballplätze und Hallen obliege. Die Trainer, Betreuer und Mitglieder der bayerischen Fußball-Vereine seien über den BLSV sportversichert. ,,Die ehrenamtlichen Jugendtrainer und Betreuer leisten einen herausragenden Beitrag im Bereich der Nachwuchsförderung. Wichtig ist, dass sie bei dieser verantwortungsvollen Aufgabe auch einen entsprechenden Versicherungsschutz haben", sagt Müther. Der Unfall in Hamburg sei dem BFV-Sprecher ,,zweifelsohne tragisch". Sein Verband gehe aktuell aber nicht davon aus, dass sich dadurch in Zukunft weniger Menschen ehrenamtlich engagieren.

Aufrufe: 029.10.2014, 06:00 Uhr
Von Jürgen Scharf, MZAutor