2024-04-23T13:35:06.289Z

Ligabericht

Der Iraker mit dem Sechs-Tore-Debüt

Hakem Sharief verblüfft im SC Kelheim. Ob er bleiben darf, weiß er nicht. Wie sein Freund aus Syrien flüchtete er dramatisch.

Auch wenn wieder fünf Euro für das Phrasenschwein fällig sind, muss folgender Einleitungssatz bemüht werden: Diese Geschichten schreibt nur der Fußball. Mustafa Hakem Sharief bestritt am 12. Mai 2017 sein erstes Pflichtspiel, seit der Iraker in Deutschland lebt. Der 28-jährige Flüchtling lief für den SC Kelheim in der A-Klasse auf. Trainer Branko Vukovic wusste nicht so recht, wo er den Mann hinstellen sollte, aber extreme Personalnot machte den Einsatz unerlässlich. „Geh’ mal in den Sturm“, entschied der Trainer. Nach 90 Minuten munteren Scheibenschießens gegen den SV Hadrian Hienheim gewann der SC mit 8:6 – Mustafa Hakem Sharief erzielte sechs Tore für sein Team.

"Die Mitspieler haben mir die Bälle schön aufgelegt. Die sechs Tore habe ich mit meiner Mannschaft gemacht, nicht alleine“, sagt der Iraker. Mit SC-Abteilungsleiter Harald Forster und seinem syrischen Teamkollegen Mohamad Karam Alayoubi (22) trifft er sich mit unserem Medienhaus zum Gespräch. Forster sagt: „Er hatte weitere gute Chance und hätte noch mehr Tore in dem Spiel machen können.“ Erstaunt war der A-Klassist über Shariefs technische Fähigkeiten. „Einen Treffer erzielte er mit einem Seitfallzieher“, so der Abteilungsboss.

Der 28-Jährige „Musti“ aus Karbaala ist ein gut aussehender, durchtrainierter junger Mann. Er hält viel auf seinen Körper. „Ich laufe täglich und gehe ins Fitnessstudio“, erklärt er und gibt flugs an: „1,82 Meter groß, 75 Kilogramm“. Vor knapp zwei Jahren flüchtete Sharief aus seinem Heimatland, der Sport hält ihn mehr oder minder über Wasser. „Ich darf keine Arbeit annehmen, weil ich nur geduldet bin.“ In einer Eisdiele am Kelheimer Ludwigsplatz hätte er einen Job gehabt, doch sein Status lässt das nicht zu. „Jeden Tag könnte der Abschiebebescheid eintreffen.“ Ein Nürnberger Rechtsanwalt hat sich seiner Sache angenommen und verfolgt das Verfahren.

Ein Motorrad war sein ganzer Stolz

Wenn er und sein Mitspieler Alayoubi von ihrer Heimat und ihrer Flucht erzählen, entstehen dramatische Bilder vor dem geistigen Auge. „Ich habe in Karbaala mehrere Bombeneinschläge miterlebt.“ Als Fliesenleger arbeitete der Iraker, sein ganzer Stolz war ein Motorrad, eine Suzuki 500. „Ich bin gerne durch die Gegend gefahren, einfach zum Spaß.“

Die zweite Leidenschaft des Irakers mit fünf Schwestern und drei Brüdern ist der Fußball. „Mein Onkel war der gute Geist. Er hatte stets die Fußballschuhe von mir und meinen Kumpels dabei.“ In der Schule und im Verein Al Jarmuk kickte Sharief, im Mittelfeld und auf Rechts außen. „Die erste Mannschaft spielt in einer höheren Amateurliga. Bei mir hat es dazu nicht gereicht.“

3000 Euro für ein wackeliges Boot

Als 2015 die erste Flüchtlingswelle aus dem Nahen Osten kam, hielten er und sein syrischer Freund die Zeit des Aufbruchs für gekommen. Alayoubi stammt aus Damaskus, seine Eltern betreiben eine Schneiderei, er selbst studierte Journalismus. „Aber welche Perspektive hast du als junger Mensch, wenn rundherum der Bürgerkrieg ist?“, fragt der 22-Jährige rhetorisch. Unabhängig voneinander machten sie sich auf den Weg. Die erste Station war bei beiden die Türkei. „Dort haben wir in einem kleinen Boot nach Griechenland über gesetzt.“ Eine abenteuerliche Summe von 2500 bis 3000 Euro nehmen die Schlepper dafür.

„Das Wichtigste auf der Flucht ist, nicht zu früh behördlich registriert zu werden, denn in diesem Land musst du dann bleiben“, sagt Sharief offen. Das oberste Ziel sei ein sicheres EU-Land. „Durch Staaten wie Mazedonien zu gelangen, ist kein Problem. Im Landesinneren bewegt man sich mit Bussen, Zug oder Taxis. Die Grenze überschreitet man in der Nacht, ein paar Kilometer abseits der Kontrollen.“

Der Iraker schlug sich über Ungarn und Österreich – „da wollte ich ursprünglich bleiben, bin aber nach zwei Tagen weiter“ – nach Deutschland durch. „Eigentlich war mein Ziel Frankreich, aber in München hatte ich kein Geld mehr.“ Sharief kam in eine Erstaufnahmeeinrichtung in Deggendorf. Man wies ihm eine Unterkunft in Schwaig zu, ein Monat später ein Quartier in Riedenburg. Bis dahin kreuzten sich die Wege von Sharief und Alayoubi nie.

Schon in der Altmühltalstadt kam der Iraker wieder zum Kicken. „Ich bin um den Riedenburger Platz meine Runden gelaufen und irgendwann fragte mich jemand, ob ich nicht mittrainieren möchte.“ Er stieg beim TV ein. Obwohl er ständig trainierte, konnte er keine Spiele machen, weil die Passfrage noch nicht geklärt war. Ein einziges Mal half er im zweiten Team des TVR aus.

Am Ende des Vorjahres erhielt der 28-Jährige ein weiteren Marschbefehl: Er musste in eine Flüchtlingsunterkunft nach Kelheim ziehen. Dass er beim SC Kelheim landete, ist Kapitän Matthias Faltermeier zu verdanken. Die beiden trafen sich im Fitnessstudio auf der Sportinsel. „Falti ist ein super Kerl. Er hat mich einfach angesprochen, weil ich da allein trainiert habe.“ Im Verlauf des Gesprächs kamen die beiden auf Fußball und Faltermeier lud den Iraker ein, beim Hallentraining des SC vorbei zu schauen. „Ich bin sehr glücklich, dass er so unkompliziert auf mich zugegangen ist. Man fühlt sich manchmal sehr einsam in einem fremden Land“, sagt Sharief, der in Regensburg eine Freundin hat.

„Ich bin jetzt ein Kelheimer“

In dieser Zeit lernte der 28-Jährige auch den Syrer Alayoubi kennen. Bei Freunden in der Starenstraße traf man sich. Der 22-Jährige aus Damaskus war schon früher in Kelheim gelandet. „Ich habe in meinem Heimatland auch gekickt, aber zwischen dem Alter von 17 bis 20 Jahren eine Pause gemacht, weil ich daheim in der Schneiderei helfen musste und mein Studium begann.“ Diese Zeit fehle ihm jetzt, sagt der junge Verteidiger.

Mit dem Herkunftsland Syrien war es für Alayoubi einfacher, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. „Ich gehe in die Berufsschule, will die Mittlere Reife machen und suche dann einen Ausbildungsplatz.“ Etwas „im sozialen Bereich“ würde ihm vorschweben. Wie schnell er lernt, merkt man an seinen Deutschkenntnissen, die nach nur zwei Jahren Aufenthalt höchst passabel sind. Alayoubi hat bereits eine Wohnung in der Kreisstadt. „Ich bin jetzt ein Kelheimer“, sagte er zu Abteilungsleiter Harald Forster beim Einzug.

Auch Sharief möchte lernen. „Aber momentan darf ich nicht einmal einen Deutschkurs belegen.“ Umso wichtiger ist ihm der Fußball als Leitschnur im Alltag. Der TV Riedenburg mit dem Vorsitzenden Maximilian Sedlmeier legte ihm beim Wechsel „keine Steine in den Weg“, wie sich Harald Forster ausdrücklich bedankt. „Er musste nur ein halbes Jahr warten, weil er sich mit dem Einsatz in der zweiten TVR-Mannschaft für sechs Monate festgespielt hatte.“

Mitspieler machen es ihm leicht

Mit der Freigabe kam es zum sensationellen Debüt von Mustafa Hakem Sharief. „Natürlich fehlt ihm noch einiges im Fußball, vor allem das Spielverständnis“, sagt Forster. Den Straßenkicker in der Jugend kenne man ihm an – was immerhin die Technik förderte. Den Angriff soll der 28-Jährige weiterhin besetzen, zusammen mit Erkan Corakcioglu. „Wir sind eine richtige internationale Truppe“, lachen Sharief und Alayoubi. Der Abteilungsleiter bestätigt: „Ein Pakistani und ein Nigerianer werden bald auch mitmachen.“

Der irakische Torjäger ist angekommen im SC Kelheim. „Die Mitspieler sind wahnsinnig hilfsbereit: Sie bringen mich zum Zug, sie nehmen mich mit zum Training.“ Auf Disziplin legt Trainer Vukovic wert, einige Spieler hat er unbesehen von Namen und Herkunft ausgesiebt. In ein Trainingslager vom 21. bis 23. Juli werden auch die beiden Flüchtlinge mitreisen.

Beide halten natürlich Kontakt in ihre Heimat. „Meine Mama fragt immer: Hast du schon eine Freundin? Mein Papa fragt stets: Hast du schon ein Auto?“, erzählt Alayoubi lächelnd. Hakem Sharief blickt einen mit seinen hellen, freundlichen Augen an: „Ich hoffe, hier bleiben zu dürfen und mit meinen Freunden Fußball spielen zu können.“

Aufrufe: 01.7.2017, 12:00 Uhr
Martin RutrechtAutor