2024-04-25T14:35:39.956Z

Interview
SG-Sportvorstand Andreas Gaß hat mit seiner Kritik eine Lawine losgetreten.
SG-Sportvorstand Andreas Gaß hat mit seiner Kritik eine Lawine losgetreten.

,,Schürrles Würstchenbraterei hilft uns nicht"

KOl GELNHAUSEN: +++ Andreas Gaß, Sportvorstand des Kreisoberligisten Altenhaßlau/Eidengesäß, hat viel Zustimmung erhalten +++ Mehr Rechte für Vereine gefordert +++

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Zur Sache: Andreas Gaß, Sportvorstand des Fußball-Kreisoberligisten SG Altenhaßlau/Eidengesäß, hat mit seiner Kritik an der Entscheidung des Sportgerichts Gelnhausen eine regelrechte Lawine losgetreten. Dieses hatte zwei Ligaspiele nachträglich mit 0:3 gegen den Kreisoberligisten SV Altenmittlau sowie den B-Ligisten SG Altenhaßlau/Eidengesäß II gewertet, da es jeweils ein Spieler der beiden Vereine vergessen hatte, sich beim Schiedsrichter mit einem Lichtbildausweis anzumelden. Die Kritik von Gaß wurde von vielen Zeitungen der Rhein-Main-Region aufgegriffen, auch der HFV-Vorstand reagierte bereits: Der Passus der Satzung wird nicht verändert. Heute soll es eine Zusammenkunft zwischen Andreas Gaß und Torsten Becker (HFV-Vizepräsident) geben. Im Vorfeld erklärt Gaß im Interview mit dem Gelnhäuser Tageblatt noch einmal ausführlich sein Anliegen.

Herr Gaß, Sie sind kein „Leisetreter“, sind bekannt dafür, Ihre Meinung öffentlich zu äußern und zu vertreten. Warum haben Sie sich gerade in dieser Angelegenheit so deutlich positioniert?

Es war von vornherein klar, dass wir keine Chance bekommen würden. Für mich stand deshalb fest, dass ich uns nicht einfach einbestellen und am Nasenring durch die Arena ziehen lassen wollte. Es musste möglich sein, diesem HFV-gemachten Unsinn noch irgendeinen Sinn mitzugeben. Das funktioniert nicht, wenn man sich in die Schnauze hauen lässt und dann reumütig von dannen zieht. Das sehen zu viele Amtsinhaber in den Verbandsgremien, aber leider auch schon auf Kreisebene, sehr gern. Unsere Gruppenligazeit von 2013 bis 2015, ein anderes Thema im vergangenen Jahr, zu dem ich sehr klar Stellung bezogen und nichts zurückzunehmen habe, und die aktuelle Angelegenheit bestätigen mich – leider – in meiner Auffassung. Immer schön abducken und den Mund halten, das dient dann als wunderbares Indiz dafür, dass ja alles richtig super läuft und gerecht zugeht. Das tut es aber nicht. Kleine Amateurvereine können nicht immer nur die Opfer sein, auch wenn sie es in vielerlei Hinsicht längst sind. Man selbst ist immer authentischer, wenn es einen Anlass für eine Debatte gibt, die unsere Vereine schon lange viel lauter und offensiver führen müssten. Am aktuellen Thema und den fehlenden Beweisrechten für uns Vereine wird sehr transparent, mit welchem Pauschalismus und mit welcher Selbstgerechtigkeit der Verband und die ausführenden Gremien den Amateurvereinen begegnen und sie bestrafen. Diese Bestrafungs-Praxis hat mittlerweile leider in viel zu vielen Bereichen Methode. Wir Vereine sollten damit anfangen, uns dagegen ein wenig aktiver zu wehren. Darum positioniere ich mich jetzt so deutlich.

Waren Sie überrascht, welch hohe Wellen Ihre öffentliche Kritik am Sportgerichtsurteil schlug?

Ja und nein. Es war keine Überraschung, dass diejenigen Vereine, die bereits leidige Erfahrungen mit den Neuregelungen machen mussten, meine Kritik nachvollziehen und teilen konnten. Ein wenig mehr haben mich namhafte Unterstützer überrascht, die sich ohne eigene Not positiv geäußert haben. Das zeigt mir sehr konkret, dass ein Wille zum Widerstand gegen bestimmte Praktiken existiert und gestandene Fußballpersönlichkeiten berechtigter Kritik gern ihre Stimme geben möchten. Allerdings sind die Wellen noch nicht hoch genug. Es gibt Widrigkeiten, die die Verbände den Amateurvereinen aufbürden und mit denen nach und nach aufgeräumt werden muss, wenn die Basis nicht immer weiter bröckeln soll. Ich bin also einerseits froh darüber, dass die von mir begonnene Diskussion an vielen verschiedenen Stellen über unseren Kreis hinaus wahrgenommen wird. Manchmal habe ich aber den Eindruck, dass manch ein Vereinskollege nur darauf gewartet hat, dass sich mal wieder ein Kleiner mit dem Goliath anlegt. Gut so, und das war’s. Das reicht aber nicht. Das alles wird nichts bringen, wenn die Kritiker die Diskussion über wichtige Dinge, die immer mehr Amateurvereine kaputtmachen, nicht weiter forcieren und öffentlich machen. Sie müssen sich an ihr beteiligen, eigene Interessen auch mal zurückstellen und eine echte Solidargemeinschaft bilden, um damit die Verbände und ihre Gremien überhaupt unter Druck setzen zu können. Davon sind wir weit entfernt.

Es gab viele Reaktionen, was überwog: Kritische Stimmen Ihnen gegenüber oder zustimmende?

Natürlich gab es auch kritische Stimmen mir gegenüber. Damit muss man rechnen, wenn man etwas anfasst. Was andere Vereinsvertreter angeht, waren sehr wenige Kritiker darunter. Von den meisten, die eigeninitiativ auf mich zugegangen sind oder mir E-Mails geschrieben haben, kam Zustimmung. Bei vielen, die mit mir persönlich gesprochen haben, fiel die Kritik an der konkreten Sache und am Verband sogar noch barscher aus als bei mir. Es herrscht längst nicht überall Zufriedenheit, nur weil es überwiegend ruhig ist und sich viele einfach nicht trauen oder es sich nicht zutrauen, offensiver damit umzugehen.

Viele Vereinsvertreter haben sich sehr lobend über Ihr Engagement geäußert. Haben Sie das auch direkt auf dem Sportplatz in den Reaktionen Ihnen gegenüber erlebt?

Ja genau, das habe ich. Und das zeigt mir, dass es brodelt, und zwar nicht erst seit dieser Saison und der Abschaffung der Gesichtskontrollen durch den Schiedsrichter oder der Änderung der Spielordnung mit diesen überzogenen Bestrafungen. Aber, wie ich schon sagte: Es reicht nicht, das sonntags am Spielfeldrand zu äußern. Die Vereine müssen hier endlich geordneter und gemeinsam aus der Reserve kommen und dürfen auch nicht davor zurückschrecken, dass andere versuchen könnten, sie zu maßregeln.

Über welche haben Sie sich am meisten gefreut/geärgert?

Wenn ich überhaupt einen herauspicken sollte, dann wirklich Hans Götz. Er war an dem Abend, an dem unserer Zweiten die Punkte am grünen Tisch abgenommen wurden, einer von zwei Beisitzern. Ich finde es klasse, dass ein Vertreter unserer Sportgerichtsbarkeit die Chuzpe besitzt und mit seiner Unterschrift unter unserer Online-Petition „Mehr Beweisrechte für Amateurvereine“ unzweideutig klarmacht, dass er die Statuten, die er durchsetzen muss, nicht für angemessen hält. Aber es gibt noch einige andere gestandene Leute, über deren Zuspruch ich mich gefreut habe, weil sie unbestrittene und unanfechtbare Merithen besitzen. Exemplarisch möchte ich hier nur Ex-Profi Reinhold Jessl oder Oberndorfs Sportchef Paul Sachs oder einen weiteren Ex-Profi, Wirtheims Coach Marcus Wolf, nennen. Das alles sind Namen, die man hinter einer Sache sicherlich sehr gut gebrauchen kann.

Was glauben Sie wird ein Treffen mit Torsten Becker bringen, der ja bereits ankündigte, dass der Verband den entsprechenden Passus der Satzung auf keinen Fall ändern wird?

Ja, die Äußerungen von Herrn Becker im Vorfeld bestätigen die Huldigung an den Pauschalismus, wie ihn viele Verbandsvertreter und Entscheider zu schätzen scheinen. Für mich ist das nur eine weitere Sache, die unangemessen ist. Herrn Beckers angeführte Argumente stehen für mich auf tönernen Füßen. Pauschale Strafen ohne mögliche Betrachtung des Einzelfalls, begründet durch Vorfälle im Rhein-Main-Gebiet, würden dem Schutz der Vereine dienen. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Schon wenn ich mir das selbst vorsage, kann ich darüber nur den Kopf schütteln. Schwach. Da frage ich mich doch, warum es in anderen Landesverbänden auch anders geht. Ich hoffe, dass Herr Becker darauf nie antwortet, dass denen ja auch das Rhein-Main-Gebiet fehlt. Was eine angemessene Kurskorrektur angeht, kann ich von einem Treffen mit dem Vizepräsidenten also vermutlich gar nichts erwarten und tue es auch nicht. Was ein solches Treffen aber erfüllt, ist Wahrnehmung. Und da es mir im Wesentlichen darum geht, auch andere zu ermutigen, sich gegen die Willkür gegenüber uns Vereinen und gegen unsere Entrechtung zu wehren, ist Wahrnehmung keine schlechte Sache.

Sie haben auf Ihrer Vereinshomepage eine Petition gestartet. Wie sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden oder hatten Sie auf noch mehr Unterstützung gehofft?

Die Petition ist ein Mittel unter anderen Mitteln. Dieses Interview ist ein weiteres. Natürlich hoffe ich, dass es so schnell wie möglich so viele Unterzeichner wie möglich sein werden. So gesehen, kann es immer besser laufen. Allerdings finde ich 170 Unterschriften bis hier schon ganz in Ordnung, wenn man bedenkt, dass es um eine ganz bestimmte Detailfrage geht, die auch nur eine ganz bestimmte Zielgruppe interessiert. Zudem weiß ich, dass technische Hürden oder auch öffentliche Wahrnehmung nicht jedermanns Sachen sind. So oder so ist die Petition ein äußeres Zeichen für den existierenden Widerstand gegen die derzeit geltende Praxis. Also Leute, klar, wenn ihr unserer Meinung seid, dann unterschreibt bitte.

Sie haben auch über die Grenzen des Fußballkreises Ihr Anliegen öffentlich gemacht. Gab es auch da Reaktionen?

Ja, die gab es. Ein Vereinsvorsitzender aus dem Frankfurter Raum hat mir sehr ausführlich dargelegt, warum er Bedenken gegen die Ausweitung der Beweisrechte in Form von Passnachreichung hätte. Ich würde sagen, dass es hier im Rhein-Main-Gebiet tatsächlich gebrannte Kinder gibt. Er plädierte aber gleichzeitig für die Wiedereinführung der Gesichtskontrolle durch den Schiedsrichter, um erst gar keine Situationen entstehen zu lassen, mit der sich die Sportgerichtsbarkeiten beschäftigen müssten. Ich meine, dass wir uns hier nicht mit halb garen Scheinlösungen zu Ungunsten der Vereine oder der Schiedsrichter zufriedengeben dürfen. Es geht darum, intelligente Statuten zu erschaffen, die Missbrauch verhindern und sanktionieren und dabei trotzdem niemanden benachteiligen müssen, dem ein Versehen passiert.

Andreas Gaß, Sportvorstand des Fußball-Kreisoberligisten SG Altenhaßlau/Eidengesäß, hat mit seiner Kritik an der Entscheidung des Sportgerichts Gelnhausen eine regelrechte Lawine losgetreten. Dieses hatte zwei Ligaspiele nachträglich mit 0:3 gegen den Kreisoberligisten SV Altenmittlau sowie den B-Ligisten SG Altenhaßlau/Eidengesäß II gewertet, da es jeweils ein Spieler der beiden Vereine vergessen hatte, sich beim Schiedsrichter mit einem Lichtbildausweis anzumelden. Die Kritik von Gaß wurde von vielen Zeitungen der Rhein-Main-Region aufgegriffen, auch der HFV-Vorstand reagierte bereits: Der Passus der Satzung wird nicht verändert. Heute soll es eine Zusammenkunft zwischen Andreas Gaß und Torsten Becker (HFV-Vizepräsident) geben. Im Vorfeld erklärt Gaß im GT-Interview noch einmal ausführlich sein Anliegen. (lh)


Was muss sich ändern. Herr Gaß?:

Das ist einfach. Ich würde mir deutlich mehr Empathie und Augenmaß gegenüber den Amateurvereinen und deutlich weniger Paragrafenreiterei wünschen. Es braucht Regeln und klare Grenzen. Aber das darf aus uns keine Paragrafenreiter machen, bei denen unsinnige praxisferne Schriftsätze an die Stelle des gesunden Menschenverstandes treten. Mein Ansinnen ist es nicht, alle schlechtzumachen. Aber wenn ich von nötiger Empathie spreche, dann lässt sich an vielen Beispielen sehr gut veranschaulichen, dass sie dem DFB und untergeordneten Verbänden wie dem HFV in entscheidenden Fragen völlig fehlt. Die Zeche dafür bezahlen die Vereine. Ein schönes Beispiel ist die Groteske von fünf Euro plus 15 Euro Verwaltungsgebühr, wenn ein Ehrenamtler ein Ergebnis zu spät eingibt. Damit macht sich der Verband schön die Seckel voll. Das kann nur so sein, weil ja übergreifend über alle Altersklassen so verfahren wird, es also mit einem relativ hohen Risiko für die Klubs verbunden ist, dass solche gebührenpflichtigen Verfehlungen immer wieder passieren. Daneben wird dann schön Werbung verkauft, die sich bestimmt nicht schlechter verkaufen lässt, weil die Vereine zu topaktuellen Eingaben verpflichtet sind. Oder die Geschichte mit den Spielern, die an den letzten Spieltagen nicht eingesetzt werden dürfen, weil sie schon zu viele Einsätze in einer höherklassigen Mannschaft haben. Ich komme aus der IT-Branche und weiß, dass es möglich wäre, die Einsätze systemseitig zählen und entsprechende Spieler dann in der Online-Verwaltung für die niedrigeren Teams sperren zu lassen. Dafür müsste ein funktionierender Algorithmus entwickelt werden. Nö, wird aber nicht. Das komplette Risiko liegt bei den Vereinen. Machen sie einen Fehler, bekommen sie den Spielverlust aufgebrummt. Ach ja, und eine Verwaltungsgebühr. Wenn wir jetzt noch über die Verteilung von Mitteln generell sprechen, wird’s richtig hässlich. Der DFB und seine nationalen Verbände beziehen Mittel aus Rahmen- und Grundlagenverträgen mit der DFL und anderen auf Kosten der Amateurvereine. Es wird immer gern auf das DFB-Mobil verwiesen, auf fussball.de oder auf Weiterbildungen und Materialien. Aber in Wirklichkeit kommt doch viel zu wenig von dem an der Basis an, was die Basis zum Überleben braucht. Darüber hinaus wird gestraft und belehrt. Bravo. Laut einem aktuellen Bericht des WDR hat der DFB in den zurückliegenden fünf Jahren rund 16 000 Mannschaften verloren. Diese Erosion wird weitergehen, auch weil sich unsere Gremien in den Fußballkreisen bis rauf zu den Landesverbänden viel zu wenig als streitbare Anwälte für die Amateurvereine einsetzen. In breiter Front wird brav gekuscht, damit man womöglich nicht noch selbst ins Gerede kommt. Die Reklame bleibt blitzsauber. Da brennen einem André Schürrle in einem Spot schonmal die Würstchen an, bevor er den Amateuren Platz am Grill macht und die mal zeigen können, was sie für einen hervorragenden Job machen. Ist das nur Schönmalerei oder schon Hohn? Über die Köpfe der Ehrenamtlichen hinweg, die für André Schürrle Würtschen grillen, wird so verfahren, wie man das ganz oben für nützlich hält. Nicht nützlich für die Amateurvereine. In den VIP-Launches interessiert es nämlich kaum jemanden, ob die Zuschauerzahlen zu den traditionellen Anstoßtagen und -zeiten der Amateure von der Gelddruckmaschine des DFB und der DFL überrollt und plattgemacht werden. Der schöne Schein passt, vieles andere nicht. Die Allüren der Bagatell-Bestrafungsinstanz HFV sind allemal ein guter Anlass, das alles mal ohne Blatt vorm Mund öffentlich auszusprechen. Hab ich gern gemacht. Trotzdem geht es übergreifend um ein Miteinander. Aber das ist eben nur möglich, wenn die Empathie für die Amateurvereine zurückkehrt.

Aufrufe: 08.11.2016, 14:30 Uhr
Gelnhäuser TageblattAutor